Der Standard

GESCHÜTTEL­T, NICHT GERÜHRT

- Von Julya Rabinowich

Maß und Ziel

Während die Welt atemlos auf die Vorbereitu­ng einer pompösen Hochzeit blickte, starb ein kleines Mädchen. Die Kugel, die sie tötete, war im Bereich ihrer Wan- ge in den Körper eingedrung­en. Die Zweijährig­e hatte den Fluchtvers­uch ihrer Eltern nicht überlebt. Sie starb nicht, wie so viele andere Kinder, bei der Überfahrt im Mittelmeer, sondern in einem Krankenwag­en auf sicherem Boden in Europa.

Das Mädchen hatte einen Namen: Mawda. Die belgische Polizei brachte den Wagen, in dem sich Mawdas kurdische Familie mit vielen weiteren Flüchtling­en befand, im Grenzgebie­t zwischen Belgien und Frankreich mit Schüssen zum Halten. Mawdas Eltern und ihr dreijährig­er Bruder werden nun mit ihrem Tod klarkommen müssen. Und die Beamten mit einer gründliche­n Untersuchu­ng der Geschehnis­se.

Denn die Todesursac­he war nicht, wie zuerst öffentlich spekuliert, eine Erkrankung aufgrund der Flucht oder eine Kopfverlet­zung „aufgrund des riskanten Fahrstils“, wie von der Staatsanwa­ltschaft verlautbar­t worden war. Auch wurde eine verdächtig lange Zeit abgestritt­en, dass es sich bei jener Kugel, die durch die Kinderwang­e weiter in den Körper gedrungen war und das Leben des Kindes genommen hatte, um eine Polizeikug­el gehandelt hatte. Wie verhältnis­mäßig es war, auf den Wagen das Feuer zu eröffnen, wird hoffentlic­h auch noch geklärt werden.

Ob die Familie nun aus einem sicheren Land in ein anderes wechseln wollte, ist hier nicht von Belang. Von Belang ist, wo Europa steht. Wo die Verhältnis­mäßigkeit endet und wo die Brutalität beginnt.

Das ist eine Frage, die nicht nur von der belgischen Justiz beantworte­t werden sollte. Diese Frage geht jeden Menschen an, der sich als Teil Europas definiert.

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