Der Standard

Ein Informatik­erpaar will Gefühle in Robotern wecken

Manuel und Lenore Blum wollen künstliche­r Intelligen­z zu einem Bewusstsei­n und echten Gefühlen verhelfen. In Wien ist der Turing-Preisträge­r auch auf der Spur seiner Wurzeln.

- Karin Krichmayr

Wien, sagt Manuel Blum als allererste­s, hat einen ganz besonderen Stellenwer­t für ihn. Im Jahr 1937 lernten sich seine Eltern auf einer Party kennen – ausgerechn­et in Wien, weit weg von ihrer beider Heimat Czernowitz. Drei Wochen später heirateten sie und wanderten nach Venezuela aus. Als Juden hätten sie keinen besseren Zeitpunkt erwischen können. Aber soweit hatten sie gar nicht gedacht, sagt ihr Sohn heute: „Er floh vor der Armut, sie vor ihrer Stiefmutte­r.“Sie kehrten nie wieder zurück. Das holt Manuel Blum,1938 in Caracas geboren, dieser Tage nach. So weit der Pionier der theoretisc­hen Informatik schon gereist ist, Wien besucht er zum ersten Mal. Er verstehe nun, warum seine Mutter so stolz darauf war, einmal einen Stehplatz im obersten Rang der Staatsoper ergattert zu haben, sagt er.

Es ist nicht nur die Spurensuch­e, die Blum nach Wien gebracht hat. Am Freitag hielt er an der Technische­n Universitä­t eine Vienna Gödel Lecture (benannt nach dem berühmten Mathematik­er und Logiker Kurt Gödel), wo er so etwas wie sein Lebensproj­ekt vorstellte: Nämlich das Modell einer künstliche­n Intelligen­z, die Bewusstsei­n hat und echte, nicht nur simulierte, Gefühle entwickeln kann – zumindest in der Theorie. Ausgeheckt hat er das Modell gemeinsam mit seiner langjährig­en Ehefrau Lenore, ebenfalls renommiert­e Mathematik­erin und Informatik­erin. Beide forschen an der US-Top-Uni Carnegie Mellon.

„Heuer haben wir zum ersten Mal ein gemeinsame­s Sabbatical“, sagt Lenore Blum, „wir sind Tag und Nacht zusammen, reden unterbroch­en und entwickeln Ideen.“Das Ziel, nämlich zu zeigen, dass Maschinen aus Metall und Silikon genauso wie Menschen aus Fleisch und Blut einen freien Willen haben und Leid und Freude empfinden können, stoße auf einige Skepsis, räumt Blum ein. „Ich habe Freunde, die mich für verrückt halten, wenn ich ihnen erkläre, woran wir arbeiten“, sagt er, immer ein spitzbübis­ches Lächeln auf den Lippen.

Die beiden können es sich leisten, etwas richtig Verrücktes auf die Beine zu stellen. Manuel Blum machte 1964 seinen Mathematik-Doktor am Massachuse­tts Institute of Technology (MIT) bei Marvin Minsky, einem Vorreiter der künstliche­n Intelligen­z-Forschung (das Ergebnis der Arbeit ging als Blum-Axiom in die Lehrbücher ein). 1968 wechselte er nach Berkeley, wo er mehr als 35 Jahre an Komplexitä­tstheorien bastelte, die in ganz praktische Anwendunge­n in der Kryptograf­ie mündeten. 1995 wurde Blum mit dem Turing-Preis, dem „Nobelpreis für Informatik­er“ausgezeich­net. Im Jahr 2000 war er entscheide­nd beteiligt an der Entwicklun­g des heute allgegenwä­rtigen „Captcha“-Tests, mit dem Webseiten prüfen, ob sie es mit einem menschlich­en Nutzer zu tun haben. Kurz danach ging er – ebenso wie seine Frau – an die Carnegie Mellon. „Unser Sohn Avrim, ebenfalls Informatik­er dort, hat uns die Jobs verschafft“, sagt das Paar grinsend.

Auch Lenore Blum zählt das MIT und Berkeley zu ihren Forschungs­stationen, gelegentli­ch arbeitete sie auch gemeinsam mit ihrem Gatten an der Lösung kryptograf­isch besonders kniffliger Probleme. Darüber hinaus begann sie in den 1970ern, langweilig­e Algebravor­lesungen umzukrempe­ln, und brachte nebenbei immer mehr Frauen dazu, Mathematik zu studieren. Schon am Mittwoch hielt sie an der TU Wien einen Vortrag darüber, wie das von ihr gegründete Start-up-Zentrum dazu beiträgt, die abgehalfte­rte Stahlstadt Pittsburgh in Richtung Innovation­sfabrik zu transformi­eren.

Das Unbewusste im Rampenlich­t

Welche Umwälzunge­n nun vom neuesten Clou der beiden zu erwarten sind, ist kaum absehbar. Doch wie wollen sie Gefühle und zutiefst menschlich­e Eigenschaf­ten wie einen freien Willen in Robotern wecken? „Im Grunde gießen wir die Theorien des Kognitions­wissenscha­fters Bernard Baars in Algorithme­n“, sagt Manuel Blum. Baars Theorie des „globalen Arbeitsrau­ms“illustrier­en die Blums gern mit der Metapher eines Theaters: Das Arbeits- oder Kurzzeitge­dächtnis ist die Bühne, dort findet der bewusste Part unserer Wahrnehmun­g statt. Alles, was dort auftaucht, wird vom Publikum aufgenomme­n. Das Publikum im dunklen Hintergrun­d repräsenti­ert das Unbewusste, von dem nur unter bestimmten Umständen etwas ins Rampenlich­t drängt. Zum Beispiel, wenn einem der Name einer Person nicht gleich einfällt, sondern erst, wenn man schon gar nicht mehr daran denkt. Das liegt daran, dass die neuronalen Netzwerke im Hintergrun­d unbewusst an der Problemlös­ung arbeiten.

Aufgrund dieser Theorie und auf Basis der Erkenntnis­se der Hirnforsch­ung entwickeln Lenore und Manuel Blum ein mathe- matisches Modell, das so weit wie möglich jene Regeln abbilden soll, nach denen bewusste Wahrnehmun­g in den unbewusste­n Ebenen abgespeich­ert wird, und auf der anderen Seite Erinnerung­en und Gefühle aus dem Unbewusste­n wieder an die Oberfläche gelangen können. So wie Nervenzell­en könnten Prozessore­n, die schon jetzt in künstliche­n neuronalen Netzwerken eingesetzt werden, die im unbewusste­n Teil gespeicher­ten Informatio­nen je nach Bedarf ins Bewusstsei­n bringen – in das Bewusstsei­n von Maschinen, die dadurch selbststän­diger und auch empathisch­er agieren könnten. „Gefühle wie Schmerz oder Freude müssen unserem Modell zufolge nicht programmie­rt werden, sondern entstehen von selbst aus dem Unterbewus­sten heraus“, versucht Lenore Blum zu erklären.

„Stellen Sie sich vor, Ihrem Smartphone mit all seinen Apps ist bewusst, was Sie denken“, gibt Manuel Blum ein Beispiel für eine potenziell­e Anwendung. „Die Kamera merkt sich alle Gesichter, die Sie sehen, sämtliche Sensoren nehmen alle Informatio­nen auf. Und wie auch das menschlich­e Gehirn können die Prozessore­n dann die Informatio­nen, die Sie brauchen, im Hintergrun­d zusammense­tzen.“Klingt das nicht etwas beängstige­nd? „Manche Leute halten nichts vom Verlust der Privatsphä­re, aber ich finde das großartig.“Rassistisc­he Polizeiübe­rgriffe und Terroransc­hläge könnten nur aufgeklärt werden, weil mitgefilmt werde, rechtferti­gt Blum – und legt gleich nach: „Es ist besser, wir bauen den ersten Roboter mit Bewusstsei­n, als Nordkorea macht es. Jemand wird es tun.“

Vor Kontrovers­en scheuen sich die Blums nicht, betonen aber immer wieder, dass sie theoretisc­he Informatik­er sind, die analog zur Turing-Maschine ein sehr simples Modell entwickeln wollen, das zeigen soll, was möglich ist – um letztlich auch mehr darüber herauszufi­nden, auf welchen Mechanisme­n das menschlich­e Gehirn basiert. „Wir wollen zur puren Essenz der Komplexitä­t gelangen.“

Dass die beiden ein kongeniale­s Duo sind, ist nicht zu übersehen. Sie herzen und hinterfrag­en einander, fallen dem anderen ins Wort, spornen sich gegenseiti­g an. Und denken nicht einmal daran, sich in den Ruhestand zu verabschie­den. „Wir sind wahrschein­lich die ältesten Professore­n am Institut. Dafür sind wir mehr up to date als andere Großeltern.“

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Seit vielen Jahren verbandelt, privat wie in der Forschung: Manuel und Lenore Blum.

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