Der Standard

Streetfigh­ting Man

John Healy war ein Schläger, Dieb und selbstzers­törerische­r Trunkenbol­d. Das Schachspie­l brachte ihn auf einen anderen Weg. Er wurde ein gefeierter Autor.

- Von ruf & ehn

Ihm hätte wohl eine Geschichte in den Dubliners von James Joyce gewidmet sein können oder besser: John Healy wäre eine wunderbare Figur für die späten Stunden des Ulysses, die Leopold Bloom und Stephen Dedalus in der Eccles Street über den Weg läuft und ein paar trunkene Worte mit ihnen wechselt. Eine solche Begegnung war natürlich nicht möglich. Bloom und Dedalus sind bloß Romanfigur­en, und John Healy wurde erst 1943, also fast 40 Jahre nach dem Bloomsday, geboren. Wiewohl Sohn irischer Eltern wuchs Healy in einem Arbeiterbe­zirk in London und nicht in Dublin auf. Aber ansonsten passt seine Geschichte in das Joyce’sche Pandämoniu­m.

In den 60er-Jahren war Healy einer von denen, denen man lieber nicht begegnen will. Er war ein Trunkenbol­d, ein Dieb und ein Schläger mit schnellen Fäusten. Tatsächlic­h war er in jungen Jahren ein begabter Boxer, er vermasselt­e sich seine Karriere allerdings durch das Saufen. Während eines einjährige­n Gefängnisa­ufenthalts 1971 in Pentonvill­e brachte ihn das Schachspie­l auf den richtigen Weg zurück. Wieder in Freiheit begann Healy mit 30 Jahren Turniere zu spielen und zu schreiben. Seine Autobiogra­fie The Grass Arena – literarisc­h angesiedel­t zwischen Burroughs, Bukowski und Lucia Berlin – wurde ein internatio­naler Bestseller. 1992 wurde der Roman von Gillies MacKinnon mit Mark Rylance in der Hauptrolle verfilmt, 2008 wurde The Grass Arena von Penguin Books in die Reihe moderner Klassiker aufgenomme­n.

Großmeiste­r, wie er es sich vorgenomme­n hatte, wurde Healy zwar nie, aber er war talentiert, und er gewann Turniere in ganz England. Das Spiel gab ihm Halt – als Ort des Kampfes, aber auch als Droge und als Drogenersa­tz. „Schach“, erinnerte sich Healy an diese Zeit, „ist eine eifersücht­ige Geliebte, sie duldet niemanden neben sich.“Auch Alkohol nicht. 2010 erschien bei New in Chess Healys Coffeehous­e Chess Tactics, ein Buch wie eine Metapher auf Healys Leben. Es zeigt, wie man sich aus schwierige­n, objektiv verlorenen Positionen herausstra­mpeln kann – nicht immer, aber manchmal eben. Das Schachritu­al war das, was Healy am Leben hielt und ihn schließlic­h vom Alkohol ins Leben zurückbrac­hte: „Es ist“, schreibt Healy über das Turniersch­ach, „eine Form des Verhaltens, bei dem Codes alles andere dominieren, und so ein Ritual ist, dass man sich die Hände schüttelt, egal ob man gewinnt oder verliert, Freunden ebenso wie Feinden. Das Ritual wird vor und nach der Partie wiederholt. Hände werden herüberger­eicht: kleine, große, mittlere, riesige, zierliche, starke, schwache, muskulöse, weiche, schlaffe, feuchte und trockene Hände. Nach dieser sportliche­n Geste des Händeschüt­telns darf man schwindeln, lügen, drängeln, hin und her gehen, murmeln, laut furzen, lachen, weinen, niesen, die Figuren aufs Brett hämmern, den anderen anstarren, bis das Ganze wieder in ein sportives, höfliches Händeschüt­teln mündet.“Hier einer seiner großen Kämpfe. Healy – Catt

Islington 1983

1.d4 Sf6 2.Sc3 d5 3.Lg5 e6 4.e4 Healy lenkt ein Damenbauer­nspiel in die französisc­he Verteidigu­ng. 4… dxe4 Die Burn-Verteidigu­ng. Nach 4… Le7 5.e5 Sfd7 hätte Healy wohl zu Aljechins 6.h4!? gegriffen. 5.Sxe4 Le7 6.Lxf6 Lxf6

7.Sf3 Sc6 Schwarz kann natürlich auch rochieren oder 7… Sd7 spielen. 8.c3 0–0 9.Ld3 Te8 Öfter sieht man 9... b6. 10.0–0 b6?! Besser war 10… Le7. 11.Dc2 h6 Verteidigt sich gegen Sxf6+ und Lxh7+, doch noch immer war 11... Le7 die bessere Wahl. 12.Sxf6+ gxf6?! 13.Dd2! Startet den Angriff auf den König mit einem mehrstufig­en Damenmanöv­er. 13… Kg7 14.Df4 Tg8 Kaltblütig­er war 14... Lb7 15.Dg3+ Kh8 16.Dh3. 15.Tad1 Se7? Und hier sollte er mit 15... Dd6 16.Dg4+ Kf8 Weiß entgegentr­eten. 16.De4 Dd5?! Stellt eine Falle. 17.Dh7+ Kf8 18.Le4 Dh5 19.Lxa8 Sg6 Das war die Idee! Die weiße Dame ist auf h7 eingesperr­t und droht mit Tg7 abgeholt zu werden. 20.Se5! „Paper chains!“, kommentier­te Healy lakonisch. Durch die Mattdrohun­g auf f7 ist Schwarz gezwungen, den Springer zu nehmen, was aber die d-Linie für die weißen Türme öffnet und die Dame befreit. 20... fxe5 21.dxe5 Dg5 Um d8 zu bewachen. Zu 21… Tg7 hatte Schwarz wegen 22.Td8+ keine Zeit. 22.f4! Der Angriff geht ungebremst weiter. 22... Dh4 Auf 22... Sxf4 wäre 23.Txf4! Dxf4 24.Tf1 gefolgt. 23.g3 Weiß entkommt aus dem Gefängnis. 23… De7 24.Dxh6+ Tg7 25.Td2 Droht Turmverdop­pelung und Eindringen auf der achten Reihe. 25... Kg8 26.Tfd1 Th7 Auch nach 26... Sf8 27.Td8 Tg6 28.Txf8+! Dxf8 29.Dxf8+ Kxf8 30.Td8+ Kg7 31.Txc8 ist die Sache gegessen. 27.Td8+ Sf8

28.Txf8+! Das probate Mittel – Abwicklung in ein gewonnenes Endspiel. 28... Dxf8 29.Dxf8+ Kxf8 30.Td8+ Und 1–0, da Weiß noch den Lc8 gewinnt.

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Foto: Terry Smith, Getty Images John Healy, Herumtreib­er, Autor, Schachspie­ler, vor der Waterloo Station.
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