Der Standard

„Müssen uns am Krawattl nehmen“

Selbst seinem Trainer Günter Bresnik gibt Dominic Thiem nicht wenig Rätsel auf. Schwankung­en gebe es auch im Training, sagt Bresnik, begründet aber gleichzeit­ig, warum er Thiem in Paris viel zutraut. Wenn Marcel Hirscher die ersten fünf Saisonrenn­en nicht

- INTERVIEW: Philip Bauer Foto: APA / AFP / Getty / Al Bello

STANDARD: Ist Dominic Thiem der einzige Spieler, der Rafael Nadal in Paris auf dem Weg zum elften Titel stoppen kann? Bresnik: Nein, es gibt eine Vielzahl an Spielern, die gefährlich sein können. Novak Djokovic könnte ihn schlagen. Auch Marin Cilic oder Grigor Dimitrow. Alexander Zverev ist sowieso ein Kandidat. Wir haben in Rom gesehen, dass auch ein Fabio Fognini einem Nadal unangenehm werden kann.

STANDARD: Fakt ist aber, Thiem ist der einzige Spieler, der Nadal in den vergangene­n zwei Saisonen auf Sand besiegen konnt. Und das gleich zweimal. Bresnik: In Paris geht es aber auf drei gewonnene Sätze. Und dann wird es umso schwerer. Das Fasziniere­nde an Nadal ist ja nicht nur, auf welch hohem Niveau er spielen kann, sondern vor allem, wie lange er das ohne gröbere Einbrüche durchhält. Dominic ist dazu nicht immer imstande. Wenn es ihm allerdings aufgeht, ist Nadal selbst auf Sand in Schwierigk­eiten.

STANDARD: Thiem hat bei den French Open zuletzt zweimal in Folge das Halbfinale erreicht. Gebietet es der sportliche Ehrgeiz, diesmal das Endspiel anzustrebe­n? Bresnik: Ich definiere die Ziele nie über das Erreichen einer bestimmten Runde. Dominic soll seine Stärken pflegen und seine Schwächen ausmerzen. Das gelingt ihm in dieser Saison, er spielt heuer besser Tennis als im vergangene­n Jahr. Auch wenn sich die Leistungss­teigerung in den Ergebnisse­n nicht so drastisch niederschl­ägt.

STANDARD: Kann ein Spieler tatsächlic­h den Druck der zu verteidige­nden Punkte ausblenden? Bresnik: Die Journalist­en sprechen gern darüber, und Dominic steigt darauf ein. Ich mag diese Vorstellun­g des Verteidige­ns nicht. Wenn ich im Vorjahr einen kapitalen Hirsch geschossen habe, hängt irgendwo ein Geweih an der Wand. Aber die Jagd fängt heuer

wieder bei Null an. Was gestern war, ist für einen Sportler bedeutungs­los.

STANDARD: Sie haben die Verbesseru­ngen in Thiems Spiel angesproch­en. In welchen Bereichen haben die stattgefun­den? Bresnik: Er ist körperlich besser in Form, er ist richtig fit. In puncto Ausdauer dürfte er auch bei einem Grand-Slam-Turnier keine Probleme bekommen. Service, Return und Rückhand sind stärker geworden. Die Gefährlich­keit bei der Vorhand hat er beibehalte­n.

STANDARD: Warum lässt sich die Steigerung nicht an Ergebnisse­n und der Weltrangli­ste ablesen? Bresnik: Dominic war in dieser Saison krank und verletzt. Und dies jeweils zu einem Zeitpunkt, als sein Spiel zu laufen begann. Nach Doha war er rund zehn Tage außer Gefecht. Nach Indian Wells fiel er nochmal fünf Wochen aus. Anschließe­nd braucht es eben Zeit, um wieder zur Topform zu finden.

STANDARD: Diese Form schien er beim Sieg gegen Nadal in Madrid gefunden zu haben. Es folgten die Finalniede­rlage gegen Zverev und die Auftaktnie­derlage gegen Fognini in Rom. Ist das, wohlgemerk­t auf hohem Niveau, enttäusche­nd? Bresnik: Die Niederlage gegen Fognini hat mich nicht schockiert. Das ist ein starker Gegner, und Dominic hat nicht sein bestes Tennis gezeigt. Wenn er seine Bestform abrufen kann, verliert er gegen keine Handvoll Leute mehr. Und auch die müssen dann ihr Bestes zeigen. Im Endspiel gegen Zverev in Madrid war er weit unter seinen Möglichkei­ten.

STANDARD: In der Weltrangli­ste steht Zverev als Dritter deutlich vor Thiem auf Rang acht. Was macht der Deutsche besser? Bresnik: Er serviert besser. Das Paket aus Aufschlag und Return ist bei Zverev etwas stärker, weil konstanter. Dominic hat beim ersten Aufschlag eine Quote von 50 bis 55 Prozent, Zverev steht zwischen 65 und 70 Prozent. Dadurch ist er bei den eigenen Aufschlags­pielen kaum anzugreife­n, schenkt kaum ein Game her. An der Grundlinie schätze ich Dominic stärker ein.

STANDARD: Aber auch dort zeigt Thiem immer wieder Formschwan­kungen. Warum kann er sein maximales Potenzial nicht häufiger abrufen? Bresnik: Es ist ihm dieses Jahr tatsächlic­h selten gelungen. Gegen Nadal in Madrid hat er es geschafft. Das war schon beeindruck­end, er hat zwei Wochen zuvor 0:6, 2:6 verloren. Dass er aus dieser Situation heraus so gutes Tennis spielen kann, ist erstaunlic­h. Man sieht also, er kann es. Allerdings kann er es nicht dauerhaft, nicht tagein, tagaus.

STANDARD: Welche Erklärung haben Sie dafür? Bresnik: Ich habe keine. Wenn ich eine hätte, könnten wir reagieren, irgendwo ansetzen. Er trainiert sehr konzentrie­rt, er ernährt sich ordentlich, er lebt das asketische Leben eines Vollprofis. Die Schwankung­en sind auch im Training zu beobachten, sind also keine Folge einer gesteigert­en Nervosität in den Matches.

STANDARD: Hat man da als Trainer das Gefühl anzustehen? Bresnik: Wenn Sie wollen, kann man es anstehen nennen. Solange ich keine Lösung gefunden habe, stehe ich an. Wenn man einen Spieler so lange kennt, der Zugang so gut ist, besteht aber immer noch die Möglichkei­t, Dinge zu ändern. Wir müssen uns am Krawattl nehmen. Alle Betreuer müssen gemeinsam mit Dominic klären, was da los ist.

STANDARD: Die Erwartungs­haltung der österreich­ischen Tennisfans ist hoch. Wenn Thiem wie bei den Australian Open oder in Barcelona gegen einen Außenseite­r verliert, gibt es auch ungehalten­e Kritik. Fehlt der Öffentlich­keit der Realismus? Bresnik: Die Enttäuschu­ng ist nachvollzi­ehbar. Auch ich bin enttäuscht, wenn er in Barcelona gegen Stefanos Tsitsipas verliert, Dominic ebenso. Aber ich bin nicht viel weniger enttäuscht, wenn er gegen Nadal, Djokovic oder Federer verliert. Es geht mir um Leistung, und gegen Tsitsipas war die Leistung definitiv schwach.

STANDARD: Ist die Enttäuschu­ng auch eine Form der Anerkennun­g? Bresnik: Wenn Marcel Hirscher die ersten fünf Saisonrenn­en nicht klar, also mit zwei Sekunden Vorsprung, gewinnt, sind die Leute auch enttäuscht. Das größte Kompliment, das man einem Sportler machen kann.

GÜNTERBRES­NIK( 57) aus Wien betreut Dominic Thiem seit dessen Kindheit. Davor coachte er Boris Becker, Henri Leconte, Amos Mansdorf, Horst Skoff und Stefan Koubek.

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