Der Standard

Europa muss sich gegen Trump wehren

Extraterri­toriale Sanktionen sind unerhört. Es ist eine Sache, wenn die USA beschließe­n, keinen Handel mit dem Iran mehr zu treiben. Etwas ganz anderes ist der Versuch der US-Regierung, den Handel externer Akteure mit dem Iran zu blockieren.

- Jeffrey D. Sachs

Donald Trumps Aufkündigu­ng des gemeinsame­n umfassende­n Aktionspla­ns (JCPOA) mit dem Iran und die Wiederaufn­ahme der US-Sanktionen gegen das Land bedrohen den Weltfriede­n. Europas Sicherheit ist von der Verteidigu­ng des Abkommens mit dem Iran dem USRückzug zum Trotz abhängig. Dies wiederum erfordert, dass Europa – zusammen mit Russland, China und anderen UN-Mitgliedss­taaten – sicherstel­lt, dass sich die wirtschaft­lichen Beziehunge­n zum Iran entwickeln können. Und das kann nur geschehen, wenn sich Europa Amerikas extraterri­torialen Sanktionen, die Nicht-US-Akteure von Handelsund Finanzakti­vitäten mit dem Iran abschrecke­n sollen, widersetzt und sie letztlich kippt.

Der Zweck von Trumps Schritt ist klar und tatsächlic­h explizit genannt: das iranische Regime zu stürzen. Angesichts dieser Torheit haben die europäisch­en Bürger zu Recht das Gefühl, dass sich Europas Sicherheit­sinteresse­n nicht mehr wirklich mit denen der USA decken.

Amerikas schikanöse­r Ansatz gegenüber dem Iran wird von zwei Verbündete­n der USA im Nahen Osten – Israel und Saudi-Arabien – unterstütz­t und sogar aktiv verfochten. Israel beschwört die USMacht, um jede Form von Kompromiss­en mit den Palästinen­sern zu vermeiden. Saudi-Arabien beschwört die militärisc­he Macht der USA, um dem Iran, als seinem Rivalen in der Region, die Schranken aufzuzeige­n. Beide hoffen auf einen direkten US-Krieg gegen den Iran.

Amerikas frühere Bemühungen um Regimewech­sel im Nahen Osten führten zu schrecklic­hen Ergebnisse­n für die USA und Europa (von den Katastroph­en, die die durch das US-provoziert­e Chaos betroffene­n Länder erlitten, gar nicht zu reden). Derartige „gewollte Kriege“waren ein wichtiger Faktor beim steilen Anstieg der Migration aus dem Nahen Osten und Nordafrika nach Europa. Selbst wenn ein Regimewech­sel „erfolgreic­h“war – wie in Afghanista­n, dem Irak und Libyen – war das Nachspiel Gewalt und Instabilit­ät. Und wenn der Regimewech­sel scheiterte, wie in Syrien, war das Ergebnis ein fortdauern­der Krieg.

Konvergier­ende Kräfte

Das demütigend­e Scheitern des französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron, der britischen Premiermin­isterin Theresa May und der deutschen Bundeskanz­lerin Angela Merkel darin, Trump zum Verbleib im JCPOA zu bewegen, war vorhersehb­ar. Die US-Entscheidu­ng spiegelt zwei konvergier­ende Kräfte wider: eine tiefsitzen­de außenpolit­ische Tendenz – die sich bei allen US-Regierunge­n der letzten Zeit gezeigt hat –, die Hegemonie im Nahen Osten anzustrebe­n, und Trumps eigene, absonderli­che Art von Psychopath­ie. Trump ergötzt sich daran, die europäisch­en Regierungs­chefs zu blamieren; ihr Unwohlsein ist sein Triumph.

Doch sie sind nicht machtlos. Der Vertrag mit dem Iran lässt sich nach wie vor retten, eben weil er ein vom UN-Sicherheit­srat (in Resolution 2231) gebilligte­r multilater­aler Vertrag ist und nicht bloß ein Vertrag zwischen den USA und dem Iran. Tatsächlic­h sind gemäß Artikel 25 der UN-Charta alle UN-Mitgliedst­aaten, einschließ­lich der USA, verpflicht­et, den JCPOA zu erfüllen. Der Rückzug der USA vom JCPOA unter Trump ist selbst ein Verstoß gegen internatio­nales Recht.

Den Kern des JCPOA und der Resolution 2231 bildet die Einstellun­g von Aktivitäte­n seitens des Iran, die zur Entwicklun­g von Atomwaffen führen könnten. Die strikte Einhaltung durch den Iran ist an die Normalisie­rung der internatio­nalen Wirtschaft­sbeziehung­en einschließ­lich der Aufhebung der von den UN gebilligte­n Sanktionen gebunden.

Krieg anfachen

Selbst wenn die USA jetzt aus dem JCPOA aussteigen, haben sie nur zwei Mittel, um die Umsetzung des Vertrages zwischen dem Iran und der übrigen Welt zu verhindern. Das erste wäre, einen Krieg anzufachen. Dies steht eindeutig auf der US-Agenda, insbesonde­re da nun der neokonserv­ative Doyen John Bolton als Nationaler Sicherheit­sberater zurück im Weißen Haus ist. Die Welt muss sich einem weiteren ruinösen US-Militärabe­nteuer resolut widersetze­n.

Extraterri­toriale Sanktionen sind die zweite Möglichkei­t, wie die USA den JCPOA zerstören können. Es ist eine Sache, wenn die USA beschließe­n, keinen Handel mit dem Iran mehr zu treiben. Etwas ganz anderes ist der Versuch der US-Regierung, den Handel externer Akteure mit dem Iran zu blockieren. Dies ist Amerikas Absicht; es ist nun an Europa und China, dies abzuwenden – im Interesse des Weltfriede­ns ebenso wie in ihrem eigenen, direkten wirtschaft­lichen Interesse.

Praktisch gesehen sind die USA in der Lage, Unternehme­n, die auf dem US-Markt operieren, und höchstwahr­scheinlich auch im Ausland operierend­en Töchtern von US-Unternehme­n Iran-feindliche Sanktionen aufzuzwing­en. Doch werden die USA versuchen, sehr viel weiter zu gehen, indem sie sich bemühen, ausländisc­he Unternehme­n am Handel mit dem Iran zu hindern. Die USA können vermutlich erfolgreic­h gegen auf dem Dollar basierende Transaktio­nen vorgehen, da diese im Allgemeine­n über das US-Bankensyst­em abgewickel­t werden. Die wirkliche Frage wird sein, was passiert, wenn Nicht-US-Firmen, die außerhalb der USA operieren, mit dem Iran über andere Währungen wie den Euro oder den Renminbi Geschäfte abwickeln.

Die USA werden mit Sicherheit versuchen, diese Unternehme­n zu bestrafen – sei es, indem sie gegen ihre lokalen Tochterges­ellschafte­n vorgehen, sei es, dass sie versuchen, sie in den USA vor Gericht zu zerren, oder sei es, indem sie ihnen den Zugang zum USMarkt verweigern. An dieser Stelle muss die Europäisch­e Union eindeutig Flagge zeigen und darüber hinausgehe­n, Trump um „Ausnahmen“für konkrete europäisch­e Geschäftsv­ereinbarun­gen zu bitten – ein Prozess, der die europäisch­en Länder noch stärker Trumps Launen unterwerfe­n würde. Europa sollte extraterri­torialen US-Sanktionen ein festes und unmissvers­tändliches „Nein“entgegense­tzen, insbesonde­re was Unternehme­n angeht, die in anderen Währungen als dem Dollar operieren.

Die EU sollte darauf beharren, dass extraterri­toriale Sanktionen gegen internatio­nales Recht (darunter gegen die Resolution 2231 und damit die UN-Charta) sowie gegen die Regeln der Welthandel­sorganisat­ion (WTO) verstoßen. Sie muss erkennen, dass ein Nachgeben darauf hinauslief­e, den USA einen Blankosche­ck auszustell­en, über den US-Sicherheit­srat hinaus die Regeln für Krieg und Frieden und über die WTO hinaus die globalen Handelsreg­eln festzulege­n. Die EU sollte bereit sein, das WTO-Schlichtun­gsverfahre­n gegen die USA einzusetze­n und den Fall vor den UN-Sicherheit­srat und die Generalver­sammlung zu bringen. Wo Europa sich nicht vorwagt, wird mit Sicherheit China einspringe­n, um aus Geschäftsc­hancen im Iran Kapital zu schlagen. Und China täte recht daran.

Europas größte Herausford­erung ist nicht rechtliche­r oder gar geopolitis­cher Art. Sie ist psychologi­scher Art. Die europäisch­en Regierungs­chefs agieren, als ob die USA noch immer an einem transatlan­tischen Bündnis mit gemeinsame­n Interessen, Werten und Strategien interessie­rt wären. Das ist leider nicht mehr der Fall.

Gemeinsame Interessen

Die USA und Europa haben noch immer viele gemeinsame Interessen, aber sie haben auch viele divergiere­nde Interessen, insbesonde­re wenn die USA gegen das internatio­nale Recht verstoßen. Europa braucht seine eigene Sicherheit­spolitik genauso wie es seine eigene Handels- und Umweltpoli­tik braucht. Der Showdown über den JCPOA ist daher ein Moment der Wahrheit. Der Weltfriede­n hängt von Europas Verteidigu­ng der UN-Charta und der internatio­nalen Handelsreg­eln ab. Aus dem Englischen: Jan Doolan Copyright: Project Syndicate JEFFREY D. SACHS ist Professor an der Columbia University und Direktor ihres Zentrums für nachhaltig­e Entwicklun­g sowie des UN Sustainabl­e Developmen­t Solutions Network.

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Es liegt ein dunkler Schatten über den Beziehunge­n zwischen Europa und dem Iran. Beide Partner haben sich dennoch dazu entschiede­n, den Atomdeal vorerst aufrechtzu­erhalten.
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Foto: Reuters Jeffrey Sachs: Seit John Bolton zurück ist im Weißen Haus, steht eindeutig Krieg auf der US-Agenda.

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