ORF 1, ORF Meins: Die neue Senderchefin
Lisa Totzauer hat gute Aussichten auf die ORF-Führung in türkis-blauen Zeiten. Davor muss sie ein in diesem Rundfunk fast unlösbares Problem lösen: ORF 1 neu erfinden – mit Erfolg.
Wenn ich mir die Quoten von ORF 1 ansehe, dann zählt jeder Tag. Bei ORF 1 drängt die Zeit.“267 dieser entscheidenden Tage von ORF 1 sind vergangen, seit Lisa Totzauer im Branchenmagazin Journalist zu Taten drängte. Es brauchte dieses Dreivierteljahr, bis ORF-Chef Alexander Wrabetz einen Senderchef für ORF 1 bestellt, der allein den einen Kanal im Blick hat und neu aufstellt: Lisa Totzauer.
Schon im Spätsommer 2017, als das forsche Interview mit der hemdsärmeligen ORF-1-Infochefin erschien, war das Problem des ersten ORF-Programms Jahrzehnte bekannt: Mit US-Serien und Hollywoodblockbustern, Fußball, Skifahren und Formel 1 lässt sich in Zeiten von Netflix, Amazon Prime sowie zahllosen Privatsendern wenig gewinnen. Und Premiumsportrechte meist nur noch verlie- PORTRÄT: ren, in Zeiten ebenso finanzstarker Pay-Plattformen wie Sky, Discovery und Dazn.
Der junge ORF-Kanal braucht mehr eigenes, österreichisches Programm – Wissensformate, Quiz und Infotainment etwa im Vorabend. Und mehr Information – ein tägliches „Nachrichtenmagazin“bereitet sie vor.
Schädliche Erwartungen
Die 47-jährige Journalistin prägt ORF 1 seit 2013 mit Entwicklungen wie Wahlfahrt, Dokeins- Dokus, Nationalraten und dem Onlineportal Meins. Bis 2012 war sie Sendungschefin der Zeit im Bild und wäre beinahe TV-Magazinchefin geworden – hätte sich der damalige Infodirektor Elmar Oberhauser nicht gegen sie als „ÖVPWunsch“quergelegt.
„Politische Zuordnungen sind für den ORF schädlich, für die Politik, für den Journalismus“, erklärte Totzauer dem Journalist 2017: „Schädlich ist auch, wenn die Politik von jemandem, den sie zu etwas gemacht hat, dann etwas erwartet.“Totzauer wird, nach einem Jahrzehnt Debatte über Channel-Manager, Senderchefin und vielleicht mehr im ORF – jedenfalls auch, weil die ÖVP etwas erwartet.
Mit Johanna Mikl-Leitner, heute Landeshauptfrau und ÖVPChefin in Niederösterreich, ist sie seit 1997 befreundet. Die Wienerin beginnt damals beim ORFNiederösterreich, Mikl-Leitner ist Marketingchefin der Landes-ÖVP.
Über Sebastian Kurz hat sie zu Geilomobil-Zeiten in der jungen ÖVP erstmals berichtet. Sie ist mit ihm per du; mit VP-Chef und Bundeskanzler Kurz habe sie seither wenige Sätze gewechselt, sagt sie.
Zu ihrer journalistischen Arbeit haben auch anderen Lagern „zugeordnete“Kollegen bisher kaum Zweifel, aber viel Respekt geäu- ßert. Mit Werner Mück, bürgerlicher Autokrat der ORF-Information unter ÖVP und FPÖ ab 2000, krachte sie als ZiB 2- Redakteurin zusammen, etwa als sie den damaligen Kanzler Wolfgang Schüssel an ganz andere Aussagen zu Pensionsreformen erinnerte.
Konfrontation sieht sie schon länger sportlich: Totzauer focht im Nationalteam. Mit dem Degen, einem eher männlich konnotierten Sportgerät. Auf einem Fechtlager lernte sie Ende der 1980er ihren heutigen Mann kennen, ein Unternehmensberater, sie haben einen Sohn und eine Tochter.
Führungskräfteprogramm
Maßgebliche bürgerliche ORFStiftungsräte finden Totzauer etwas zu „autonom“. Oder lassen mit Einwänden über ihr Auftreten und Äußeres – meist Hosen, Jeans, Shirt, Sakko – aufhorchen, wenn das Thema auf Karriereaussichten Totzauers kommen. Totzauer wurde aber auch in Fraktionssitzungen der bürgerlichen ORFRäte gesichtet. Kurz’ Umfeld soll ihre direkte Art auf dem großen politischen Taktikexerzierplatz ORF positiv auffallen. Neun Dokeins- Termine aus jedem Bundesland sollen im Herbst zeigen, was die EU für Österreich bedeutet.
ORF 1 kann sie auch als Senderchefin nicht autonom führen: ORFChef Alexander Wrabetz und Programmdirektorin Kathrin Zechner, auch nicht immer einer Meinung, reden mit.
Totzauer fliegt nun erst einmal nach Barcelona zum Executive Program der europäischen Rundfunkunion für Führungskräfte von Medienhäusern, die dort lernen sollen, „erfolgreiche Strategien zu entwickeln, die ihr Unternehmen zukunftssicher machen und ihre Mitarbeiter zu Höchstleistungen motivieren“. Könnte man noch brauchen, auch im ORF.