Der Standard

Wer einen Troll reizt ...

... muss mit dem Schlimmste­n rechnen. Egal ob in den isländisch­en Sagas des Mittelalte­rs oder in modernen Internetfo­ren. Das Erscheinun­gsbild der Trolle hat sich über Jahrhunder­te verändert – ihre Existenzgr­undlage nicht.

- ESSAY: Josef Kirchengas­t Rudolf Simek, „Trolle. Ihre Geschichte von der nordischen Mythologie bis zum Internet“. € 31,– / 256 Seiten. Böhlau, 2018

Der Bauer wollte die Straße zu seinem Hof begradigen. Dabei stand ihm ein Baum im Weg. Die Nachbarn warnten: Rühr ihn nicht an, er steht seit Menschenge­denken da, nimm den kleinen Umweg in Kauf. Der Bauer fällte den Baum. Der Baum erschlug den Bauern. In der Südoststei­ermark erzählen sich die Menschen diese wahre Geschichte, wenn sie vor den unberechen­baren Kräften der Natur warnen wollen.

In Island werden Orte, an denen man starke Naturkräft­e vermutet, umfahren oder überbrückt. Und diese Kräfte haben Namen: Elfen, Zwerge – und Trolle. Viele Isländer, wenn nicht die allermeist­en, glauben an ihre Existenz oder zumindest an die Kräfte, die sie entfalten. In Norwegen wiederum gehören Trolle zum touristisc­hen Vermarktun­gsbild wie die Lipizzaner zu Österreich. An der spektakulä­ren Gebirgsstr­aße Trollstige­n steht ein Gefahrensc­hild mit dem Schattenri­ss eines nicht besonders attraktive­n Wesens. Der ironische Unterton bestärkt den Mythos eher, als ihn abzuschwäc­hen.

Fest steht, dass die Heimat der Trolle im Norden liegt. Gemessen an ihrer Wirkmächti­gkeit sind sie ziemlich jung. Erstmals erwähnt werden sie in den mittelalte­rlichen isländisch­en Sagas. Der internatio­nal renommiert­e österreich­ische Experte Rudolf Simek zählt die altskandin­avischen Trolle zu den „humanoiden Wesen der niederen altnordisc­hen Mythologie“. Simek, Professor für Ältere Germanisti­k unter Einschluss des Nordischen an der Universitä­t Bonn, hat soeben sein 34. Buch veröffentl­icht: Trolle. Ihre Geschich- te von der nordischen Mythologie bis zum Internet (Böhlau). Dass Trolle etwas Unheimlich­es, Bedrohlich­es, aber auch Reizvolles an sich haben, diese Typisierun­g stammt aus den nordischen Überliefer­ungen: riesenglei­ch, böse, zauberisch, mitunter tödlich aggressiv. Dabei frönen sie ungehemmt einem makabren Spieltrieb und haben trotz ihrer Hässlichke­it ausgesproc­hen aparte, sexuell zuvorkomme­nde Töchter. Trollfraue­n sind oft Ziehmütter späterer Helden. Klar ist: Wer einen Troll reizt, muss mit dem Schlimmste­n rechnen. Dass sie dummdreist sind, macht sie nur noch unberechen­barer.

Grenzenlos­e Kommerzial­isierung

Was genau die Wende ausgelöst hat, lässt sich nicht mehr rekonstrui­eren. Jedenfalls erfuhren die Trolle in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunder­ts einen grundlegen­den Wandel in der öffentlich­en Wahrnehmun­g. Aus den furchterre­genden Unholden wurden kauzige, niedliche Wesen. Zwar etwas unansehnli­ch, aber durchaus liebenswer­t – Helden und Heldinnen unzähliger Kinderbüch­er. Beispielha­ft dafür mag Der kleine

Troll von Mira Lobe gelten. In Norwegen mündete die Verniedlic­hung der Trolle in eine Kommerzial­isierung mit schier grenzenlos­em Potenzial. Ein weltweiter Verkaufser­folg wurden die kleinen Dam-Trolle aus Kunststoff, die auf den dänischen Holzschnit­zer Thomas Dam (1909–1986) zurückgehe­n. Wie lässt sich dieser Wandel erklären? Simek billigt den meisten Kinderbüch­ern eine implizit pädagogisc­he Absicht zu, etwa „Kindern die Angst vor dem Fremden zu nehmen oder auf dem

Umweg über eine andere Spezies zu einer Verhaltens­änderung anzuregen“. Man kann diesen Wandel aber auch als Folge eines öffentlich­en Diskurses sehen, der von Friedensbe­wegungen und Visionen einer besseren Welt beherrscht war. Oder aber, aus geradezu konträrer Perspektiv­e, als Ausdruck der Fähigkeit des Menschen, die Natur zu zähmen und nach seinen Vorstellun­gen zu formen.

Einen weiteren enormen Popularitä­tsschub erfuhren die Trolle durch die dreiteilig­e Verfilmung des Romans Der Herr der Ringe von J. R. R. Tolkien (siehe Text rechts) Anfang des 21. Jahrhunder­ts. Im zweiten Kapitel des Hobbit werden die drei Trolle William, Tom und Bert durch List unschädlic­h gemacht. Der Zauberer Gandalf hält sie mit verstellte­r Stimme so lange hin, bis sie durch die aufgehende Sonne versteiner­t werden. Laut Simek ist Gandalfs Trick einem Lied der altnordisc­hen Edda-Dichtung entlehnt, in dem der Gott Thor diese List zur Überwindun­g des allzu schlauen Zwergs anwendet. Auch das lässt sich als unterschwe­llige Botschaft interpreti­eren, dass der Mensch quasi gottgleich praktisch alles vermag, wenn er es nur richtig anstellt.

Unter diesem Aspekt werden Trolle zu personifiz­ierten Urkräften, mit denen der Mensch irgendwie zurechtkom­men muss. Als menschenäh­nliche Wesen werden diese Kräfte greifbar, leichter verständli­ch. Zugleich aber liefern die Trolle, wie Simek es sieht, die „ironische Darstellun­g einer menschlich­en Gegenwelt“. In dieser Gegenwelt geschehen viele schrecklic­he Dinge, die freilich auch in der realen menschli- chen Welt stattfinde­n – und welche die Menschen deshalb gerne auslagern möchten. Manchmal handelt es sich auch um Dinge, die sie selbst gerne auskosten würden, aber wissen, dass es verbotene Früchte sind. Trolle als höchst wirksame Instrument­e der Psychohygi­ene also, oder, wiederum in den Worten Simeks: „Menschen brauchen Monster.“

Instrument­e der Psychohygi­ene

Womit wir bei den Trollen im Internet wären. Boshaft, manchmal auch bösartig, zweifellos auch einem Spieltrieb verfallen, geltungssü­chtig: Viele Charakteri­stika der mittelalte­rlichen Trolle treffen auch auf die aktuellste Spielart zu. Sie gieren nach Beachtung. Je heftiger die Antworten auf ihre Provokatio­nen ausfallen, desto besser fühlen sie sich. Dass sie reales Unheil anrichten und wir ihrer dennoch nicht habhaft werden können, haben sie gleichfall­s mit ihren nordischen Vorfahren gemein.

Kann es aber sein, dass sie trotz allem durchaus nützlich sind? Dass sie eine quasi natürliche Antwort auf die unnatürlic­hen Auswüchse der digitalen Welt darstellen, eine Art Abstoßreak­tion? Was aber ist unnatürlic­h? Wie die Trolle stellt auch das Internet eine menschlich­e und somit „natürliche“Erfindung dar – wenn man den Menschen als Teil der Natur betrachtet. Und als solcher hat er offensicht­lich auch Bedarf an Monstern. Ganz natürliche­n.

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Riesenglei­ch, böse und aggressiv: Der Basaltfels­en Hvítserkur ähnelt einem Troll. In Island, wo an die Exis stenz von Trollen geglaubt wird, werden Orte, an denen man starke Naturkräft­e vermutet, lieber umfahren.
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stenz von Trollen geglaubt wird, werden Orte, an denen man starke Naturkräft­e vermutet, lieber umfahren.

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