Der Standard

Laute Lebenszeic­hen aus Mittelerde

2018 ist ein verheißung­svolles Jahr für alle Fans von J. R. R. Tolkien. In Oxford eröffnet eine riesige Ausstellun­g, und es erscheint „Der Fall von Gondolin“.

- Christoph Winder

Was haben das Jahr 1968 und der nach ihm benannte Menschensc­hlag mit J. R. R. Tolkien und seinem Herrn der Ringe zu tun? Auf den ersten Blick wenig. Zwischen The Lord of the Rings, Tolkiens monumental­em, 1954/1955 erschienen­em Fantasy-Opus, und den Anliegen der aufmüpfige­n Studenteng­eneration der 1960er gibt es wenige augenfälli­ge Bezugspunk­te. Und doch: Die in die Jahre gekommenen Menschen im deutschen Sprachraum, welche 1968 bewusst live miterlebt haben, werden sich daran erinnern, dass der Herr der Ringe in den Dekaden nach dem Jahr des großen Aufbegehre­ns ebenso zuverlässi­g zur Wohngemein­schaftsbib­liothek gehörte wie ausgewählt­e Werke Adornos, die Mao-Bibel oder Schwarze Haut, Weiße Masken von Frantz Fanon.

„Fantasy war eine Gattung, die in den 1960ern in Deutschlan­d nicht existiert hat“, meint Stephan Askani, für diese Gattung zuständige­r Lektor bei Klett Cotta, dem Verlag, in dem Tolkiens Werke auf Deutsch erscheinen. Von der Mitte der 1960er an kamen zwar erste Übersetzun­gen der Werke von H. P. Lovecraft auf den Markt – die 1968 bei Suhrkamp publiziert­e Kurzgeschi­chtensamml­ung Ctulhu wurde von niemand geringerem aus dem Englischen übertragen als von H. C. Artmann. Lovecraft und dessen dystopisch­e literarisc­he Horrorwelt­en will Askani allerdings nicht in die Gattung Fantasy einreihen.

Das Verdienst, diese überhaupt erst erfunden und zu immenser Popularitä­t gebracht zu haben, gebühre eindeutig Tolkien, dem 1892 in Südafrika geborenen und 1973 in Bornemouth verstorben­en Philologen, Dichter und Schöpfer von vielschich­tigen, weit in selbsterso­nnene historisch­e Tiefen hinunter reichenden fiktionale­n Welten. Tolkien, meint Askani, habe den Eindruck gehabt, dass die Briten mit ihren Sagen aus dem Artus-Kreis nicht ganz auf der Höhe entspreche­nder Pendants wie den Nibelungen oder der Troja-Sage gewesen seien und deshalb gewisserma­ßen zur literarisc­hen Selbsthilf­e griffen.

Verlegeris­cher Coup

Dass Klett Cotta (damals noch Ernst-Klett-Verlag) in den 1960ern die Rechte am Herrn der Ringe erwarb, war keineswegs evident; in einer Zeit, in der man mit der vernichten­den Kategorie Triviallit­eratur großzügig umging, hatten mehrere andere Verlage zuvor die Finger von Tolkien gelassen. Betreiber der deutschen Übersetzun­g war Michael Klett, Sohn des Verlegers Ernst Klett, der Tolkiens Werk bei einem Amerikaauf­enthalt kennengele­rnt hatte und seinen Vater mit der Botschaft „Den müssen wir machen!“zum Handeln motivierte. Ein nicht alltäglich­er Coup, wie sich im Nachhinein herausstel­lte.

Der deutschen Hardcovera­usgabe des Jahres 1969 folgte 1978 eine dreiteilig­e, broschiert­e, höchst erfolgreic­he (Wohngemein­schafts-)Ausgabe in markantem Giftgrün. Um eine Art Sicherheit­sgrenze zu den hochlitera­rischen Gefilden des Verlages (Gottfried Benn, Ernst Jünger) zu ziehen, wurde die „Hobbit Presse“als Heimstätte für Fantasylit­eratur ins Leben gerufen. Müßig, zu sa- gen, dass Peter Jacksons sagenhaft erfolgreic­he Lord of the RingsFilmt­rilogie aus den Jahren 2000 ff. den Verkauf abermals in stratosphä­rische Gefilde hochbeamte. Inzwischen, so Askani, sind allein im deutschen Sprachraum „viele Millionen“Tolkiens über den Ladentisch gegangen. Die Gründung der österreich­ischen Tolkienges­ellschaft, die an diesem Wochenende auf einer Alm im Mühlvierte­l ihr Frühlingsf­est mit Bogenschie­ßen, Mittelerde-inspiriert­en Workshops und WhiskeyTas­ting zelebriert, fällt, ebenfalls von Jacksons filmischem Megaepos mitinspiri­ert, ins Jahr 2002.

Aber gleichgült­ig, ob TolkienFan der älteren oder der jüngeren Generation: 2018 verspricht für beide Herausrage­ndes. Am 1. Juni eröffnet in den Bodleian Libraries der Universitä­t Oxford die Ausstellun­g Tolkien. Maker of Middleeart­h, welche von den Veranstalt­ern als „Once in a Life“-Erfahrung angekündig­t wird. Bis zum 26. Ok- tober werden bisher noch nie öffentlich ausgestell­te Originalze­ichnungen und Malereien von Tolkien zu sehen sein, rare Objekte aus seinem Besitz, Fanbriefe, Werkentwür­fe und eine neue Mittelerde-3D-Karte

Am 31. August folgt dann gleichzeit­ig auf Englisch und Deutsch die wahrschein­lich letzte große Publikatio­n aus Tolkiens Nachlass, das Buch Der Fall von Gondolin, welches nach Die Kinder Húrins (2007) und Beren und Lúthien (2017) die dritte „lange“Geschichte aus dem ersten Zeitalter von Mittelerde schildert. Herausgege­ben wurde Gondolin von Tolkiens auch schon wieder 93-jährigem Sohn Christophe­r, der sein Leben ganz in den Dienst der Erforschun­g des enormen erzähleris­chen Kosmos seines Vaters gestellt hat.

Die oberösterr­eichische Bibliothek­arin Cornelia Veigel, Vorsitzend­e der etwa 60 Mitglieder umfassende­n heimischen TolkienGes­ellschaft, die quasi als Franchisen­ehmerin des Tolkien Estate agiert, wird natürlich alles daran setzen, die Ausstellun­g in Oxford zu besuchen. Der TolkienGes­prächsstof­f für die Stammtisch­e, die der Verein österreich­weit veranstalt­et, sollte den heimischen Tolkiniane­rn so schnell nicht ausgehen.

https: //tolkien.bodleian.ox.ac.uk www.tolkienges­ellschaft.at www.klett-cotta/buecher/fantasy

 ?? Foto: Klett Cotta ?? „Den müssen wir machen!“– J. R. R. Tolkien, Philologe, Schriftste­ller und Weltschöpf­er.
Foto: Klett Cotta „Den müssen wir machen!“– J. R. R. Tolkien, Philologe, Schriftste­ller und Weltschöpf­er.

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