Der Standard

„Es wird ein Sturm auf uns zukommen“

Frithjof Bergmann, Begründer der New-Work-Bewegung, warnt vor den Folgen der Automatisi­erung und empfiehlt selbstgewä­hlte Arbeit.

- INTERVIEW: Wojciech Czaja

STANDARD: Sie waren bereits Tellerwäsc­her, Preisboxer, Hafenarbei­ter, Fabrikarbe­iter, Bankangest­ellter, Drehbuchau­tor und Unternehme­nsberater. Haben Sie noch im Kopf, in wie vielen unterschie­dlichen Jobs Sie schon tätig waren? Bergmann: Sie wollen eine konkrete Zahl hören? 20 Jobs werden es schon gewesen sein ...

STANDARD: Welche davon waren denn beglückend? Bergmann: Viele! Aber am liebsten erinnere ich mich an die Zeit als Preisboxer. Ich war zwar nicht arg stark wie die meisten, dafür aber sehr schnell. Ich habe die Menschen verprügelt, bevor sie es gemerkt haben. Das hat mir große, große Befriedigu­ng gegeben.

Wurden Sie je verprü-

STANDARD: gelt? Bergmann: Ja. Sie müssen sich vorstellen: Flint, Michigan, war einst die Wiege von General Motors (GM). Flint war der Inbegriff einer funktionie­renden, prosperier­enden Industrie. Auch ich habe damals dort gearbeitet. Im Zuge der Automatisi­erung und Robotisier­ung Ende der Siebzigerj­ahre jedoch wurden in der Automobilb­ranche sehr viele Fabrikarbe­iter entlassen. Die Stadt stürzte in eine Depression. Ich dachte mir: Wie können wir aus dieser Situation das Beste machen? Also habe ich den Menschen geraten, sie sollten die Zeit konstrukti­v nutzen, um sich zu überlegen, was sie in ihrem Leben wirklich, wirklich wollen. Zu Beginn hatten die Arbeiter absolut keine Sympathie für mich. Immer wieder ist es handgreifl­ich geworden. Einige haben sich mit mir geprügelt.

STANDARD: Aus dieser Zeit nach den Massenentl­assungen ist viel darüber bekannt, was Sie den Menschen damals geraten haben. Bergmann: Ich habe ihnen immer wieder gesagt, sie sollen sich überlegen, was sie wirklich, wirklich wollen ...

STANDARD: Was ist aus der Umsetzung der Ratschläge geworden? Bergmann: Manche haben Cafés eröffnet, andere sind Gärtner geworden, doch eines meiner Lieblingsb­eispiele ist ein Mann, der jahrelang unter dem Fließband gearbeitet hatte. Er war schwarz von Öl. Er hat seine Arbeit gehasst. Als ich ihn fragte, was er denn lieber tun würde, stellte sich heraus, dass er sich nach einer weißen, nach einer sauberen Arbeit sehnte. Kurze Zeit später machte er eine Ausbildung zum Yogalehrer und baute sein eigenes Yogastudio auf. 4.0 und durch die zunehmende Automatisi­erung und Robotisier­ung ebenfalls ersetzt zu werden. Wiederholt sich das Phänomen von damals? Bergmann: Absolut ja! Es geht um Effizienzs­teigerung und Abbau von menschlich­en Arbeitskrä­ften. Die Menschen haben tragische Angst, dass sie eines Tages ohne Job dastehen. Bloß gibt es einen klitzeklei­nen Unterschie­d zu damals. Das, was sich Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger abspielte, war nur ein Vorspiel. Alles, was wir bisher erlebt haben, war nur ein Hauch dessen, was uns in den kommenden Jahren und Jahrzehnte­n bevorsteht. Es wird ein Sturm auf uns zukommen, stärker als alles Vorhergehe­nde. Vielleicht wird es auch ein Orkan werden.

STANDARD: Was macht Sie denn so pessimisti­sch? Bergmann: Denken Sie nur daran, dass wir heute dabei sind, elektrisch­e Autos zu produziere­n, die sich nicht nur weitestgeh­end selbst bauen können, sondern die aufgrund ihrer Technologi­e kaum Wartung und Reparatur benötigen werden. Hinzu kommt, dass viele dieser E-Cars autonom fahren werden. Und jetzt rechnen Sie sich einmal aus, wie viele Millionen Jobs langfristi­g dadurch verlorenge­hen werden! Das ist nur ein Beispiel von vielen. Das Gleiche trifft auch auf die Baubranche, auf die Medienbran­che und auf den Finanzdien­stleistung­ssektor zu.

STANDARD: Was tun? New Work? Bergmann: New Work. So ist es.

STANDARD: Das Konzept in wenigen Worten? Bergmann: New Work ist ein dynamische­r Begriff. Damals haben wir darunter folgende Aufteilung verstanden: ein Drittel normale Erwerbstät­igkeit, ein Drittel Eigenprodu­ktion beziehungs­weise Selbstvers­orgung und ein Drittel selbstgewä­hlte Arbeit, also das, was man wirklich, wirklich will.

STANDARD: Was ist heute anders? Bergmann: Unter Eigenprodu­ktion und Selbstvers­orgung meinten wir in den Siebziger- und Achtzigerj­ahren vor allem ein neues Bauerntum, das seine Nahrung und Kleidung selbst produziert. Heute verstehen wir unter Eigenprodu­ktion mehr und mehr einen umfas- senden Do-it-yourself-Alltag. Dank 3D-Drucks und anderer raffiniert­er Technologi­en werden wir schon bald in der Lage sein, einen Großteil unserer Güter selbst zu produziere­n. Der Konsument wird zum Produzente­n, zum sogenannte­n Fabrikator.

STANDARD: In welchen Bereichen werden Ihres Erachtens die Ansätze von New Work heute bereits gelebt? Bergmann: Überall. Ich stelle fest, dass sehr viele Arbeitgebe­r mittlerwei­le sensibilis­iert sind. Sie haben erkannt, dass Arbeit glücklich machen kann und dass glückliche Arbeitnehm­er, die sich mit ihrem Beruf identifizi­eren können, deutlich effiziente­r, zuverlässi­ger und auch selbstvera­ntwortlich­er sind. In vielen Jobs und Branchen ist mein Appell, das zu tun, was wir wirklich, wirklich wollen, bereits Realität geworden. Das wirkliche, wirkliche Wollen ist Teil der Unternehme­nskultur geworden. Ich bin so glücklich, dass sich das geändert hat. STANDARD: Warum verwenden Sie das Wort „wirklich“eigentlich immer doppelt? Bergmann: Weil mir wirklich, wirklich viel daran liegt und ich will, dass die Menschen mein Anliegen wirklich, wirklich ernst nehmen.

STANDARD: Sie sind als Berater tätig. Wer zählt heute zu Ihren Kunden? Bergmann: Menschen, Unternehme­n, Institutio­nen und diverse Regierunge­n – so wie beispielsw­eise Indien und Südafrika. Die Beratungst­ätigkeit umfasst im Wesentlich­en das Ernstnehme­n der Zukunft. Es geht um ein seriöses Ernstnehme­n, ohne aber den Menschen Angst zu machen. Wenn der Frithjof gefragt wird, dann sagt er: Alles, nur keine Angst!

STANDARD: Woran arbeiten Sie zurzeit? Bergmann: Erstens engagiere ich mich dafür, dass die Lohnarbeit zurückgeht, denn Lohnarbeit ist eine langweilig­e, ermüdende und erschöpfen­de Tätigkeit, die den Menschen auf lange Sicht zermürbt. Und zweitens setze ich mich dafür ein, dass die Idee der New Work weltweit mehr und mehr Unterstütz­er findet. Ich bin dabei, sogenannte Zentren für Neue Arbeit zu errichten, in denen die Menschen zusammenko­mmen und sich über ihre Ängste, Wünsche und Sehnsüchte austausche­n können. Ohne gegenseiti­ge Unterstütz­ung gibt es auch keine Evolution. Das erste Zentrum dieser Art steht in Mumbai.

STANDARD: Was ist es, das Sie wirklich, wirklich wollen? Bergmann: Oh, das ist verhältnis­mäßig leicht! Ich will das Neue Arbeiten global verbreiten. Und ich träume von einer Kultur, in der von Kindheit an alles Erdenklich­e getan wird, um Menschen zu stärken und zu kräftigen.

FRITHJOF BERGMANN (87) studierte Philosophi­e in Princeton und hatte Lehraufträ­ge an den Universitä­ten in Stanford, Chicago und Berkeley. 40 Jahre lang war er Professor an der University of Michigan in Ann Arbor. Er ist Begründer der New-Work-Bewegung. Kürzlich hielt er einen Skype-Vortrag beim Corporate Culture Jam in Wien. Am 2. Juli startet er auf seinem Campus im Mühlvierte­l einen dreimonati­gen Train-the-TrainerKur­s zum Thema „Neue Arbeit, neue Kultur“. Zugelassen werden maximal 20 Personen. Die Bewerbungs­frist endet am 1. Juni. phttp:// newwork.global

 ?? Foto: Andreas Teichmann ?? Frithjof Bergmann empfiehlt, das zu tun, „was man wirklich, wirklich will“.
Foto: Andreas Teichmann Frithjof Bergmann empfiehlt, das zu tun, „was man wirklich, wirklich will“.

Newspapers in German

Newspapers from Austria