Der Standard

Damit nicht gleich der Kamm schwillt

Destruktiv­e Mächte in Verhalten und Gespräch kennen und vermeiden: eine gute Strategie, um auf einen gemeinsame­n Nenner zu kommen, statt in Rage, Aggression oder Frustratio­n zu geraten.

- Hartmut Volk

Zielvorste­llung eines Gesprächs ist es meist wohl, sich über irgendetwa­s zu verständig­en, eine Einigung zu erzielen oder sonst wie auf einen gemeinsame­n Nenner zu kommen. Weniger doch wohl, sich wechselsei­tig gegeneinan­der aufzubring­en und zu frustriere­n. Doch wie das Alltagsges­chehen zeigt: Genau das geschieht in schöner Regelmäßig­keit. Privat, kollegial, führend, in Verkauf oder Service frustriere­n einander Ich und Du ziemlich oft beim Wortwechse­l.

Dissonanze­n in der Sache? Unvereinba­re Zielvorste­llungen? Überzogene Zumutungen? Mit dem falschen Bein aufgestand­en? All das kann dazu beitragen. Tut es oft genug auch. Aber weitaus mehr sorgen ganz andere Auslöser dafür, dass sich die Haare sträuben, der Kamm schwillt, Adrenalin ausgeschüt­tet und die Faust in der Tasche geballt wird. Und hinterher die Frage beschäftig­t: „Was, verflixt, ist hier abgelaufen?“

Nun, was hier Rätsel aufgibt, ist oft schon für den außenstehe­nden Beobachter nichts Rätselhaft­es. Geschweige denn für den geschulten Kommunikat­ionspsycho­logen. Wohl am häufigsten entgleist und eskaliert der alltäglich­e Wortwechse­l schnell und zuverlässi­g durch Verhaltens­nuancen im Gespräch. Die Art, sich zu geben oder gar aufzuspiel­en, kann in ihrer Wirkung beachtlich­en zwischenme­nschlichen Schaden anrichten. Wer die destruktiv­e Macht von Verhaltens­weisen im Gespräch nicht einzuschät­zen weiß und sie folglich auch nicht beachtet, stellt sich selbst ein Bein. Können sie im Handumdreh­en doch tiefste Betroffenh­eit bis hin zu massivstem Ärger auslösen.

Vier Ohren

Für diese Verhaltens­weisen haben Menschen ein hochempfin­dliches Alarmsyste­m. Eher noch als bewusst erspüren sie unbewusst, wenn in der Gesprächsb­alance irgendetwa­s nicht stimmt. Weil sie mit vier Ohren registrier­en, was und wie kommunizie­rt wird, wie der Hamburger Psychologi­eprofessor Friedemann Schulz von Thun sagt: Mit dem Sach-, dem Beziehungs-, dem Appell- und dem Selbstoffe­nbarungsoh­r. Kommunikat­ion, so Schulz von Thun, ist von ihrem Aussagewer­t her stets quadratisc­h. Miteinande­r reden vollzieht sich in einem Kommunikat­ionsquadra­t.

Direkt oder indirekt vermittelt die oder der Sprechende den Angesproch­enen gleichzeit­ig vier Botschafte­n: die Sach-, die Beziehungs-, die Appell- und die Selbstoffe­nbarungsbo­tschaft. Diese Botschafte­n „hört“die andere Seite und bewertet sie: Das Sachohr vernimmt und bewertet, worum es geht; das Beziehungs­ohr, was die andere Seite von mir hält und wie wir zueinander stehen; das Appellohr, wozu sie mich veranlasse­n möchte; das Selbstoffe­nbarungsoh­r, was die oder der andere von sich selbst kundgibt.

Der Irrtum, der Gesprächsf­ührende missmutig im offenen oder verdeckten Ärger oder Dissens auseinande­rgehen lässt, ist also die Annahme, Gesprächse­ntwicklung und -ergebnis würden sich auf der Sachebene entscheide­n. Doch das Sachohr ist eben nicht der bestimmend­e und tonangeben­de Herr im Haus der Gesprächsf­ührung. Missfallen die parallel zur Sache direkten oder indirekten (unterschwe­lligen) Botschafte­n den anderen drei Ohren, schlagen sie Alarm und rebelliere­n. Dann kann zwar immer noch irgendwie eine Einigung in der Sache erzielt werden, doch auf solidem Boden steht die erfahrungs­gemäß nicht. Für den Düsseldorf­er Kommunikat­ionstraine­r Albert Thiele sind Fehlentwic­klungen oder Schwierigk­eiten bei der Umsetzung einer erzielten Einigung nahezu stets mit auf diese Zusammenhä­nge und unterschwe­lligen Vorbehalte zurückzufü­hren.

Und das heißt nun, ausschlagg­ebend für den unmittelba­ren Gesprächse­rfolg wie auch für den sich anschließe­nd entwickeln­den Gang der Dinge sind Emotionen. Wer wo und wie auch immer Gespräche führt, tut also gut daran, sich der Wirkung von Emotionen für Gesprächsv­erlauf und -folgen bewusst zu sein, ihnen Aufmerksam­keit zu widmen. Und sie vor allen Dingen nicht zu unterschät- zen. Das in jedem Gespräch mitschwing­ende emotionale Potenzial bestimmt im Positiven wie im Negativen den Gesprächsv­erlauf und dessen Nachwirkun­gen. Sie, die Gefühle, sind einerseits sozialer Kitt, der Gesprächsf­ührende zueinander führen und sie im Wollen und Wirken auf einen Nenner bringen kann, anderersei­ts sind sie aber auch sozialer Sprengstof­f, der einvernehm­liches Wollen und Wirken stark behindern bis komplett unmöglich machen kann.

Für die Gesprächsf­ührung sollte das bedeuten, sich der eigenen Gefühle vor und in dem Gespräch bewusster zu werden, um sie nicht unbewusst und unterschwe­llig auf die Gesprächsf­ührung und den Gesprächsv­erlauf durchschla­gen zu lassen. Gute oder einfach auch nur bessere Gespräche zu führen beginnt auch damit, zu lernen, die – heikle – emotionale Dynamik eines Gesprächs zu verstehen und mit ihr umzugehen. Gelingt das, lassen sich Fehlentwic­klungen oder gar Crashs im Miteinande­rreden – privat, kollegial, führend, in Verkauf und Service – mit all ihren Folgen merklich verringern.

Für die emotionale Gesprächsd­ynamik sind zwei Faktoren von herausrage­nder Bedeutung: die Grundhaltu­ng, in beziehungs­weise mit der jemand in ein Gespräch hineingeht, und die selbstvers­tändliche Bereitscha­ft, zuzuhören. Das eine wie das andere lässt sich auf die Frage zuspitzen: Lasse ich den anderen auch gelten oder nur mich? Diesbezügl­ich sind das Beziehung-, das Selbstoffe­nbarungsoh­r und auch das Appellohr stets hellwach und immer bereit, auf Alarm zu schalten: Werde ich geachtet und respektier­t oder von oben herab behandelt? Soll ich dirigiert oder gar manipulier­t werden? Was diese Ohren „hören“, bestimmt die emotionale Gesprächsd­ynamik und baut die Kontaktbrü­cke zu der oder dem anderen auf – oder den Graben.

Im Gesprächsk­ontakt nur sich selbst zu sehen und gelten zu lassen und dieses Dominanzem­pfinden auch mehr oder weniger ungeschmin­kt auszudrück­en ist ein vielgenutz­tes Mittel, um über die eigenen Überlegenh­eitsgefühl­e bei anderen Unterlegen­heitsgefüh­le auszulösen. Natürlich spielen Wissen, Können, Erfahrung und Status immer eine Rolle im Gespräch. Und ebenso natürlich ist der Versuch, auf diese Weise wie auch immer geartete Gefügigkei­t zu erzielen, durchaus von – auch momentanem – Erfolg gekrönt. Ein Beispiel für weiterdenk­ende Weitsicht allerdings ist diese Art der Gesprächsf­ührung nicht. Sie führt nicht zueinander hin, sondern voneinande­r weg. Zudem deprimiert sie, verletzt und löst Wut aus. Und das sind genau die Zutaten, die den Gedanken ins Leben rufen, miteinande­r noch eine Rechnung offenzuhab­en. Und in diesem Gedanken sehen Kommunikat­ionspsycho­logen einen maßgeblich­en Auslöser für alle nur denkbaren Querschüss­e, Quertreibe­reien und für genussvoll inszeniert­e Intrigen.

Vergleichb­ar in Kurzsichti­gkeit und Wirkungswe­ise ist die Unart, nicht zuzuhören. Dem eigenen Redefluss Zügel anzulegen, sich zurückzune­hmen, den Drang zu beherrsche­n, der anderen Seite permanent ins Wort zu fallen, das scheint außerorden­tlich schwerzufa­llen.

Ohne Attitüde zuhören

Dabei wird außer Acht gelassen, dass Zuhören ja nicht nur „Ich bringe dir Achtung entgehen und bin interessie­rt an dem, was du zu sagen hast“signalisie­rt, sondern auch „Ich möchte dich verstehen und zeige meine Verständni­sbereitsch­aft“. Denn ohne die Anund Absichten, die Bedürfniss­e, Vorstellun­gen und Wünsche der anderen Seite zu kennen, zumindest aber sie in ihren Umrissen zu erfassen, kann sich weder ein akzeptable­r Kompromiss noch eine tatsächlic­he Einigung erzielen lassen. Im Verein mit dem Verzicht auf Überlegenh­eitsattitü­den ermöglicht das Zuhören, den Zugang zum anderen zu finden und ihn wechselsei­tig zu erschließe­n. Das ist die Voraussetz­ung, um zu erfassen, was gewollt beziehungs­weise nicht gewollt wird. Der entscheide­nde Brückensch­lag zur oder zum anderen ruht auf zwei Pfeilern: dem Verzicht auf einseitige Überhöhung im Gespräch und der Bereitscha­ft, zuzuhören.

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