Damit nicht gleich der Kamm schwillt
Destruktive Mächte in Verhalten und Gespräch kennen und vermeiden: eine gute Strategie, um auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen, statt in Rage, Aggression oder Frustration zu geraten.
Zielvorstellung eines Gesprächs ist es meist wohl, sich über irgendetwas zu verständigen, eine Einigung zu erzielen oder sonst wie auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Weniger doch wohl, sich wechselseitig gegeneinander aufzubringen und zu frustrieren. Doch wie das Alltagsgeschehen zeigt: Genau das geschieht in schöner Regelmäßigkeit. Privat, kollegial, führend, in Verkauf oder Service frustrieren einander Ich und Du ziemlich oft beim Wortwechsel.
Dissonanzen in der Sache? Unvereinbare Zielvorstellungen? Überzogene Zumutungen? Mit dem falschen Bein aufgestanden? All das kann dazu beitragen. Tut es oft genug auch. Aber weitaus mehr sorgen ganz andere Auslöser dafür, dass sich die Haare sträuben, der Kamm schwillt, Adrenalin ausgeschüttet und die Faust in der Tasche geballt wird. Und hinterher die Frage beschäftigt: „Was, verflixt, ist hier abgelaufen?“
Nun, was hier Rätsel aufgibt, ist oft schon für den außenstehenden Beobachter nichts Rätselhaftes. Geschweige denn für den geschulten Kommunikationspsychologen. Wohl am häufigsten entgleist und eskaliert der alltägliche Wortwechsel schnell und zuverlässig durch Verhaltensnuancen im Gespräch. Die Art, sich zu geben oder gar aufzuspielen, kann in ihrer Wirkung beachtlichen zwischenmenschlichen Schaden anrichten. Wer die destruktive Macht von Verhaltensweisen im Gespräch nicht einzuschätzen weiß und sie folglich auch nicht beachtet, stellt sich selbst ein Bein. Können sie im Handumdrehen doch tiefste Betroffenheit bis hin zu massivstem Ärger auslösen.
Vier Ohren
Für diese Verhaltensweisen haben Menschen ein hochempfindliches Alarmsystem. Eher noch als bewusst erspüren sie unbewusst, wenn in der Gesprächsbalance irgendetwas nicht stimmt. Weil sie mit vier Ohren registrieren, was und wie kommuniziert wird, wie der Hamburger Psychologieprofessor Friedemann Schulz von Thun sagt: Mit dem Sach-, dem Beziehungs-, dem Appell- und dem Selbstoffenbarungsohr. Kommunikation, so Schulz von Thun, ist von ihrem Aussagewert her stets quadratisch. Miteinander reden vollzieht sich in einem Kommunikationsquadrat.
Direkt oder indirekt vermittelt die oder der Sprechende den Angesprochenen gleichzeitig vier Botschaften: die Sach-, die Beziehungs-, die Appell- und die Selbstoffenbarungsbotschaft. Diese Botschaften „hört“die andere Seite und bewertet sie: Das Sachohr vernimmt und bewertet, worum es geht; das Beziehungsohr, was die andere Seite von mir hält und wie wir zueinander stehen; das Appellohr, wozu sie mich veranlassen möchte; das Selbstoffenbarungsohr, was die oder der andere von sich selbst kundgibt.
Der Irrtum, der Gesprächsführende missmutig im offenen oder verdeckten Ärger oder Dissens auseinandergehen lässt, ist also die Annahme, Gesprächsentwicklung und -ergebnis würden sich auf der Sachebene entscheiden. Doch das Sachohr ist eben nicht der bestimmende und tonangebende Herr im Haus der Gesprächsführung. Missfallen die parallel zur Sache direkten oder indirekten (unterschwelligen) Botschaften den anderen drei Ohren, schlagen sie Alarm und rebellieren. Dann kann zwar immer noch irgendwie eine Einigung in der Sache erzielt werden, doch auf solidem Boden steht die erfahrungsgemäß nicht. Für den Düsseldorfer Kommunikationstrainer Albert Thiele sind Fehlentwicklungen oder Schwierigkeiten bei der Umsetzung einer erzielten Einigung nahezu stets mit auf diese Zusammenhänge und unterschwelligen Vorbehalte zurückzuführen.
Und das heißt nun, ausschlaggebend für den unmittelbaren Gesprächserfolg wie auch für den sich anschließend entwickelnden Gang der Dinge sind Emotionen. Wer wo und wie auch immer Gespräche führt, tut also gut daran, sich der Wirkung von Emotionen für Gesprächsverlauf und -folgen bewusst zu sein, ihnen Aufmerksamkeit zu widmen. Und sie vor allen Dingen nicht zu unterschät- zen. Das in jedem Gespräch mitschwingende emotionale Potenzial bestimmt im Positiven wie im Negativen den Gesprächsverlauf und dessen Nachwirkungen. Sie, die Gefühle, sind einerseits sozialer Kitt, der Gesprächsführende zueinander führen und sie im Wollen und Wirken auf einen Nenner bringen kann, andererseits sind sie aber auch sozialer Sprengstoff, der einvernehmliches Wollen und Wirken stark behindern bis komplett unmöglich machen kann.
Für die Gesprächsführung sollte das bedeuten, sich der eigenen Gefühle vor und in dem Gespräch bewusster zu werden, um sie nicht unbewusst und unterschwellig auf die Gesprächsführung und den Gesprächsverlauf durchschlagen zu lassen. Gute oder einfach auch nur bessere Gespräche zu führen beginnt auch damit, zu lernen, die – heikle – emotionale Dynamik eines Gesprächs zu verstehen und mit ihr umzugehen. Gelingt das, lassen sich Fehlentwicklungen oder gar Crashs im Miteinanderreden – privat, kollegial, führend, in Verkauf und Service – mit all ihren Folgen merklich verringern.
Für die emotionale Gesprächsdynamik sind zwei Faktoren von herausragender Bedeutung: die Grundhaltung, in beziehungsweise mit der jemand in ein Gespräch hineingeht, und die selbstverständliche Bereitschaft, zuzuhören. Das eine wie das andere lässt sich auf die Frage zuspitzen: Lasse ich den anderen auch gelten oder nur mich? Diesbezüglich sind das Beziehung-, das Selbstoffenbarungsohr und auch das Appellohr stets hellwach und immer bereit, auf Alarm zu schalten: Werde ich geachtet und respektiert oder von oben herab behandelt? Soll ich dirigiert oder gar manipuliert werden? Was diese Ohren „hören“, bestimmt die emotionale Gesprächsdynamik und baut die Kontaktbrücke zu der oder dem anderen auf – oder den Graben.
Im Gesprächskontakt nur sich selbst zu sehen und gelten zu lassen und dieses Dominanzempfinden auch mehr oder weniger ungeschminkt auszudrücken ist ein vielgenutztes Mittel, um über die eigenen Überlegenheitsgefühle bei anderen Unterlegenheitsgefühle auszulösen. Natürlich spielen Wissen, Können, Erfahrung und Status immer eine Rolle im Gespräch. Und ebenso natürlich ist der Versuch, auf diese Weise wie auch immer geartete Gefügigkeit zu erzielen, durchaus von – auch momentanem – Erfolg gekrönt. Ein Beispiel für weiterdenkende Weitsicht allerdings ist diese Art der Gesprächsführung nicht. Sie führt nicht zueinander hin, sondern voneinander weg. Zudem deprimiert sie, verletzt und löst Wut aus. Und das sind genau die Zutaten, die den Gedanken ins Leben rufen, miteinander noch eine Rechnung offenzuhaben. Und in diesem Gedanken sehen Kommunikationspsychologen einen maßgeblichen Auslöser für alle nur denkbaren Querschüsse, Quertreibereien und für genussvoll inszenierte Intrigen.
Vergleichbar in Kurzsichtigkeit und Wirkungsweise ist die Unart, nicht zuzuhören. Dem eigenen Redefluss Zügel anzulegen, sich zurückzunehmen, den Drang zu beherrschen, der anderen Seite permanent ins Wort zu fallen, das scheint außerordentlich schwerzufallen.
Ohne Attitüde zuhören
Dabei wird außer Acht gelassen, dass Zuhören ja nicht nur „Ich bringe dir Achtung entgehen und bin interessiert an dem, was du zu sagen hast“signalisiert, sondern auch „Ich möchte dich verstehen und zeige meine Verständnisbereitschaft“. Denn ohne die Anund Absichten, die Bedürfnisse, Vorstellungen und Wünsche der anderen Seite zu kennen, zumindest aber sie in ihren Umrissen zu erfassen, kann sich weder ein akzeptabler Kompromiss noch eine tatsächliche Einigung erzielen lassen. Im Verein mit dem Verzicht auf Überlegenheitsattitüden ermöglicht das Zuhören, den Zugang zum anderen zu finden und ihn wechselseitig zu erschließen. Das ist die Voraussetzung, um zu erfassen, was gewollt beziehungsweise nicht gewollt wird. Der entscheidende Brückenschlag zur oder zum anderen ruht auf zwei Pfeilern: dem Verzicht auf einseitige Überhöhung im Gespräch und der Bereitschaft, zuzuhören.