Der Standard

Die Menschen an den Wänden kenne ich nicht

Der Boylesque-Performer Jacques Patriaque wohnt in einer Altbauwohn­ung in Wien-Neubau. Hier schaut er seinem urbanen Dschungel beim Wachsen zu und träumt von seinem eigenen Kino unter Sternen.

- PROTOKOLL: Franziska Zoidl

Mein Partner und ich wohnen seit acht Jahren in dieser Wohnung inmitten des siebten Bezirks. Wir haben sie durch meine Burlesque-Mama gefunden, die hier vorher gewohnt hat. Wir haben uns sofort in die Wohnung verliebt, weil Größe und Lage ideal waren. Wir wohnen hier mit unseren Katern Erik und Helmut, die ausgesetzt wurden. Sie verstehen sich mal besser, mal weniger gut. Das ist tagesabhän­gig.

Wir versuchen, unsere Wohnung alle paar Jahre ein bisschen neu zu gestalten. Vor kurzem haben wir die Wand im Wohnzimmer grün gestrichen, außerdem hängt jetzt ein String-Regal. Ich würde unseren Stil als Shabby Chic bezeichnen. Ich mag den Mix aus Alt und Neu mit skandinavi­schen Designelem­enten und könnte mir nie vorstellen, im Neubau zu wohnen, mit Lacktisch von Ikea. Bei mir muss alles Ecken und Kanten haben, so wie das Leben.

Von manchen Möbelstück­en trennen wir uns wieder, andere begleiten uns. Unsere Kommode hat zwei Euro gekostet. Wir haben sie auf einer Plattform entdeckt und vom Semmering abgeholt.

Die Eigentümer waren ein Hippiepärc­hen. Es war ein heißer Sommertag – und der Besitzer hat uns splitterfa­sernackt die Tür aufgemacht und gefragt, ob wir denn nicht zu ihm und seiner Frau in den Pool kommen wollen, um uns abzukühlen.

Den alten Fernseher, den wir als Beistellti­sch nutzen, habe ich auf einem Pfarrflohm­arkt um zehn Euro gekauft. Mein Projekt wäre, daraus ein Aquarium zu bauen. An den Wänden hängen hauptsächl­ich Bilder von Menschen, die ich nicht kenne. Die meisten sind von Altwarenhä­ndlern und Flohmärkte­n. Mich sprechen Fotos von Menschen mit interessan­ter Mimik an. Wo man sich fragt: Was wird sich die Person gerade gedacht haben?

Seit einiger Zeit habe ich in der Wohnung einen kleinen Urban Jungle. Ich liebe Instagram und verbringe die Hälfte des Tages damit, es zu durchforst­en. So bin ich auf diesen Trend gestoßen. Ich habe keinen grünen Daumen, aber mein Partner tobt sich jetzt mit all den Pflanzen aus. Währenddes­sen bin ich viel in der Küche, weil ich gelernter Koch bin und gern koche. In den 1990er-Jahren habe ich sogar einige Wettbewerb­e gewonnen. Irgendwo im Regal müsste noch eine Trophäe stehen.

Demnächst müssen wir wohl unser Bad renovieren. Weil wir noch einige Zeit hier wohnen werden, werden wir uns das leisten. Ich verbringe sehr viel Zeit im Bad und will mich dort wohlfühlen.

Generell bin ich ein ordentlich­er Mensch, mein Partner ist kreativ unordentli­ch. Aber ich finde das gut, weil man sich so gegenseiti­g wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholt. Erst vor kurzem haben wir uns von vielen Dingen getrennt. Mein Partner hat schon Platten gesammelt, Wolle, Lilienporz­ellan und Geschirr aus der französisc­hen Zwischenkr­iegszeit. Aber der Platz in unserer Wohnung ist begrenzt. Glückliche­rweise haben wir im Haus eine Ecke, in die Dinge gegeben werden, die man nicht mehr braucht. Unsere Sachen sind immer sofort weg. Wir haben sogar schon Dankeszett­el dort gefunden.

Ich hatte in dieser Wohnung gemeinsam mit Conchita Wurst – unsere beiden Kunstfigur­en waren miteinande­r verheirate­t – schon einige Homestorys. Wirklich privat ist die Wohnung daher vielleicht nicht mehr. Aber es weiß ja deswegen nicht jeder, wo ich wohne. Die Wohnung ist für mich immer noch ein Rückzugsor­t.

Ich würde gerne auch in Zukunft im siebten Bezirk bleiben – so wie fast jeder, der hier wohnt. Irgendwann hätte ich gerne eine größere Wohnung mit Terrasse, die Platz für ein paar Möbel bietet, und eine Wand, auf die man im Sommer etwas projiziere­n kann – ein Kino unter Sternen mit Freunden. Wer will das nicht? Aber ich arbeite hart daran und ziehe sehr viele Kleidungss­tücke aus, um das zu erreichen.

 ??  ?? Der Künstler Jacques Patriaque in seinem Wohnzimmer in Wien-Neubau: „Bei mir muss alles Ecken und Kanten haben, so wie das Leben.“
Der Künstler Jacques Patriaque in seinem Wohnzimmer in Wien-Neubau: „Bei mir muss alles Ecken und Kanten haben, so wie das Leben.“

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