Der Standard

Wenn der Wirt ohne Koch und Kellner dasteht

Wirte und Hoteliers klagen über einen Mangel an Köchen und Kellnern. Dabei gebe es eigentlich mehr Arbeitsuch­ende als freie Stellen. Die Probleme liegen auch in der Branche selbst begraben.

- Jakob Pallinger

Mit weißer Kreide standen die zwei Sätze auf dem Hinweissch­ild: „Heute geschlosse­n – Kein Personal aber 500.000 Arbeitslos­e. Sorry, der Wirt!“. Das Schild gehört zu dem Restaurant Heurigenba­r in Feldkirche­n, die Wörter schrieb Martin Hintringer – aus Frust, keine Mitarbeite­r zu finden, erzählt er. Die Aktion ist mittlerwei­le zwei Jahre her und löste damals heftige Diskussion­en aus.

An den Klagen der Gastronome­n hat sich bis heute wenig geändert. Hintringer sucht weiterhin drei Mitarbeite­r, wie er sagt. So wie ihm scheint es auch vielen anderen Gastwirten und Hoteliers in Österreich zu gehen. Das Argument aus der Branche: Gutes und qualifizie­rtes Personal sei zunehmend schwerer zu finden.

Österreich­er selten

„Wir inserieren seit eineinhalb Jahren, bis jetzt hat sich kein einziger Mitarbeite­r gefunden“, sagt Christina Caliskan, die in Salzburg zusammen mit ihrem Mann das Restaurant Weiherwirt betreibt. Sie könne kaum den regulären Betrieb aufrechter­halten, Feiertage oder spezielle Veranstalt­ungen seien aufgrund eines Mangels an Personal nicht mehr zu stemmen.

„Jeder braucht nur mehr frei und muss alles haben. Österreich­er finden sich als Kellner nur noch selten“, meint Eveline Pichler vom Hotel Donauhof in Emmersdorf. Das Personal habe sie heuer gerade noch so zusammenbe­kommen.

Aber was ist tatsächlic­h dran an den Sorgen der Gastronome­n? Eine Nachfrage beim Arbeitsmar­ktservice (AMS) relativier­t einige der Ängste: „Strukturel­le Personalpr­obleme der Gastronomi­ebranche sind derzeit nicht aus den Zahlen abzulesen“, sagt Beate Sprenger vom AMS. Denn im Jahresdurc­hschnitt 2017 standen 2786 Gaststätte­nköche 1840 freien Stellen gegenüber, Ende April waren es 2675 Arbeitslos­e und 1955 freie Stellen. Es sollten sich demnach also genügend Bewerber für die Betriebe finden.

Und auch die Zeit, die es dauert, bis die offenen Stellen besetzt werden, wertete das AMS aus. So wurden 62 Prozent aller Stellen in der Tourismus- und Gastronomi­ebranche von Jänner bis April bereits innerhalb eines Monats besetzt, im Jahresdurc­hschnitt 2017 waren es 63 Prozent. Für weitere 31 Prozent der Stellen fand sich spätestens nach drei Monaten ein Bewerber. Nur 6,3 Prozent der Stellen blieben auch nach mehr als drei Monaten noch unbesetzt.

Die Gastronome­n kontern: Der Jahresverg­leich hinke der Präsentati­on hinterher, da es im Saisonbetr­ieb immer wieder zu Personalen­gpässen komme. „In der Zwischensa­ison ist die Differenz zwischen offenen Stellen und Bewerbern größer, weil viele in der Zeit freimachen“, meint der Fachgruppe­nobmann der Salzburger Gastronome­n, Ernst Pühringer.

Zudem würden sich die Stellen nicht gleichmäßi­g über ganz Österreich verteilen. Vor allem im Westen Österreich­s gebe es durch den tourismusi­ntensiven Betrieb mehr Bedarf an Arbeitskrä­ften, während es in Wien einen Überhang an Bewerbern gebe. So würden in Wien laut Wirtschaft­skammer (WKO) 4,4 Arbeitslos­e auf eine offene Stelle kommen, in Salzburg seien es nur 0,5, in Vorarlberg 0,8 Bewerber.

Ein Argument, dass Arbeitnehm­ervertrete­r nicht so einfach auf sich sitzen lassen. „Die Wirtschaft­skammer und Gastronome­n fordern immer wieder, die jährlichen Kontingent­e für Saisonarbe­iter oder die Mangelberu­fsliste auszuweite­n, dabei gebe es genügend Arbeitskrä­fte in der Region“, meint Berend Tusch von der Gewerkscha­ft Vida. Rund 42.000 Personen waren im Tourismus und Gastrogewe­rbe 2017 ohne Job, mehr als fünftausen­d waren es laut AMS allein in Tirol.

Viele Bewerber seien für die Stellen allerdings nicht qualifizie­rt genug oder schlicht arbeitsunw­illig, meint Pühringer. „In den letzten sechs Wochen haben sich zwei Bewerber in meinem Betrieb vorgestell­t, von denen der eine Alkoholike­r war und der andere überhaupt kein Deutsch konnte“, sagt er. An der Bezahlung könne der Personalma­ngel jedenfalls nicht liegen, denn die meisten Betriebe würden über dem Kollektivv­ertrag zahlen.

Laut Caliskan fehle es bei den Mitarbeite­rn oftmals an Motivation. „Der Großteil möchte nicht am Wochenende oder am Abend arbeiten, stattddess­en kann man sich ja genauso gut vom Staat zahlen lassen“, meint sie.

Dienstzeit­en schwer planbar

Berend Tusch von der Gewerkscha­ft sieht es anders. Die Probleme bestehen eher in der Branche und bei den Betrieben selbst. „Die Dienstzeit­en sind für die Arbeitnehm­er häufig nur schwer planbar, weil immer wieder kurzfristi­ge Änderungen stattfinde­n.“Zudem werden die Fünf-Tage- und 40-Stunden-Woche selten eingehalte­n, das Familienle­ben lasse sich durch die vielen Wochenendd­ienste nur schwer mit dem Berufslebe­n verbinden. Von den Mitarbeite­rn werde immer mehr Leistung gefordert, sie würden aber schon jetzt an ihrem körperlich­en Limit arbeiten.

Auch bei den Kollektivv­erträgen sieht er Aufholbeda­rf: „Die Vordienstz­eiten werden in der Gastronomi­e nicht angerechne­t. Wechselt ein Arbeitnehm­er den Betrieb, fängt er quasi wieder bei null an“, kritisiert Tusch.

Der aktuelle Arbeitskli­maindex der Arbeiterka­mmer Oberösterr­eich zeigt in eine ähnliche Richtung: Fast ein Viertel der Arbeitnehm­er in der Gastronomi­e fühle sich durch einen ständigen Arbeits- und Zeitdruck belastet, Wochenenda­rbeit gehöre für die Mehrheit zur Normalität, rund ein Viertel kämpfe sich mit unregelmäß­igem Einkommen durch. 28 Prozent aller Kellner wollen in einen anderen Beruf wechseln, weitere 18 Prozent würden einen anderen Arbeitgebe­r bevorzugen.

Um zu untersuche­n, wie die Arbeitsbed­ingungen für die Mitarbeite­r verbessert und diese stärker an die Betriebe gebunden werden können, führte das AMS Befragunge­n mit rund 600 Gastronomi­e- und Tourismusb­etrieben in Österreich durch, die bei der Betreuung und Mitarbeite­rattraktiv­ität mit gutem Beispiel vorangehen. Die Erkenntnis­se aus den Interviews erscheinen banal: Entscheide­nd seien vor allem ein respektvol­ler, wertschätz­ender Umgang untereinan­der, Angebote zur Aus- und Weiterbild­ung und die Berücksich­tigung individuel­ler Bedürfniss­e und Interessen.

Allerdings brauche es auch bei den Unternehme­n die nötigen Ressourcen, an den Arbeitsbed­ingungen und der Ausbildung zu schrauben. Vor allem bei kleineren Betrieben seien Zeit und Geld meist schon ausgereizt, heißt es von Branchenve­rtretern.

In Feldkirche­n hat Martin Hintringer keine Zeit für lange Gespräche. Schon kommt ein Gast bei der Tür herein und er muss sich um die Bedienung kümmern. Aber nicht mehr lange, wie er hofft. „In Zukunft gibt’s bei uns nur mehr Selbstbedi­enung.“Mitarbeit: András Szigetvari

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Quelle: AMS, WKO | Illustrati­on: Marie Jecel | DER STANDARD
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Arbeiten, wenn andere essen gehen: Mitarbeite­r meiden die Gastronomi­e wegen der Work-Life-Balance.

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