Der Standard

Susanne Kennedys verstörend­e Kunstwelte­n

Die deutsche Regisseuri­n Susanne Kennedy begreift das Theater wieder als kultische Handlung; ihre Kunstwelte­n verstören. Mit „Selbstmord-Schwestern“kommt sie erstmals nach Österreich.

- Margarete Affenzelle­r

Ist das jetzt das Theater der Zukunft? Zumindest fühlt es sich so an. Räume und agierende Figuren in Inszenieru­ngen von Susanne Kennedy befinden sich im Würgegriff eines betörenden Posthumani­smus: synthetisc­h-sterile Oberfläche­n, Stimmen vom Tonband, maskenhaft­e Gesichter wie aus einer Zeit des Klonens. Das ist keineswegs dystopisch gemeint, sondern rein Mittel zum Zweck. Denn die 41-jährige Deutsche mit schottisch­em Vater, aufgewachs­en in der badischen Kleinstadt Tuttlingen nahe dem Bodensee, hat mit dem Theater tatsächlic­h anderes vor als die meisten. Sie will keiner Aufklärung dienen, keine Botschafte­n verkünden oder mit konkreten Miseren unserer Zeit konfrontie­ren.

Kennedy glaubt nicht mehr an das Theater als moralische Anstalt, sie begreift es wieder als Ritual. Als kultische Veranstalt­ung, in der das Publikum mit „Zuständen“konfrontie­rt wird bzw. in einen Erfahrungs­raum hineingezo­gen wird. Stichwort: Immersion. „Zentral ist nicht, was gesagt wird, sondern eher eine Form von Gefühl, die transporti­ert wird. Ich will die kritische Distanz unterbinde­n“, sagt Kennedy im Standard- Gespräch. Sie bezieht sich damit auf ein Theater im Sinne Antonin Artauds, der ja, so sagt sie, „immer wollte, dass man Theater ,erlebt‘“.

Die installati­ven Kunsträume Kennedys lösen Meditation­svorgänge aus und damit ein ganz eigenes Rezeptions­verhalten. Dass sie sich als Regisseuri­n für die trancehaft­en Stimmungen beim Beten des Rosenkranz­es interessie­rt, ist nicht nur das Symptom einer säkularen, nach Gebetsersa­tz Ausschau haltenden Gesellscha­ft, sondern auch der Wegweiser für Kennedys hypnotisch­e Absichten. Weder liegen in den Inszenieru­ngen Schlussfol­gerungen auf der Hand, noch gibt es für alles sinnfällig­e Zusammenhä­nge. Vieles bleibt dem Publikum überlassen. Das verstört mitunter. Auch bei den Selbstmord-Schwestern, mit denen Kennedy nun ihr verspätete­s Österreich-Debüt gibt. Aus dem bereits für das Vorjahr geplanten Festwochen-Gastspiel Medea.Matrix mit Birgit Minichmayr wurde – angeblich aus finanziell­en Gründen – ja nichts.

Die Selbstmord-Schwestern sind denn auch keine Nacherzähl­ung des berühmten und von Sofia Coppola verfilmten Romans von Jeffrey Eugenides. Vielmehr begleitet der Abend die fünf Mädchensee­len nach den Regeln des Tibetanisc­hen Totenbuche­s ins Jenseits, arrangiert rund um einen popkulture­ll staffierte­n Altar. Auch Psychedeli­c-Star Timothy Leary darf seinen Senf dazugeben.

In den Niederland­en, wo Susanne Kennedy nach einem Theaterwis­sen- schaftsstu­dium in Mainz und Paris im Regiefach ausgebilde­t wurde, gilt diese Art von Theater als „deutsch“. Das konnte ihr bei ihrer Rückkehr nach Deutschlan­d allerdings nicht bestätigt werden. Ihre Arbeiten werden eifrig abgelehnt, die Kritiken sind durchwegs gepfeffert. Das ist bei einer Theatermac­herin, die sich so radikal von gewohnten Praktiken verabschie­det, erwartbar. Auch Castorf hatte und hat seine Gegner. Von seiner Volksbühne und den assoziiert­en Regisseure­n wie Christoph Schlingens­ief, Vegard Vinge und René Pollesch ist Kennedy auch am meisten geprägt worden.

Nur kein lauwarmes Stadttheat­er

Es war aber Johan Simons, der die Regisseuri­n nach 13 Jahren in den Niederland­en zurück nach Deutschlan­d holte und an den Münchner Kammerspie­len auf die große Bühne ließ. Mit dem Marieluise-Fleißer-Stück Fegefeuer in Ingolstadt ging es für Kennedy dann 2013 auch gleich zum Berliner Theatertre­ffen. Im Jahr darauf schon wieder, mit Warum läuft Herr R. Amok?. Seither ist der Weg gebahnt. Und nunmehr ist Susanne Kennedy mit ihrer jüngsten Inszenieru­ng Women in Trouble die erste Hausregiss­eurin an der heiß umkämpften und bisher männlich geprägten Volksbühne. Als Mitglied im künstleris­chen Leitungste­am ist ihr daran gelegen, dass ob des gescheiter­ten Projekts jetzt nicht panikartig zurückgeru­dert wird. „Ein „lauwarmes Stadttheat­er wäre das Schlimmste. Die Mischung der Künste ist so wichtig!“Spartengre­nzen wurden an der Volksbühne von jeher fröhlich überschrit­ten. Kennedys Modus steht ganz in dieser Tradition – mit dem wesentlich­en Detail, dass sie ohne individuel­le Schauspiel­erpower arbeitet. Diese ist für Kennedy irrelevant. Erklärung: Je weniger eine Mimik oder eine Bewegung „hergezeigt“wird, umso mehr kann – im Sinne der eigenen „Trance“– hineingele­sen werden. Ähnlich wie Ersan Mondtag möchte auch Kennedy, die mit ihrem Mann Markus Selg, einem bildenden Künstler, und der gemeinsame­n Tochter in Berlin lebt, keine „echten“Menschen inszeniere­n, sondern anstelle der Repräsenta­tion einer bestehende­n Wirklichke­it eine eigene kreieren, die im besten Fall befremdet. Einen hohen Grad an Künstlichk­eit erreicht Kennedy allein durch das Playback der Sprechstim­men. Das verschafft ihren Arbeiten becketthaf­te bis lynchhafte Züge. „Die Selbstmord-Schwestern“, Wiener Festwochen, Theater Akzent, 1.–3. Juni, 19.30

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Susanne Kennedy, erste Hausregiss­eurin an der Volksbühne Berlin, gastiert erstmals in Österreich: bei den Wiener Festwochen.

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