Nach Votum in Irland
Nach Abstimmung in Republik Irland drängen Londoner Politikerinnen auch auf nordirische Reform
Nach dem klaren Votum für eine Liberalisierung der Abtreibung in Irland steht nun auch Nordirland unter Druck.
Nach der klaren Entscheidung für eine Liberalisierung der Abtreibung in der Republik Irland geraten britische und nordirische Verantwortliche unter Druck, auch in Nordirland die Vorschriften zu lockern. Die Bestrebungen einflussreicher Politikerinnen aller Fraktionen richten sich auf eine Volksabstimmung in der britischen Provinz oder eine freie Abstimmung im Londoner Unterhaus. Der „historische Tag“habe Nordirland Hoffnung gegeben, glaubt die britische Frauenministerin Penelope Mordaunt. „Der Hoffnung muss entsprochen werden.“
Das Abstimmungsergebnis über die Abschaffung der achten Verfassungsergänzung, die ein praktisch totales Verbot der Abtreibung garantiert, fiel deutlicher aus, als es die Meinungsumfragen nahegelegt hatten. 66,4 Prozent votierten für die von der konservativen Regierung unter Leo Varadkar geplante Legalisierung; einer Nachbefragung des irischen Senders RTE zufolge votierten 87,6 Prozent der Jungwähler, aber auch 63,7 Prozent der 50- bis 64-Jährigen mit Ja. Sein Land habe „eine stille Revolution“erlebt, sagte der Regierungschef unter lautem Jubel begeisterter Anhänger. Klare Reformmehrheiten gab es nicht nur in städtischen Ballungszentren, sondern auch in ländlichen Regionen wie Roscommon, das vor drei Jahren als einzige Grafschaft gegen die „Ehe für alle“war.
Gesetzliche Fristenregelung
Der erst seit einem Jahr amtierende Varadkar, ein homosexueller Arzt mit indischem Vater und irischer Mutter, hat angepackt, wovor seine Vorgänger stets zurückgeschreckt waren. Bereits am Dienstag soll das Kabinett einen Gesetzesentwurf verabschieden, der unter gewissen Voraussetzungen Abtreibung bis zur zwölften Woche der Schwangerschaft praktisch freigibt. Bis zur 24. Woche soll ein Abbruch möglich sein, wenn das Leben der Mutter gefährdet ist oder der Fötus schwe- re Abnormitäten aufweist. Damit bekäme die Insel eine Fristenregelung, die mit der vieler Länder Westeuropas vergleichbar ist.
In den sechs Grafschaften unter britischer Regierung gilt wie bisher im Rest Irlands ein extrem restriktives Gesetz. Es erlaubt Abtreibung weder bei Vergewaltigung, Inzest noch wegen einer Behinderung des Ungeborenen, sondern lediglich bei akuter Lebensgefahr für die Mutter. Ausdrücklich hat die 1967 eingeführte liberale Gesetzgebung Großbritanniens die britische Provinz ausgeschlossen.
Erst seit wenigen Jahren können Nordirinnen wenigstens das Nationale Gesundheitssystem (NHS) in Anspruch nehmen, wenn sie in England, Schottland oder Wales einen Abbruch machen lassen.
Londoner Medienangaben zufolge hat die konservative Frauenministerin Penny Mordaunt für ihre Initiative zugunsten einer Liberalisierung die Unterstützung von vier einflussreichen Fraktionskolleginnen, die den Posten vor ihr innehatten. Die ebenfalls kon- servative Chefin des Gesundheitsausschusses, Sarah Wollaston, forderte eine Volksabstimmung in Nordirland. Dann werde sich zeigen, dass „auch dort die Gesellschaft vorangekommen ist“. Die einflussreiche Labour-Abgeordnete Stella Creasy hat fraktionsübergreifend 130 Parlamentarier hinter sich versammelt, um die Liberalisierung schon jetzt in einem zur Beratung anstehenden Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches zu verankern.
Hingegen wies eine Sprecherin von Premierministerin Theresa May am Sonntag darauf hin, dass die Regelung der Abtreibung in die Zuständigkeit der Regionen fällt. Ein Edikt des Unterhauses hätte also eine Verfassungskrise zur Folge. Die Situation wird auch dadurch erschwert, dass der Belfaster Landtag seit 17 Monaten suspendiert ist, weil sich die großen Parteien DUP und Sinn Féin auf keine Regionalregierung einigen können.
Kommentar zum Referendum:
derStandard.at/Meinung
Begnadete Musiker, großartige Schriftsteller, gewitzte Diplomaten – irische Männer und Frauen, angefangen beim heiligen Patrick über James Joyce und Samuel Beckett bis zu Sinéad O’Connor, haben seit Jahrhunderten das europäische Kultur- und Geistesleben mitgeprägt. Umso absonderlicher schien es, dass sich die Grüne Insel einer Errungenschaft westlicher Zivilisation widersetzte: der Gleichstellung von Mann und Frau, zu der auch die Autonomie über den eigenen Körper gehört.
Das Abtreibungsreferendum in Irland stellt den Schlussstein in einem Prozess dar, der 1973 mit dem Beitritt zur damaligen EWG begann. Aus der verarmten, theokratischen Insel weit draußen im Atlantik ist schon zur Jahrhundertwende dank Milliardensubventionen aus Brüssel ein wirtschaftlich erfolgreicher, politisch selbstbewusster Staat geworden. Endlich waren die Iren aus dem Schatten des einst übermächtigen Nachbarn Großbritannien herausgetreten.
Die Ablösung von der katholischen Kirche dauerte länger und kam in einem Dreischritt: zunächst die staatlichen Untersuchungen der schrecklichen Verbrechen gegen Kinder, die Priester und Nonnen jahrzehntelang ungestraft begehen konnten; vor drei Jahren die erfolgreiche Volksabstimmung über die Schwulenehe; nun mit Zweidrittelmehrheit die Abschaffung eines faktischen Abtreibungsverbots, das Irinnen selbst in schwersten medizinischen und sozialen Notlagen zur unwürdigen Reise ins Nachbarland zwang.
Bis Ende des Jahres wird das Dubliner Parlament unter Führung des dynamischen, jungen Premierministers Leo Varadkar die andernorts geltende Fristenregelung einführen. Dann bleibt in ganz Westeuropa nur noch ein rückständiges Land, was Frauenrechte angeht: der nordirische Teil des Vereinigten Königreichs. Dort befindet sich die katholische Kirche in einer unheiligen Allianz mit protestantischen Fundamentalisten. Und deren politischer Arm, die DUP, hält in London Theresa Mays schwache Regierung an der Macht. Man darf gespannt sein, wie die erklärte Feministin in der Downing Street mit dem jetzt akut gewordenen Konflikt umgehen wird. Bisher redete die britische Elite gern ein wenig herablassend über irische Rückständigkeit, verwies zudem auf die regionale Autonomie. Das erste Argument ist jetzt passé, das zweite dürfte nicht lang standhalten.