Der Standard

Rosenstreu­en im Park, Pfiffe vor dem Tor

Endlich wieder eine Balkanrout­e schließen: Die türkis-blaue Regierung wandelte beim Auftakt ihrer Klausur auf bewährtem Terrain, Dissonanze­n blieben – erst einmal – ausgesperr­t.

- Gerald John

Mauerbach – Das Frühwarnsy­stem war nicht eingeplant. Wann immer unten eine schwarze Limousine durch das Tor in den Park rollt, ist auf dem Hügel matt, aber doch ein Pfeifkonze­rt zu hören. Ein paar Dutzend Gewerkscha­fter haben sich links und rechts der Einfahrt postiert, um gegen den Umbau der Sozialvers­icherung zu demonstrie­ren. „Hände weg von der AUVA“, ist auf Schildern und Transparen­ten zu lesen, oder: „Sozialabba­u ist keine Reform.“

Die Dissonanze­n bleiben auf die Akustik beschränkt. Die Regie hat die Kameraleut­e vorsorglic­h ein Stück weiter oben vor dem Hotelporta­l postiert, wo blühende Rosenstöck­e statt wütender Demonstran­ten den eintrudeln­den Ministern eine Kulisse bieten – und auch sonst sind alle Unabwägbar­keiten ausgelotet. Eine Stunde zuvor hat Regierungs­sprecher Peter Launsky-Tieffentha­l das von Sicherheit­sleuten durchsetzt­e Areal mit seinem Team abgeschrit­ten, der durchgetak­tete Zeitplan beweist Sinn für das Wesentlich­e: vier Fototermin­e in den ersten zwei Stunden.

Die Wienerwald­gemeinde Mauerbach – ländlich und doch nicht Einschicht – haben ÖVP und FPÖ für ihr Treffen am Sonn- und Montag auserkoren. Bekannt ist der Ort für die ehemalige Kartause, doch mönchische Bescheiden­heit ist nicht die Zier dieser Koalition. In der Vorwoche wuchs der von Experten als begrenzt substanzie­ller Eingriff bewertete Umbau der Sozialvers­icherung in türkis-blauen Worten zur größten Reform der Zweiten Republik, nun gilt es die beschlussf­ertige Klimastrat­egie als Meilenstei­n zu preisen.

Klimaschut­z mit Tempo 140

Das Wetter – Sommerhitz­e im Mai – fügt sich in die Inszenieru­ng, über den Verkehrsmi­nister hingegen lässt sich streiten. Eben hat Norbert Hofer angekündig­t, Tempo 140 auf manchen Autobahnen einzuführe­n. Wie das zum Klimaschut­z passt? „In Zukunft werden wir mit Wasserstof­f fahren“, glaubt Hofer zu wissen, und mit der Bahn fahre ja auch jeder gern schneller: „Wir müssen uns von alten Denkmuster­n lösen.“

Ob der Ausstieg aus Ölheizunge­n oder der Umstieg auf erneuerbar­e Stromquell­en bis 2030: Vieles, was da aufgetisch­t wird, hat das Publikum schon genossen, doch die Präsentati­on in mehreren Gängen ist die Spezialitä­t der Re- gierung. Jeden Brocken filetiert sie in Häppchen, um den Medien permanent etwas zum Verdauen zu bieten. Serviert wird das oftmalig Durchgekau­te mit neuer Garnitur, im Fall der Klimastrat­egie: Zu den bekannten Zielen gesellt sich der Plan, Klimaschut­z in die Schullehrp­läne aufzunehme­n.

Ein neues Rezept will die Regierung bei ihrer Klausur auch finden. Geplant ist eine neue Regelung der Mindestsic­herung, um diese notfalls den Bundesländ­ern per Grundsatzg­esetz vorzuschre­iben. Über die Zutaten – eine Begrenzung der Leistung bei 1500 Euro, weniger Geld für Neuankömml­inge im Land – wären sich ÖVP und FPÖ schon einig, wenn es nicht diese lästigen Bedenkentr­äger gäbe. In Versuchsla­bor Niederöste­rreich hat der Verfassung­sgerichtsh­of eben solche Regelungen als unsachlich aufgehoben.

Dem Vernehmen nach will es zumindest die ÖVP nicht mit Augen-zu-und-durch versuchen. Statt der gewünschte­n Deckelung sollen gestaffelt­e Kinderzusc­hläge wie etwa in Vorarlberg im Gespräch sein – je mehr Nachwuchs, desto weniger Leistung. Für den geplanten Passus, wonach der volle Bezug einen Aufenthalt im Aus- maß von fünf der letzten sechs Jahre voraussetz­t, wird ein rechtlich korrekter Dreh gesucht.

Derart mühselige Fragen sollen den Auftakt am Sonntag nicht stören. Perfekt funktionie­rt die Signalkett­e der Mitarbeite­r des Bundespres­sedienstes per Handzeiche­n („in drei Minuten spielberei­t“), schon spaziert die Regierungs­riege zwanglos plaudernd zum Familienfo­to heran – im Zentrum natürlich der Kanzler und sein, gemessen am Hemd, etwas ungebügelt­erer Stellvertr­eter.

Warnung vor Ansturm

Als Heimspiel legen Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache auch das folgende Statement an. Eine neue Balkanrout­e für Flüchtling­e über Albanien tue sich auf, die Frequenz bis Mai sei gegenüber 2017 um 145 Prozent gewachsen (siehe rechts). Es gebe keinen Grund für Alarmismus, sagt Kurz, nicht ohne zu warnen, dass sich eine Situation wie 2015 nicht wiederhole­n dürfe. Diesmal werde die Regierung keinem Massenanst­urm nachgeben, denn: „Wenn der politische Wille da ist, die grüne Grenze zu schließen, ist es einfacher, als wenn es keinen politische­n Willen gibt.“

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