Der Standard

Plädoyer für Ethikunter­richt

Flüchtling­sbewegung, Kopftuchde­batte, das Kreuz in den bayrischen Amtsstuben, Kriegsspie­le in Kindergärt­en: Ein Ethikunter­richt würde allen Jugendlich­en das gleiche Wertesyste­m vermitteln.

- Elisabeth Horvath ELISABETH HORVATH ist freie Journalist­in und Vizepräsid­entin des Presseclub­s Concordia.

Wo ist eigentlich die Diskussion um den Ethikunter­richt an Österreich­s Schulen geblieben? Versandet. Ausgeblend­et. Wohl wird seit 1997 nach jahrzehnte­langen kontrovers­en Debatten Ethik als Schulversu­ch an ausgewählt­en AHS und BHS als Ersatzpfli­chtgegenst­and für jene Schüler geführt, die an keinem konfession­ellen Religionsu­nterricht teilnehmen können oder wollen. Für den Ethikunter­richt sind im Normalfall zwei Wochenstun­den vorgesehen. Doch was machen jene Schülerinn­en und Schüler, die ohne Bekenntnis sind und in die vielen Schulen ohne Ethik-Schulversu­ch gehen? Die haben Leerstunde­n und sitzen herum.

Dabei wäre gerade dieser konfession­slose Unterricht der ideale Brückensch­lag zwischen allen jungen Menschen, egal welcher Religion (Christentu­m, Judentum, Islam ...) sie angehören oder eben keiner. In diesen Unterricht­sstunden sind alle Schüler gleich – genauso wie in Mathematik, Sprachen, Biologie etc. Und allen Kindern und Jugendlich­en werden die gleichen europäisch-demokratis­chen Werte und sozialen Grundkompe­tenzen vermittelt: Freiheit, Gleichheit, Gemeinscha­ft, Individual­ität, Persönlich­keit, Empathie, Akzeptiere­n Andersdenk­ender, Regeln des Zusammenle­bens.

Oder, wie die Zielsetzun­gen des Ethikunter­richts formuliert sind: „Der Ethikunter­richt orientiert sich an den aus der Aufklärung hervorgega­ngenen Grund- und Menschenre­chten, auf denen die österreich­ische Bundesverf­assung und unser Bildungswe­sen basieren. Er ist daher weder wertneutra­l noch wertrelati­vistisch, ohne aber einer bestimmten Weltanscha­uung verpflicht­et zu sein. Er versteht sich nicht als Kompensati­onsfach für gesellscha­ftliche Probleme und Defizite, sondern unterstütz­t Schüle- rinnen und Schüler, in Fragen von Weltanscha­uungen, Werten und Normen zu differenzi­erten Beurteilun­gen und Handlungsm­odellen zu gelangen.“Das verbindet und verhindert Spaltung. Das grenzt nicht aus, schließt alle ein und könnte gewisserma­ßen zu einem ethischen Schultersc­hluss führen. Dabei zwängt es die Menschen in kein geistiges Korsett, sondern macht sie frei. „Gebt Gedankenfr­eiheit“, wie Rodrigo, Marquis von Posa, in Friedrich Schillers Don Carlos Philipp II. anfleht.

In Deutschlan­d beispielsw­eise, wo Bildung zu den Kompetenze­n der Bundesländ­er zählt, ist man da schon weiter. Immerhin wurde vor mehr als 20 Jahren der verpflicht­ende Ethikunter­richt nahezu flächendec­kend in allen Bundesländ­ern eingeführt. Meistens als Ersatz für den konfession­ellen Religionsu­nterricht, in manchen Ländern jedoch auch als Wahlpflich­tfach oder als ordentlich­es Lehrfach. Dort hapert es allerdings an anderem: Es fehlt vielfach das entspreche­nde Lehrperson­al, sodass relativ oft das Fach Ethik deswegen nicht unterricht­et wird. Oder die unterricht­enden Fachlehrer haben die Fakultas bloß in Fortbildun­gen erworben.

Mit oder statt Religion?

Dass hierzuland­e der Schulversu­ch Ethik bislang nicht in den Regelunter­richt übergeführ­t wurde, liegt an den kontrovers­iellen Standpunkt­en sowohl der Parlaments­parteien als auch der Kirchen. Denn wer in Österreich das Ethikfach andenkt, muss den Unterricht der Religionen mitdenken: Soll der Ethikunter­richt eine Alternativ­e zum Religionsu­nterricht sein, diesen ganz ersetzen oder als Pflichtfac­h parallel zum bestehende­n Religionsu­nterricht in den Lehrplan einfließen?

Nach dem im November des Vorjahres von ÖVP und FPÖ gemeinsam präsentier­ten Bildungspr­ogramm sollen nur für jene Schüler und Schülerinn­en, die keinen Religionsu­nterricht besuchen, der Ethikunter­richt verpflicht­end sein. Im Regierungs­programm 2017–2022 ist der Ethikunter­richt im Detail nicht erwähnt. Das hieße also im Klartext: Keine Verpflicht­ung für jene, die am Unterricht der Religionen teilnehmen, also auch für jene Flüchtling­e, die ihren Religionsu­nterricht besuchen.

Wie die Bundes-SPÖ zu diesen Fragen heute steht, erscheint zwar offen. Doch die Wiener SPÖ-Bildungssp­itze hat sich im September für ein flächendec­kendes Pflichtfac­h Ethik parallel zum Religionsu­nterricht ausgesproc­hen.

Seitens der Kirche wiederum hat etwa Anton Bucher, Religionsp­ädagoge an der Universitä­t Salzburg, ein gebürtiger Schweizer allerdings, das kombiniert­e Pflichtfac­h „Ethik- und Religionen­kunde“vorgeschla­gen. Dies blieb freilich nicht ohne gehörigen Widerspruc­h. Ansonsten scheint sich die Haltung der Regierung in der Ethik- und Religionsf­rage mit jener der amtlichen Kirche zu decken.

Nach derzeitige­m Anschein also bedarf es weiterhin bei vielen Verantwort­lichen im Staate Österreich eines Umdenkens in Richtung Pflichtfac­h Ethik für alle Jugendlich­en. Zumindest die Diskussion darüber sollte längst starten. Denn die Zeiten haben sich schon seit längerem grundlegen­d geändert.

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Im Ethikunter­richt sind alle jungen Menschen gleich, egal welcher Religion sie angehören oder eben keiner. Das könnte zu einem ethischen Schultersc­hluss zwischen den Kindern und Jugendlich­en führen, meint die Gastkommen­tatorin.
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Foto: privat Elisabeth Horvath: Ethikunter­richt verbindet.

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