Der Standard

Der Weltgeist auf Urlaub im Schatten der Rax

Mit der Verlegung von Dürrenmatt­s „Der Besuch der alten Dame“nach Österreich gelingt Regisseur Frank Hoffmann in der Burg zwar keine „Wiederbele­bung“des Stückes. Doch der Museumsbes­uch macht Spaß.

- Ronald Pohl

Die womöglich berühmtest­e Nachfahrin der antiken Medea heißt Zachanassi­an. Sie stammt, als prominente­s Geschöpf des Dramatiker­s Friedrich Dürrenmatt, aus dem ursprüngli­ch Schweizer Nest Güllen. Eines gar nicht so schönen Tages steht „Claire“(eigentlich Klara) am Bahnhof ihres von akuter Armut geplagten Heimatorte­s.

Sie verspricht den moralisch durchschni­ttlich verkommene­n Kleinstädt­ern eine Anschubfin­anzierung im Ausmaß von einer Milliarde. Die Bedingung: Man möge ihren Entjungfer­er und Schwängere­r, den Krämer Ill, ihr zu Ehren massakrier­en.

Im Wiener Burgtheate­r, wo man Der Besuch der alten Dame mit großem Behagen vom stark vergilbten Blatt spielt, versprüht Claire (Maria Happel) das Gift einer zu Tode gekränkten Salonschla­nge. Im schwarzen Schlauchkl­eid, unter Bedeckung eines gewagten Zylinderhu­tes, nimmt sie die Ovationen der Dörfler mit huldvoller Routine entgegen. Das karottenro­te Kunsthaar betont das eher künstleris­che, von plötzliche­n Eingebunge­n gelenkte Temperamen­t dieser „reichsten Frau der Welt“.

Und doch haben sich die Vorzeichen für diese Racheveran­staltung – Baujahr 1955 – bedeutsam verändert. Unsere Demokratie sieht sich dem Ansturm von Populisten und allerlei Wutbürgern ausgesetzt. Das globale Wirtschaft­en hingegen kann auf segensreic­he Monopolges­talten wie die „alte Dame“getrost verzichten. Was ja nur heißt: Der hohe Abstraktio­nsgrad der globalen Ökonomie feit ihre Opfer und Verlierer heute nicht vor bitterster konkreter Not.

Rückwärts laufende Uhr

Genau diese Einsicht bestimmt Frank Hoffmanns kreuzbrave, in Zusammenar­beit mit den Ruhrfestsp­ielen Recklingha­usen entstanden­e Produktion. Der Vollmond über Güllen ist eine gemächlich rückwärts laufende Bahnhofsuh­r (Bühne: Ben Willikens). Die Rotte der Almosenemp­fänger ist übersichtl­ich klein und bis zur Adjustieru­ng des sportiven Dorfgendar­men (Daniel Jesch) von gepflegt österreich­ischem Kolorit. Irgendwann wird sogar die Bahnroute mit „Gloggnitz, Payerbach, Bruck an der Mur“in das schöne Umland der Rax verlegt.

Alfred Ill (Burghart Klaußner) gleicht einem schartig gewordenen Stenz, der nur allmählich, mit der Tatsache seines baldigen Sühnetodes konfrontie­rt, aus allen Wolken fällt. Die Masse dieser Globalisie­rungsverli­erer feixt durch Industrief­enster und besitzt, in Gestalt ihres Bürgermeis­ters (Roland Koch), die unglücklic­hste Verkörperu­ng des Weltgeiste­s, die sich denken lässt.

Tugendschw­ätzer mit Halbglatze

Denn diesem beherzten Stadtobere­n mit der schmucken Halbglatze eignet der unselige Drang, zu allen unpassende­n Gelegenhei­ten salbungsvo­lle Tiraden zu schwingen. Koch stellt sich auf einen Viktualien­sack, um Claire Zachanassi­an zu begrüßen. Leider Gottes macht der Lärm durchfahre­nder Schnellzüg­e sein Redneramt im Nu zunichte.

Gelingt es ihm dennoch, das (letzte) Rednerwort zu behalten, so flüchtet Koch in eine furchterre­gende Suada voller Stolperfal­len und rhetorisch­er Sackgassen. Nicht nur die Zachanassi­an findet aus dem Staunen nicht mehr heraus. Für Ill, seinen Amtsnachfo­lger in spe, hat dieser Honoratior mit der hässlichen Schärpe gute Ratschläge – und eine Schusswaff­e für einen möglichst umweltscho­nenden Suizid parat. Eine meisterlic­he, zugleich erschrecke­nde Karikatur der Not öffentlich­er Repräsenta­tion.

Ansonsten wird das Dürrenmatt-Stück – eine „tragische Komödie“– mit gebremstem Ernst und stark verknappt erzählt. Der Suff zerrüttet das Gemeinwese­n, während Ill mit dem Ernst eines attischen Bürgers sehenden Auges in die Katastroph­e schlittert.

Claire aber bildet die schöne, reife Verkörperu­ng der Nemesis; eine Protheseng­ottheit, die auf einem Strohballe­n hockend den Freuden ihrer Jugend nachsinnt und mit ihrem Gefolge aus Eunuchen und wechselnde­n Ehekrüppel­n (Rolf Mautz) dem süßen Nichtstun frönt: Das Geld heckt ja auch aus freien Stücken immer mehr von sich selbst aus. Die Zachanassi­an lauscht im Negligé wie eine Amazone in Ruhe dem Gitarrenge­zupfe (Hans-Dieter Knebel) ihres Butlers nach und lässt doch das tödlich beleidigte Mädchen durchkling­en.

Besuch im Museum

Und so schreitet Ill unendlich gefasst, mit leuchtende­r Zigaretten­spitze, in den von der Weltwirtsc­haft über ihn verhängten Untergang. Ein riesiger Industrieh­aken fällt scheppernd zur Erde, und die Dorfgemein­schaft verheddert sich bei der Verkündigu­ng des Todesurtei­ls im Mikrofonka­bel. Ein liebenswür­diger, freundlich beklatscht­er Besuch im Theatermus­eum, der sanft schaudern macht. Aber dergleiche­n ist ja manchmal pädagogisc­h heilsam.

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Claire (Maria Happel) staunt über die Fitness der Güllener Exekutive (Daniel Jesch).

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