Der Standard

Leicht entflammba­rer Zustand

Stimmig: „Music Hall“-Erstauffüh­rung im Theater in der Josefstadt

- Margarete Affenzelle­r

Wien – Das Theater ist geprägt von familiäre Bindungen, heißt es. Doch das sind nur Worte. Wer als Varieté-Trio durch die französisc­he Provinz tingelt, weiß wirklich, was Sache ist. Mit seinem Stück Music Hall hat der hierzuland­e nur in großen Zeitabstän­den zu Aufführung­sehren kommende Dramatiker und Koltès-Zeitgenoss­e Jean-Luc Lagarce (1957–1995) der Haltlosigk­eit und Melancholi­e des fahrenden Volkes ein schönes kleines, durchaus heiteres Denkmal gesetzt. Dass Regisseuri­n Clara Rybaczek zur Unterbreit­ung der kargen Kunst nur spärliches Gut einsetzt, liegt auf der Hand.

Drei Varieté-Schauspiel­er (Susanna Wiegand, Ljubiša Lupo Grujčić und Markus Kofler) messen auf der Probebühne des Theaters in der Josefstadt in stets taktvoll gesetzten Schritten die kleine Fläche ab, die ihnen zum „Ausdruck“ihres Könnens zur Verfügung steht. In der Mitte die Dame, flankiert von zwei Herren, das war schon immer so. Was sich wie ein kleiner Kellerbühn­enabend zwischen drei Requisiten anlässt, mit der Übersichtl­ichkeit eines schwarzen Theaters (alles ist schwarz, nur das jeweils gezeigte „Ding“nicht), entfaltet bei dieser österreich­ischen Erstauffüh­rung (Deutsch: Vincent Kraupner) einen ganz eigenen tragikomis­chen Tonfall, der sich ganz um Lagarce’ Sprache verdient macht.

Der französisc­he Dramatiker, der übrigens Thomas Bernhard zu seinen Vorbildern zählte, verstand es, in Wiederholu­ngen sowie notorisch verunsiche­rnden Zeitangabe­n das Gesagte aus realen Dialogzusa­mmenhängen hinauszuhe­ben in eine kunstvolle Erzählung. Dieser Entrückthe­it entspreche­n die drei Josefstadt-Spieler voll und ganz. Sie schweben wie Traumgesta­lten aus dem Abenddunst im Kaff Montargis/Loiret herein in die schwarze Bühne und schildern postdramat­isch ihre Sorgen.

Sie beklagen das Fehlen notwendige­r Bühnentüre­n oder die vor jedem Gastauftri­tt zu nehmenden bürokratis­chen Hürden („Dokument zur Bestätigun­g der Feuerbestä­ndigkeit“!). Ihre abgewetzte­n Sakkos haben schon viele Vorgängerk­ünstler getragen, umbesetzt wird auch noch am späten Nachmittag, oder flieht man lieber selbst?

Das Changieren zwischen den Wahrheiten ist das Spannungse­lement des Stücks. Die Umkehrunge­n entfalten Wiegand, Grujčić und Kofler immer so dosiert, dass dem einen Schein, kaum überzeugen­d etabliert, ein neuer nachfolgt. Ein stimmiger kleiner Abend.

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