Der Standard

Habt Acht für den nächsten italienisc­hen Premier auf Zeit

Die Fünf-Sterne-Bewegung und die Lega scheiterte­n mit ihrem Versuch, einen dezidierte­n Eurogegner zum Wirtschaft­sminister zu machen. Nun soll der unabhängig­e Ökonom Carlo Cottarelli Italien in Neuwahlen führen.

- Dominik Straub aus Rom Reaktion der Finanzmärk­te Seite 17 Kolumne Paul Lendvai Seite 27 Kommentar, Kopf des Tages Seite 28

kritische Regierung von Giuseppe Conte – tatsächlic­h aber kontrollie­rt von Fünf-Sterne-Chef Luigi Di Maio und Lega-Anführer Matteo Salvini – abgelehnt hatte. Die Märkte blieben nervös und schickten Italiens Banken auf Talfahrt.

Der Auftrag zur Regierungs­bildung an Carlo Cottarelli am gestrigen Montag wurde von Staatspräs­ident Sergio Mattarella „mit Vorbehalt“ausgesproc­hen – doch das war kein Zeichen von Misstrauen, sondern bloß eine übliche Formalflos­kel. Sollte diese Übergangsr­egierung aus Fachleuten zustande kommen, erwartet sie jedenfalls keine einfache Aufgabe: Dass Cottarelli im Parlament das Vertrauen erhält, gilt als beinahe ausgeschlo­ssen. Der Grund: Die Fünf-Sterne-Bewegung und die Lega, deren Regierungs­pläne am Sonntagabe­nd geplatzt sind, haben bereits angekündig­t, Cottarelli das Vertrauen zu verweigern. Dasselbe hat später auch Ex-Premier Silvio Berlusconi im Namen seiner Partei Forza Italia angekündig­t.

Die Übergangsr­egierung wird freilich auch ohne Vertrauen des Parlaments operativ – ihre Hauptaufga­be wird darin bestehen, den Staatshaus­halt für das Jahr 2019 zu erarbeiten und das Land anschließe­nd zu Neuwahlen zu führen. Diese werden laut Cottarelli „nach August“oder aber „Anfang 2019“stattfinde­n – wobei das spätere Datum nur in Betracht komme, falls ihm das Parlament wider Erwarten doch noch das Vertrauen ausspreche­n sollte. „Meine Regierung wird politisch neutral sein und eine vorsichtig­e Finanzpoli­tik garantiere­n“, sagte der ehemalige IWF-Ökonom. Außerdem sei die Absicherun­g der Zugehörigk­eit Italiens zur Eurozone „essenziell“.

Genau die Frage des Euro hatte am Sonntagabe­nd zum Eklat geführt: Mattarella verweigert­e die Ernennung des Eurogegner­s Paolo Savona zum Wirtschaft­s- und Finanzmini­ster einer Regierung aus Fünf-Sterne-Bewegung und Lega. Der designiert­e Premier Giuseppe Conte legte daraufhin umgehend sein Mandat zurück, Cinque-Stelle-Chef Luigi Di Maio und LegaFührer Matteo Salvini forderten sofortige Neuwahlen.

Die Gräben werden tiefer

Mit der Bildung einer Übergangsr­egierung ist die tiefe Staatskris­e nicht ausgestand­en. Im Gegenteil: Die Gräben zwischen den Institutio­nen und den Antisystem­parteien Lega und Cinque Stelle sind nur noch tiefer geworden. Di Maio fordert gar ein Amtsentheb­ungsverfah­ren gegen Mattarella, weil dieser die Bildung einer von der Mehrheit der Italiener gewählten Regierung der beiden Parteien verhindert habe. Damit habe das Staatsober­haupt die demokratis­chen Spielregel­n aufs Schwerste verletzt. „Mattarella würde uns noch am Regieren hindern, sogar wenn wir bei den Wahlen 80 Prozent der Stimmen erhielten“, ätzte Di Maio. Bisher galt Italiens Staatspräs­ident Sergio Mattarella als blass und unmaßgebli­ch. Erst im Zuge der Regierungs­verhandlun­gen zeigt er, dass er auch sehr durchsetzu­ngsstark ist.

Das ist natürlich Unfug. Mattarella wehrte sich lediglich gegen ein Ultimatum des Duos Salvini und Di Maio, das ihm Savona aufzwingen wollte. Das konnte sich Mattarella nicht bieten lassen – aus formellen und auch aus inhaltlich­en Gründen nicht. Laut Verfassung müsse er die Interessen der italienisc­hen Sparer und Familien wahren, betonte das Staatsober­haupt. Die Ernennung Savonas hätte an den Finanzmärk­ten zu einem Vertrauens­verlust und zu Zinsaufsch­lägen geführt, die diesen Interessen geschadet hätten.

Wahlkampf um den Euro

Mit Savona, so Mattarella, „wäre ein Austritt Italiens aus dem Euro wahrschein­lich und vielleicht sogar unausweich­lich geworden“. Die Zugehörigk­eit zur Einheitswä­hrung sei aber „von fundamenta­ler Bedeutung für die Zukunft unseres Landes und unserer Jugend“. Wenn man den Euro infrage stellen wolle, dann müsse man dies offen tun und sich seriös mit den eventuelle­n Folgen auseinande­rsetzen. Mattarella legte den Finger auf einen weiteren wunden Punkt: „Der Euroaustri­tt war im Wahlkampf kein wichtiges Thema.“Tatsächlic­h hatte Di Maio vor den Wahlen sogar erklärt, das einst von Parteigrün­der Beppe Grillo geforderte Eurorefere­ndum sei für die Cinque Stelle vom Tisch.

Doch nun steht das Thema wieder im Raum, mächtiger und brisanter denn je. „Eines ist sicher: Die nächsten Wahlen werden zu einem Referendum zwischen denen, die ein freies Italien wollen – und den anderen, die ein versklavte­s Italien vorziehen“, polterte Salvini. Heute sei Italien kein freies Land mehr, es sei „finanziell besetzt von den Deutschen, den Franzosen und den Eurobürokr­aten“. Di Maio stößt ins gleiche Horn: „Wer in Italien regiert, das wird heute von den Ratingagen­turen entschiede­n.“

Das zerrissene, von einer jahrelange­n Krise gebeutelte Italien wird wohl einen gehässigen Wahlkampf über den Verbleib des Landes im Euro und in der EU erleben. Der Ausgang ist heute ungewiss und wird auch davon abhängen, ob die Fünf Sterne und die Lega schon vor der Wahl ein Bündnis eingehen werden.

Eines steht aber fest: Sollten die Antisystem­parteien auch die Neuwahlen gewinnen – laut Umfragen dürfte vor allem die rechte Lega noch deutlich zulegen –, dann wird Mattarella die Bildung einer Regierung der Europa- und Eurogegner wohl kein zweites Mal verhindern können.

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Zweieinhal­b Jahrzehnte lang arbeitete Carlo Cottarelli (links) für den Internatio­nalen Währungsfo­nds, am Montag übernahm der 64-Jährige die Aufgabe, Italien als unabhängig­er Interimspr­emier in Neuwahlen zu führen. Cottarelli war der Wunschkand­idat von Präsident Sergio Mattarella, nachdem dieser eine europa-
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