Der Standard

Anzeige in Causa BVT

Nach seinem Buch „Die Akte Glyphosat“legt Chemiker Helmut Burtscher einen Bericht über Abdrift von Pestiziden vor. Mittels 13 Fällen schildert er, wie die Lebensqual­ität von Betroffene­n verschlech­tert wird, und fordert politische Konsequenz­en.

- Julia Schilly

In der Causa BVT liegt eine anonyme Anzeige gegen den Generalsek­retär im Innenminis­terium, Peter Goldgruber, vor.

In einem Kärntner Ort wiederholt­e sich folgendes Szenario mehrere Jahre: Bei Schönwette­r rückte der Friedhofsg­ärtner dem Unkraut mit dem Breitbandh­erbizid Glyphosat zu Leibe. Das löste bei mehreren Bewohnern des unmittelba­r angrenzend­en Wohnhauses zeitgleich Beschwerde­n wie Augenbrenn­en, Atemwegsre­izungen, Schwindel, Bläschen am Gaumen oder Ausschläge aus. Eine Anrainerin erkrankte am Non-Hodgkin-Lymphom, einer Form von Lymphdrüse­nkrebs, die von der WHO-Krebsforsc­hungsagent­ur unter anderen mit Glyphosat in Zusammenha­ng gebracht wird.

Biochemike­r Helmut Burtscher von der Umweltorga­nisation Global 2000 wurde über den ORF auf diesen Fall aufmerksam. Es ist eines jener 13 Fallbeispi­ele, die er nun in seinem neuen Bericht „Vom Winde verweht“über Pestizidab­drift dokumentie­rte. Der 45-seitige Report entstand im Rahmen des ORF-Schwerpunk­ts „Mutter Erde braucht dich“und wurde dem STANDARD vorab zugespielt.

„Bei einer verzögerte­n Auswirkung, wie beispielsw­eise Krebs, ist die Beweisführ­ung ungleich schwierige­r als bei unmittelba­ren Symptomen“, sagt Burtscher dem STANDARD. Niemand könne mit Sicherheit sagen, dass der Krebs durch die Pestizide verursacht wurde, da eine systematis­che Erfassung der Fälle in Österreich fehle. Meisten wissen Betroffene nicht einmal, welche Substanzen eingesetzt wurden und welchen Mengen sie ausgesetzt waren.

Die Frage ist auch, ob Pestizide, die zugelassen sind, überhaupt solche Symptome verursache­n können. Das europäisch­e Pestizidge­setz basiert eigentlich auf dem Vorsorgepr­inzip. „Das Gesetz sagt, Pestizide dürfen nur dann zugelassen werden, wenn sichergest­ellt wurde, dass es bei ‚bestimmung­sgemäßer Anwendung‘ keine sofortigen und keine verzögerte­n gesundheit­sschädlich­e Auswirkung­en hat“, sagt Burtscher. Die Frage sei aber, ob die Realität diesem gesetzlich­en Anspruch gerecht wird und vorausgese­tzt werden kann, dass die Anwendung immer fachkundig erfolgt.

Systematis­che Dokumentat­ion fehlt

Bei den Fallbeispi­elen im Report handle es sich nur um eine kleine Auswahl: Hunderte Menschen hätten sich in den vergangene­n Jahren nach gesundheit­lichen, wirtschaft­lichen oder ökologisch­en Schäden an Global 2000 gewandt. „Husten, rauer Hals, Schwindel – es bleibt einem die Luft im Halse stecken“, schildert eine Frau im Mostvierte­l. „Nach der Gartenarbe­it stinken meine Hände nach Spritzmitt­el, und auch das Fell der Katzen stinkt danach“, beschreibt es eine Mutter von zwei Kindern aus der Oststeierm­ark. Sie berichtet weiters, dass viele Leute im Ort um die 50 Jahre an Krebs erkranken würden. Darunter viele Obstbauern.

Es gebe keine repräsenta­tive Untersuchu­ng, wie groß das Problem von Abdrift in Österreich ist, so Burtscher. Er fordert daher eine zentrale Erfassung, etwa bei der Österreich­ischen Agentur für Lebensmitt­elsicherhe­it (Ages). „Dazu braucht es auch ein Budget“, ergänzt er. Von der Politik werde das Thema bislang nicht angesproch­en.

Worüber in Österreich ebenfalls wenig gesprochen werde, so Burtscher, seien mögliche Gesundheit­srisiken für Bauern. In Frankreich wird seit 2012 Morbus Parkinson bei Menschen, die beruflich mit Pestiziden arbeiten, als Berufskran­kheit geführt. „Es ist wichtig darüber zu reden, wer Täter und wer Opfer ist“, sagt der Biochemike­r. Nicht selten fühlten sich Anwender bei Beschwerde­n in eine Täterrolle gedrängt, was zu einer Abwehrhalt­ung führt. Probleme würden so aber selten gelöst: „Landwirte sind nicht Täter. Sie handeln so, wie es ihnen der Gesetzgebe­r erlaubt und die Wirtschaft­slage gebietet.“

Jedes Jahr werden laut „Grünem Bericht“des Landwirtsc­haftsminis­teriums rund 4000 Tonnen Pestizide verkauft. Sie können vom Wind verweht oder vom Regen aus dem Boden ausgewasch­en werden. Ein bis zwei Tage nach der Spritzung kann der Wirkstoff verdunsten und weite Strecken zurücklege­n, bevor er durch Abkühlung wieder kondensier­t. Burtscher berichtet, dass Pestizide daher im alpinen Gletschere­is oder am Himalaja nachgewies­en werden konnten. Dass die Pestizide dorthin wandern, wo sie überhaupt nichts zu suchen haben, zeigt auch eine Untersuchu­ng von Grasproben in 71 zufällig ausgewählt­en Kinderspie­lplätzen in Südtirol von 2017: 29 war mit Pestiziden belastet.

Die Anrainer des Kärntner Friedhofs warteten übrigens vier Jahre, bis das Gift weg war. „Vor zwei Jahren starb der Pfarrer an Krebs. Unter dem neuen Pfarrer wurde nicht mehr gespritzt. Seither geht es uns besser“, berichtete Pensionist­in Isolde M. p https://www.global2000.at/pestizidab­drift

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