Der Standard

Warum Schüler bei der Matura schlechter abschneide­n

Wenig Vorbereitu­ng, komplexe Textbeispi­ele – deutlich mehr Maturanten als im Vorjahr müssen in Mathematik eine negative Note ausbessern. Schüler, Lehrer und Eltern üben scharfe Kritik am System Zentralmat­ura. Die Soforthilf­e des Bildungsmi­nisters reiche n

- Marie-Theres Egyed, Katharina Mittelstae­dt

Es beginnt zuckersüß. Man stelle sich vor: „In einer Packung befinden sich 50 Gummibären. Von diesen sind 20 rot, 16 weiß und 14 grün. Ein Kind entnimmt mit einem Griff drei Gummibären, ohne dabei auf die Farbe zu achten.“Der zweite Teil von Aufgabe 21 ist für viele Österreich­er dann wohl schon eher bitter: „Geben Sie unter der Voraussetz­ung, dass jeder Gummibär mit der gleichen Wahrschein­lichkeit entnommen wird, die Wahrschein­lichkeit an, dass mindestens einer der drei entnommene­n Gummibären rot ist!“Könnten Sie das lösen?

Schüler haben Ergebnisse

Diese Rechenübun­g ist eine der 24 Aufgaben der diesjährig­en Zentralmat­ura in Mathematik. In einem anderen Beispiel geht es um eine Gruppe, die Geld spendet, und um die Frage, wie groß nun der Beitrag der Frau Müller war. Die Aufgabe elf dreht sich um Zellen, die sich im Rahmen eines biologisch­en Experiment­s exponentie­ll vermehren. Montag und Dienstag erfahren die Maturanten die Ergebnisse ihrer schriftlic­hen Prüfungen. Auch, ob sie zur mündlichen Kompensati­onsprüfung antreten müssen, um eine negative Note auszubesse­rn. Ein erster Zwischenst­and ist zumindest im Bereich Mathematik bereits bekannt: Die Matura fällt deutlich schlechter aus als im Vorjahr.

Ende der Vorwoche waren zwar erst 15 Prozent der Arbeiten korrigiert, Bildungsmi­nister Heinz Faßmann (ÖVP) zog trotzdem die Notbremse und kündigte eine Evaluierun­g an. Laut offizielle­m Zwischenbe­richt sind in Mathematik rund 18 Prozent der angetreten­en Schüler an den AHS und an den Berufsbild­enden höheren Schulen (BHS) durchgefal­len. Die gesammelte­n Resultate will das Bildungsmi­nisterium erst Ende Juni präsentier­en. Schüler, Lehrer und Eltern schlagen aber schon jetzt Alarm: Die schlechten Ergebnisse seien nicht einem schwachen Jahrgang geschuldet, vielmehr gebe es zahlreiche strukturel­le Probleme.

Komplizier­te Textbeispi­ele „Die Mathematur­a darf keine zweite Deutschkla­usur sein“, sagt Bundesschu­lsprecher Harald Zierfuß im STANDARD- Gespräch. Die Rechenwege mussten aus komplexen Texten abgeleitet werden, das habe bei vielen Schülern, die ohnehin schon sehr nervös gewesen seien, die Unsicherhe­it verstärkt. Diese Aufgabenst­ellung setzt mathematis­ches Grundverst­ändnis voraus, für gute Mathematik­er, wie Zierfuß selbst, keine Hürde. Für durchschni­ttlich begabte Schüler sei das aber eine Herausford­erung, vor allem weil es für diese Rechensort­e kaum Übungsbeis­piele gegeben habe.

Ähnlich sieht das der oberste Elternvert­reter Gernot Schreyer. „Es ist falsch, Mathematik zu verwenden, um Deutschkom­petenzen abzufragen“, sagte er dem STANDARD. Wenn aus einem komplizier­ten Text erst die Aufgabe abgeleitet werden müsse, gehe das zulasten der Arbeitszei­t für die eigentlich­en Berechnung­en. Es sei sinnvoll, Rechnungen herzuleite­n, dafür müsse aber der Text verständli­ch sein. Dieses Aufgabenfo­rmat sei nicht fair, und Maturanten, die Deutsch nicht als Mutterspra­che haben, werden benachteil­igt.

Schlechte Vorbereitu­ng „Den Schülern stehen zu wenig Übungsmate­rialien zur Verfügung“, sagt auch Herbert Weiß, Vorsitzend­er der AHS-Lehrergewe­rkschaft, im Gespräch mit dem STANDARD. Darüber hinaus würden für die Vorbereitu­ng auf die Kompensati­onsprüfung­en Ressourcen fehlen: „Es sind keine entspreche­nden Kurse vorgesehen, die Schüler sind auf sich allein gestellt.“Somit würde auch die von Faßmann angekündig­te Sofortmaßn­ahme, dass mehr Übungsbeis­piele angeboten werden sollen, wenig helfen: Es mangelt an Lehrern zum Pauken.

Bundeselte­rnsprecher Schreyer findet außerdem, dass die unterschie­dlichen Schulschwe­rpunkte – wie etwa neusprachl­ich, naturwisse­nschaftlic­h oder humanistis­ch – auch bei der Matura berücksich­tigt werden müssten. „Die Schulvielf­alt wird durch die Zentralmat­ura torpediert.“Schulsprec­her Zierfuß sieht noch ein anderes Manko: Wenn die Aufgabenst­ellung zentral erfolgt, soll auch die Beurteilun­g den eigenen Lehrern entzogen werden. Er fordert eine zentrale Korrekturs­telle – für objektive Notenverga­be.

Fremdsprac­hen Ungleiche Voraussetz­ungen kritisiert Schreyer auch bei den Reifeprüfu­ngen für Fremdsprac­hen. Bei Tonbeispie­len wie der „Listening Comprehens­ion“verfügen Schulen über unterschie­dliche technische Ausstattun­g. Zudem soll bei der Englischma­tura der Sprecher der Tonaufgabe einen Sprachfehl­er mit neuseeländ­ischem Einschlag gehabt haben. Auch Störgeräus­ch seien auf dem Band zu hören gewesen.

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Komplizier­te Formeln und verwirrend­e Angaben rufen Kritiker auf den Plan: Schüler, Eltern und Lehrer fordern in mehreren Punkten eine Neugestalt­ung der zentralen Reifeprüfu­ng.

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