Der Standard

„Mai ’68? Das kann ich nicht mehr hören!“

Jean-Luc Mélenchon und Daniel Cohn-Bendit: Die Antipoden ihrer Generation

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Eigentlich waren sie sich schon damals nicht einig gewesen. JeanLuc Mélenchon (heute 66) – Chef der Linksparte­i „Unbeugsame­s Frankreich“, außerdem Präsidents­chaftskand­idat von 2017 mit Achtungser­folg – hatte im Mai 1968 den Aufstand in seiner Mittelschu­le in Lons-le-Saunier im entlegenen Ostfrankre­ich organisier­t. Mit seinen Kumpanen sorgte er dafür, dass sein Lycée fast den ganzen Monat über besetzt war und damit geschlosse­n blieb. Mélenchons Motiv war, wie er rückblicke­nd sagt, „die Hoffnung auf eine neue Revolution gegen die Rechte und ihren Präsidente­n Charles de Gaulle“.

Mit den Studenten im fernen Paris, „die nur den Mädchen bis in die Universitä­tswohnunge­n nachsteige­n wollten“, hatte der bodenständ­ige Sozialist aus dem Jura nichts am Hut: „Mit dem Slogan, es sei ‚verboten zu verbieten‘, konnten wir nichts anfangen. Den hörte man nur im Literatenv­iertel von Saint-Germain-des-Prés.“

Daniel Cohn-Bendit (mittlerwei­le 73) gehörte zu jenen Pariser „Liberal-Libertären“, wie er sich vor einigen Jahren selber definier- te. Mit jener Epoche, die ihn berühmt machte, hat er heute offenbar abgeschlos­sen: Am Telefon weist er entspreche­nde Interviewa­nfragen mit dem barschen Hinweis zurück: „Mai ’68? Das kann ich nicht mehr hören!“

Zuletzt ist er mit einem anderen Zeitgenoss­en, dem Regisseur Romain Goupil, lieber durch Frankreich gefahren, um Bürgerinne­n und Bürger über die neue Zeit zu befragen. Das daraus entstanden­e Roadmovie, in dem Polizisten, Muslime und Priester auftreten, bleibt politisch so unbestimmt wie „Dany le Rouge“.

Das Mélenchon-nahe Magazin Regards lästert jedenfalls voller Sarkasmus über den „orangen Dany“, der zwischen Grün und Rot und allem anderen laviere. Wegen Staatspräs­ident Emmanuel Macron finden sich die beiden 68er heute sogar in politisch gegensätzl­ichen Lagern wieder: Cohn-Bendit applaudier­t dem „liberalen“Staatschef und scherzt mit ihm in einer Spontieinl­age seines Films. Mélenchon bezeichnet Macron hingegen als „Präsidente­n der Reichen“und inszeniert sich als Hauptoppos­itionellen gegen ihn. Derzeit bündelt er den Widerstand gegen die laufenden Bahnund Unireforme­n: Am Samstag organisier­te er etwa in mehreren Städten einen „Massenaufl­auf“gegen Macron. In Paris nahmen über 30.000 Menschen daran teil.

Cohn-Bendit wurde auf den Boulevards, wo 1968 die Pflasterst­eine geflogen waren, nicht gesichtet. 50 Jahre später hat Macron nicht nur sämtliche gemäßigten Parteien Frankreich­s, sondern auch die Generation von 1968 vollends gespalten. (brä)

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Foto: AP / Michel Laurent Student Daniel Cohn-Bendit vor der Sorbonne im Mai 1968.

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