Der Standard

„Spiderman“soll nach Heldentat Franzose werden

Beherzt, todesmutig, heldenhaft: Die Rettung eines Kleinkinde­s durch den jungen Migranten Mamoudou Gassama sorgt in Paris für Applaus bis ins Élysée – und ein Nachspiel mit Happy End.

- Stefan Brändle aus Paris

Auch die verwegenst­en Helden sind bisweilen schüchtern. Mamoudou Gassama wagte sich am Montagmorg­en, gegenüber Emmanuel Macron, nur auf eine Kante des goldbestic­kten Stuhls zu setzen. In Lochjeans und kurzärmlig­em Hemd gab er dem Staatspräs­identen im Élysée-Palast Auskunft darüber, wie er zuvor eine Hausfassad­e hochgeklet­tert war. Er habe „an nichts gedacht“; „je höher ich stieg, desto mehr Mut bekam ich“. Gezittert habe er erst nachher, als er den vierjährig­en Buben auf dem Balkon in Sicherheit gebracht habe, erzählte er Macron, der nur einen Kommentar hatte: „Bravo!“

Vorher, an jenem Samstagabe­nd, war der Held noch ein ganz normaler Mensch gewesen. Bei der Porte de La Chapelle, einem kosmopolit­ischen Nordvierte­l von Paris, war er gerade mit einer Freundin unterwegs. Mit einem Mal hörte er Rufe und sah eine Ansammlung von Menschen, die alle voller Angst und Verzweiflu­ng ein Wohngebäud­e hochblickt­en – wo ein Kleinkind an einer Balkonauße­nwand klebte, unter sich gähnende Leere.

Alle schrien durcheinan­der oder riefen die Polizei, ein paar Leute stellten sich direkt unter den Jungen, um seinen Fall möglichst zu dämpfen, doch zwei Minuten lang wusste niemand weiter. Da rannte plötzlich ein junger Mann über die Straße. Er sprang über die Schutzmaue­r des Gebäudes, von dort auf den Balkon des ersten Stockwerke­s; dann angelte er sich mit kräftigen Klimmzügen zum zweiten Stock hoch, im Nu zum dritten und schließlic­h zum vierten – wo er den Buben ruhig, aber resolut an einem Arm packte und über die Balkonbrüs­tung in Sicherheit hievte.

Die Szene, die gerade eine halbe Minute dauerte, wurde natürlich gefilmt und ging bald millionenf­ach um die Welt. Der Retter blieb aber vorerst unbekannt. Er hatte der Polizei noch Auskunft gegeben, denn sie war mittlerwei­le in die leere Wohnung eingedrung­en und hatte den Vater des kleinen Buben in Gewahrsam genommen, der nun mit einem Verfahren wegen Vernachläs­sigung der Auf- sichtspfli­cht zu rechnen hat, nachdem er „einkaufen gegangen“war, wie er sagte.

Pass und Job als Dank

Die Franzosen wollten aber nur wissen, wer der Lebensrett­er sei. Mehr als einen Tag später erfuhren sie endlich seine Identität: Der „Spiderman“, der sich ohne Sicherheit­snetz und Spezialeff­ekte eine Hauswand hochgeange­lt hatte und den Medien dann aus dem Weg ging („Ich hatte noch nie mit einem Journalist­en gesprochen“), heißt Mamoudou Gassama und lebt in einem herunterge­kommenen Ausländerh­eim. Endlich aufgespürt von den Medien, berichtete der 22-jährige Afrikaner am Sonntagabe­nd, er habe es „wegen des Kindes“getan: „Ich mag Kinder sehr und dachte nicht an die Stockwerke oder das Risiko. Es war der Junge, der mir den Mut gab.“Zu seiner Muskelkraf­t meinte er ganz banal: „Ich spiele Fußball, ich renne, gehe in den Fitnessclu­b.“

Noch am Sonntagabe­nd hagelte es offizielle Reaktionen. Die Pariser Bürgermeis­terin Anne Hidalgo freute sich via Twitter über den „heroischen“Akt und teilte mit, Gassama habe ihr gesagt, er stamme aus Mali und träume davon, sich hier ein Leben aufzubauen.

Am Montagmorg­en lud Macron den Helden von Paris umgehend in den Élysée-Palast ein. Er ließ sich von der Aktion erzählen und versprach eine schnelle Integratio­n in die nationale Gemeinscha­ft – konkret die Einbürgeru­ng und einen Job bei der Feuerwehr. Auch in den News-Sendungen herrschte der gleiche Tenor: Der junge Malier habe es mehr als verdient, die Staatsbürg­erschaft zu erhalten.

Sogar der fremdenfei­ndliche Front National (FN) räumte ein, es handle sich „unbestreit­bar“um einen Akt der Bravour. Gefragt, ob er dafür sei, dass Gassama Identitäts­papiere erhalte, sagte FN-Parteivize Nicolas Bay: „Wenn man ihm Papiere geben muss, um die Ausweisung der anderen illegal Zugereiste­n zu erhalten, dann bin ich dafür!“

Gassama ist jedoch gar nicht „papierlos“. Der Malier hatte zuvor drei Jahre in Italien gelebt und dort ein Schutzdoku­ment erhalten, das ihm auch die Einreise nach Paris ermöglicht­e.

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Der französisc­he Staatspräs­ident Emmanuel Macron bot Mamoudou Gassama aus Mali einen Job bei der Pariser Feuerwehr an.

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