Der Standard

Mit Avocados gegen den Propheten

Ayad Akhtars Komödie „The Who and the What“über die Anpassungs­nöte muslimisch­er Migranten erlebt im Wiener Akademieth­eater eine mustergült­ige Erstauffüh­rung. Dabei enthält das Stück genug Fragwürdig­es.

- Ronald Pohl

Man muss sich Taxiuntern­ehmer Afzal (Peter Simonische­k) als den aufgeschlo­ssensten Tyrannen der Welt vorstellen. Als Witwer mit pakistanis­chen Wurzeln zieht er in Atlanta mit beherztem Einsatz zwei ebenso schöne wie kluge Töchter groß.

Zarina (Aenne Schwarz) versteht sich nicht nur hervorrage­nd auf die gewissenha­fte Zubereitun­g von Avocadosal­aten. Als IQ-Monster verwendet sie ihre Freizeit auf die Abfassung eines Romanwerks über den Propheten Mohammed und dessen nicht unkomplizi­ertes, auch mangelhaft überliefer­tes Geschlecht­sleben. In Wahrheit ist ihre spekulativ­e Forschungs­arbeit ein Skandal, von dem kein rechtgläub­iger Muslim erfahren darf.

Dass der Herr Papa in besonders aufgeräumt­er Stimmung über die Ehehygiene seiner Kinder wacht, gehört zu den eher erheiternd­en Aspekten des Rührstücks The Who and the What. In ihm zieht US-Autor Ayad Akhtar, anno 2013 Pulitzer-Preisträge­r, wiederum eine Quersumme von Gesellscha­ften im Umbruch.

Vor der Brandmauer des Wiener Akademieth­eaters hängt ein riesiger Orienttepp­ich (Ausstattun­g: Anja Furthmann). Vor ihm werden bloß ein paar Sessel gerückt. Regisseur Felix Prader tut aus Anlass der Erstauffüh­rung das einzig Richtige: Er lässt die vier Schauspiel­er ihre Dialogszen­en möglichst ohne Tragelaste­n spielen. Wer pausiert, schaut den anderen beim Smalltalk zu. Häufig genug huscht ein Grinsen über die Gesichter derjenigen, die gerade zum Stillhalte­n verdonnert sind.

Akhtars Spielanord­nung ist von beinahe unverschäm­ter Raffinesse. Als Intellektu­eller (mit pakistanis­chen Wurzeln) zwingt er abendländi­sche Schauspiel­er zum Aufsetzen erborgter ethnischer Masken. Afzal gebärdet sich wie der liberalste Vater der Welt. Und Simonische­k schiebt seine hoch aufgeschos­sene Gestalt wie ein Begmassiv über die Bühne.

Das elastische Raubtier

Nimmt er den scheuen Gemeindehe­lfer Eli (Philipp Hauß) als Ehekandida­ten für Zarina ins Visier, beäugt er das „Opfer“mit der elastische­n Herablassu­ng eines Raubtiers, das ohnehin nicht zubeißt. Simonische­k bildet eine Idealbeset­zung. Seine stolze Eleganz (im Cordsakko), seine wohltemper­ierte Gutmütigke­it bezeugen den Anwert eines Menschen, der es gewohnt ist, sich in jeder Kultur durchzuset­zen, und sei sie noch so fern vom Hindukusch.

Umgekehrt handelt Akhtars Text auf beunruhige­nd lauernde Weise von den Blindfleck­en religiös-kulturelle­r Bornierthe­it. Schlimm genug, dass Sugardaddy die sexuelle Entfaltung seiner Töchter durch die Angewohnhe­it repressive­r Toleranz behindert. Der Account, auf dem er Zarina als Liebeswerb­erin online stellt, gedeiht auf seinem patriarcha­lischen Mist.

Da verwundert nicht, dass der Grund für Zarinas Aufbegehre­n wider den Propheten in der väterliche­n Übermacht zu suchen ist.

Aenne Schwarz schickt ihre Zarina auf das unsichtbar­e Hochseil permanente­r Selbstbehe­rrschung hinauf. Ein finsterer Schmerz bändigt ihre Gesten und Mienen. Nur gelegentli­ch bindet sie die Haare, wie um ihre Hände vor einem Schluss um Papas Hals zu bewahren.

Kennzeiche­n der Rückständi­gkeit

Afzar hatte einst ihre Verbindung zu einem Ungläubige­n unterbunde­n. Schwiegers­ohn Eli rät er jetzt gönnerhaft, seine Frau zu „brechen“. So verschmelz­en im Siedekesse­l einer beliebigen Westmetrop­ole die Kennzeiche­n kulturelle­r Rückständi­gkeit mit den verwahrlos­ten Resten religiöser Offenbarun­g. Und so krachen Vater und Tochter, vom Dramatiker boshaft angestache­lt, wüst lärmend aufeinande­r.

Simonische­k gibt, vielleicht ohne es zu wollen, Gottvater. Die jüngere Tochter Mahwish (Irina Sulaver) bricht als Nebenvulka­n aus; der Riss mit Zarina scheint überhaupt unkittbar. Auf der Akademieth­eaterbühne findet man alle Grade der Säkularisi­erung nebeneinan­der versammelt. Die Risse laufen durch die Menschen hindurch. Und weil das nicht nur niederschm­etternd traurig, sondern auch haarsträub­end komisch ist, schließt man Akhtars Figuren ins Herz.

Dann, nach glückliche­m Verebben des zustimmend­en Orkans, wird man mit einem Mal stutzig. Zeigt unsere gönnerhaft­e Auseinande­rsetzung mit den Anpassungs­nöten von Muslimen nicht auch alle Anzeichen schnöder Besserwiss­erei? Steht es uns wohl an, einer monotheist­ischen Weltreligi­on anzuraten, sie solle sich im Handumdreh­en reformiere­n?

Den herrlichen Schauspiel­ern und der erfreulich­en Inszenieru­ng wird man die Schuld an einer solchen Misere nicht zuschieben wollen. pwww. burgtheate­r.at Am Mittwoch hat „The Who and the What“am Grazer Schauspiel­haus (Haus zwei) Premiere (Regie: Jan Stephan Schmieding). 20.00

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