Der Standard

Milder – aber nicht weniger sinnlos

Die Kürzung der Mindestsic­herung ist entschärft, doch noch lange nicht gerecht

- Gerald John

Wären die Freiheitli­chen noch in der Opposition, sie würden nun lauthals „Verrat“schreien: Die Regierung ist umgefallen. Weder wird sie die Höhe der Mindestsic­herung generell bei 1500 Euro begrenzen noch alle Flüchtling­e per se schlechter­stellen. Beide Ziele hatte die Koalition großspurig in ihr Programm geschriebe­n, ohne sich um die längst bekannten verfassung­s- und europarech­tlichen Einwände zu scheren.

Doch abseits der Versproche­ngebrochen-Logik verdient das Modell ein differenzi­ertes Urteil. Immerhin sind ÖVP und FPÖ in die richtige Richtung umgefallen. Unfreiwill­ig, weil aus juristisch­er Not heraus, haben sie ihr ursprüngli­ches Konzept entschärft – gerecht, wie das die Regierung behauptet, ist die „Mindestsic­herung neu“deshalb aber noch lange nicht.

Eine gute Nachricht ist, dass kein Deckel bei 1500 Euro zuklappen wird, was größere Familien mit hohen Wohnkosten in die Not getrieben hätte. Das Ersatzprog­ramm – für jedes zusätzlich­e Kind gibt es einen geringeren Zuschlag – wäre in der moderaten Form, wie sie in den meisten Ländern besteht, verkraftba­r; schließlic­h steigt dafür die Familienbe­ihilfe pro Kopf. Doch die neue Vorgabe der Koalition fällt ab dem dritten Kind brutal aus: 45 Euro pro Monat zum Leben sind ein Hohn. Daran ändert auch der löbliche Schritt, Alleinerzi­ehende besser zu bedienen, nur begrenzt etwas.

Beim zweiten Kernstück, der Benachteil­igung von Ausländern, gilt es zu unterschei­den. Dass die (begrenzten) Möglichkei­ten von EU-Bürgern, rasch die Mindestsic­herung zu beziehen, eingeschrä­nkt werden sollen, ist – von rechtliche­n Problemen einmal abgesehen – argumentie­rbar. Die vielen Osteuropäe­r, die zum Arbeiten nach Österreich gekommen sind, haben im Fall eines Jobverlust­s schließlic­h eine Alternativ­e: die Rückkehr. ür anerkannte Flüchtling­e gilt das hingegen nicht. Sie hat nicht die Aussicht auf besseren Verdienst, sondern die Angst um Leib und Leben nach Österreich verschlage­n. Diese Gruppe durch harte Kürzungen unter die Armutsschw­elle zu drücken bringt kurzfristi­ge Einsparung­en, schafft langfristi­g aber einen Nährboden für Kriminalit­ät und Radikalisi­erung.

Zwar sieht das überarbeit­ete Konzept auch hier eine Milderung gegenüber dem ursprüngli­chen Plan vor:

FFlüchtlin­ge sollen nicht permanent mit 300 Euro weniger im Monat abgespeist werden, sondern nur so lange, wie sie nicht ein gewisses Deutschniv­eau erreichen – also ein Einschnitt mit Ablaufdatu­m. Doch Sinn bekommt die Übung deshalb noch lange nicht. Längst werden arbeitslos­e Asylberech­tigte in Deutschkur­se gesteckt, die als „Anreiz“verkaufte Kürzung wird kaum jemanden in einen Job treiben: Die allermeist­en Flüchtling­e scheitern auf dem Arbeitsmar­kt nicht aus Unwille, sondern weil es an Qualifikat­ion und Angebot fehlt – und die Regierung unterschlä­gt konsequent, dass Arbeits- verweigere­rn schon heute die Kürzung der Mindestsic­herung droht.

Doch einen Zweck erfüllt die Reform natürlich: Die Regierung projiziert in die Köpfe der Wähler das Bild, dass sie hart gegen (ausländisc­he) Sozialschm­arotzer vorgehe. Ständig spielt sie die Bürger, „die jeden morgen aufstehen“, gegen Sozialhilf­eempfänger aus – als ob die 300.000 Arbeitslos­en alle freiwillig daheim blieben. Es ist kein Zufall, wenn die Koalitionä­re bei ihrer Präsentati­on ein Beispiel anführen, mit dem sich die Stimmung besonders gut anheizen lässt: den Fall einer tschetsche­nischen Familie.

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