Der Standard

Antrieb für Populisten

- Andreas Schnauder

In Italien herrscht wieder Chaos. Doch dieser Tage kann man nicht mehr von jenem fast schon zur Gewohnheit gewordenen Durcheinan­der reden, das beim südlichen Nachbarn seit Jahrzehnte­n herrscht. Die jüngsten Vorgänge bedeuten vielmehr eine Zerreißpro­be für die Demokratie. Eine Zerreißpro­be, die europaweit symptomati­sch für den hilflosen Umgang des Establishm­ents mit extremen und populistis­chen Parteien ist.

Staatspräs­ident Sergio Mattarella hat mit seiner Ablehnung des von der Lega Nord und der Fünf-Sterne-Bewegung nominierte­n Wirtschaft­s- und Finanzmini­sters deutlich gemacht, wo die roten Linien verlaufen. Für den bisher farblosen Schiedsric­hter Italiens, wie sich Mattarella selbst bezeichnet, hat der abgeblitzt­e Kandidat Paolo Savona mit seiner Kritik an der Eurozone und der deutschen Politik die Grenzen überschrit­ten. Doch für die Eurozone und die EU insgesamt könnte der in Rom errichtete Verteidigu­ngswall eine massive Schwächung bedeuten.

Auf den ersten Blick erscheint Mattarella­s Entscheidu­ng vernünftig: Das nun vereitelte Regierungs­programm enthielt mehrere Elemente, die das Zeug haben, Italiens missliche Lage weiter zu verschlech­tern. Vor allem die Rücknahme der Reformen des im internatio­nalen Vergleich üppigen Pensionssy­stems ist angesichts der hohen Verschuldu­ng ein Angriff auf die Staatsfina­nzen. Wenn dann Savona auch noch offen mit dem Euroaustri­tt liebäugelt, läuten in Brüssel, Frankfurt, Berlin und eben auch im römischen Quirinalsp­alast die Alarmglock­en. Erstaunlic­h schnell und kompromiss­los rückte die Feuerwehr aus.

Man mag die Politik von Lega und Cinque Stelle für destablisi­erend und Savona für eine Gefahr halten; doch all das kann die Missachtun­g des Wählervotu­ms nicht rechtferti­gen. Im Gegenteil: Mattarella­s Aktion wird als Unterwerfu­ngsgeste gegenüber den besorgten Kapitalmär­kten und wichtigen politische­n Playern der Eurozone gewertet.

Populistis­che Gruppierun­gen quer durch Europa können die vermeintli­che Niederlage nun genüsslich ausschlach­ten: „Seht her: Wenn es gilt, EU-kritische Bewegungen von der Macht fernzuhalt­en, können die Schaltzent­ralen in Europa sogar die Demokratie aushebeln.“Mattarella­s Entscheidu­ng für den Schutz der Ersparniss­e wird zu einem verheerend­en Signal, das die Populisten nur stärkt. Was muss eigentlich nach dem Brexit noch geschehen, damit in Europa die Sorgen der Bürger verstanden werden?

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