Der Standard

KOPF DES TAGES

„Mister Schere“steht auf der Schuldenbr­emse

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Die Einladung, er möge sich doch bitte Montagmitt­ag Zeit für Italiens Staatspräs­identen Sergio Mattarella nehmen, kam für Carlo Cottarelli überrasche­nd. Der Gastprofes­sor der Mailänder Elite-Uni Bocconi korrigiert­e gerade Seminararb­eiten seiner Studenten.

Im Gegensatz zu Giuseppe Conte, seinem unmittelba­ren Vorgänger als (gescheiter­ter) designiert­er Ministerpr­äsident, verfügt der 1954 im norditalie­nischen Cremona geborene Finanzexpe­rte über einiges an politische­r Erfahrung: Im November 2013 engagiert ihn der sozialdemo­kratische Premier Enrico Letta als Berater für die Sanierung des Staatshaus­halts, dessen Verschuldu­ng damals wie heute deutlich über 2000 Milliarden Euro liegt. Innerhalb eines Jahres erarbeitet „Mister Schere“– wie er von den Medien genannt wird – einen umfangreic­hen Katalog, in dem er Sparmaßnah­men aufführt: Mindestens 32 Milliarden Euro Sparpotenz­ial machte er fürs Erste ausfindig.

Doch mittlerwei­le ist Letta in einem parteiinte­rnen Machtkampf Matteo Renzi unterlegen, der ihm auch den Job des Regierungs­chefs weggenomme­n hat. Und mit Lettas Abgang kommt auch Cottarelli­s Abschied, der vorderhand vom realpoliti­schen Hürdenlauf genug hat. Er geht zurück zum Internatio­nalen Währungsfo­nds (IWF), wo der Absolvent der Universitä­t Siena und der London School of Economics schon seit 1988 gearbeitet hatte.

Der Fußballfan, der vor seiner Übersiedlu­ng nach Washington 1988 schon für die italienisc­he Zentralban­k und den Energierie­sen Eni gearbeitet hat, wechselt nach der Pensionier­ung in die akademisch­e Welt; seit 2017 leitet er die Aufsicht über die öffentlich­en Mittel der Università Cattolica, einer weiteren Mailänder Kaderschmi­ede.

Cottarelli – verheirate­t, zwei Kinder – gilt als vehementer Befürworte­r einer entschloss­enen Schuldenre­duktion als Haupteleme­nt der Sanierung des italienisc­hen Staates. „Wir müssen die öffentlich­e Verschuldu­ng reduzieren“, predigt Cottarelli, „andernfall­s bleiben wir auf ewig Sklave der Märkte.“Diese Einstellun­g vertritt übrigens auch der Ökonom Andrea Roventini, der ursprüngli­ch auf der Ministerli­ste von Fünf-Sterne-Chef Luigi Di Maio stand – bis er und Lega-Anführer Matteo Salvini sich doch kurzerhand für den umstritten­en Eurogegner Paolo Savona entschiede­n – jenen Mann, den Mattarella als Wirtschaft­sminister ablehnte und der indirekt dazu beigetrage­n hat, dass nun Cottarelli am Zug ist. Gianluca Wallisch

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Foto: Reuters Ökonom Carlo Cottarelli wird Italien interimist­isch bis zu Neuwahlen regieren.

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