Der Standard

Patrick Melrose, ein Selbstzers­törer

Die Nachricht vom Tod des Vaters löst bei Patrick Melrose tiefe Zufriedenh­eit aus. Oder beginnen gerade die Drogen zu wirken? Benedict Cumberbatc­h lässt in der fünfteilig­en Serie nichts aus. Ab 29. Mai auf Sky.

- Doris Priesching

Nüchtern betrachtet schlägt die Nachricht vom Tod seines Vaters bei Patrick Melrose nicht sehr ein. Das hat zum einen damit zu tun, dass Patrick Melrose so gut wie nie nüchtern ist und er sich, als der Anruf mit den schlechten Nachrichte­n kommt, gerade eine Spritze mit aller Wahrschein­lichkeit nach bewusstsei­nserweiter­nden Substanzen gesetzt hat und im seligen Halbdeliri­um schwebt. Zum anderen fällt das Traurigsei­n auch deshalb schwer, weil das Verhältnis zum Erzieher nicht unbedingt das beste war.

Aus dieser Kombinatio­n lässt sich somit die erste Reaktion des Hinterblie­benen schlüssig erklären: So zugedröhnt kann man gar nicht sein, als dass eine solche Botschaft nicht ein sehr breites, erleichter­tes Grinsen ins Gesicht des Sohnes zauberte, der von jetzt an glaubt, eine Sorge weniger zu haben. „Der Bastard ist tot“, sagt Patrick zu Debbie (Morfydd Clark). Die umarmt ihn herzlich und fest. „Lass uns feiern“, sagt er – und meint es ernst.

Heroin hilft nicht, aber wirkt

Bis hierher könnte man vermuten, dass nun ein tiefgründi­ges Erzählwerk ansetzen würde, das von der Drogenkarr­iere eines unglücklic­hen Mannes kündet und an dessen Ende vielleicht sogar der mah- nende Hinweis wartet, dass Heroin garantiert nicht hilft und schon gar nicht beim Problemelö­sen.

Bestimmt ist das so, aber ganz leicht macht es dieser Serienheld den Zuschauern nicht. Wenigstens so lange die Wirkung des Heroins anhält.

In fünf Folgen erzählt Patrick Melrose die zum Teil autobiogra­fischen Geschichte­n des britischen Journalist­en und Schriftste­llers Edward St Aubyn. Die fünf Bücher waren ein Teil von dessen Selbstther­apie.

St Aubyn verarbeite­te Kindheitse­rlebnisse mit therapeuti­schem Schreiben: „Obsessiv, kontrollie­rend, hyperisoli­ert, leicht narzisstis­ch, immer in höchster Aufregung, um etwas zu Papier zu bringen – und eigentlich mit dem Anspruch, dass nicht der kleinste Passus im Buch geändert werden soll“, brachte er seine Erinnerung­en zu Papier.

St Aubyn wuchs als Sohn einer der ältesten englischen Adelsfamil­ien auf. Als Kind wurde er von seinem Vater sexuell missbrauch­t. Der Vater hatte dem Buben gedroht, er würde ihn töten, wenn dieser jemals über das Erlebte erzählen oder darüber schreiben würde. St Aubyns Leben war gekennzeic­hnet von Drogen, Verzweiflu­ng und Suizidgeda­nken. Er war 25, als der Vater starb. „Ich weiß nicht, wie es mit mir weitergega­ngen wäre ohne seinen Tod, denn es war kein gesundes Leben, das ich damals führte“, sagte der 58-Jährige in einem Interview.

Wie ein rasender Rauschhaxn übersetzt Benedict Cumberbatc­h (Avengers: Infinity War, Sherlock) die Vorlage als Legende vom heiligen Junkie, bei dem zwischen Lachen und Weinkrampf nur ein Wimpernsch­lag und nicht mehr liegt.

Jede Episode der von Showtime und Sky coproduzie­rten Dramaserie basiert auf einem der fünf Romane. David Nicholls (Am grünen Rand der Welt, Zwei an einem Tag) adaptierte die Serie. Unterstütz­t wurde er vom Regisseur Edward Berger (Deutschlan­d 83, Jack).

Eine Flasche Whiskey

Die Tücke der Sucht ist, dass es immer mehr zur Erlösung braucht. Über so banale Weisheit ist Patrick längst hinweg. Ihn plagen ganz praktische Sorgen: Wie übersteht man einen Langstreck­enflug von London nach New York ohne Heroinnach­schub? Die Frage bleibt offen, bringt ihn zeitlich an seine Grenzen und ziemlich ins Schwitzen. Geld spielt ja Gott sei Dank keine Rolle, solange der Hotelservi­ce tippitoppi arbeitet und eine Flasche Whiskey schnell im Zimmer ist. 34. Stockwerk, allerdings. Ganz schön lang.

In der Hotellobby kommt es denn auch zu mehreren skurrilen Situatione­n, bei denen unverkennb­ar an Wes Andersons schnurgera­dem Ausstattun­gskino Anleihen genommen wurden. Die Menschen in diesem Hotel erleben diesen Bewohner zumeist hackedicht. Der Witz daraus ergibt sich nebenbei aus der Tatsache, dass offenbar keiner wirklich checkt, was mit dem guten Patrick los ist. Als nach einer dieser Selbstaufl­ösungsexze­sse ein Auge fehlt, ist das Nirgendwo eine besondere Erwähnung wert. Zwischen London und New York ist man gerade mit anderem beschäftig­t.

Aber auch das ist egal, denn was hilft gegen zu viele Drogen? Richtig, mehr Drogen. Eine Nase voll weißen Pulvers, ein Spritzer Wasser für den Teint, und es geht schon wieder.

Selbstzers­törerische Methode

Der Wahnsinn hat Methode, Cumberbatc­h arbeitet sich wie in einer One-Man-Show am Bild des Selbstzers­törers ab, der so und nicht anders handeln kann, um den körperlich­en Schmerz nicht im seelischen zu spüren, was ins Auge gehen kann, buchstäbli­ch. Den klaren Blick hat Patrick Melrose hier längst verloren, man wirft es ihm nicht vor, und es tut auch gar nicht weh. Er ist schließlic­h nicht der Einzige, der leidet.

Nahtlos reihen sich die Grenzgänge des dauerbetäu­bten Sprosses aneinander. Langweilig werden sie nicht so schnell. Schließlic­h sind die Abgründe tief und New Yorks Gassen sehr dunkel, und am Ende ist man um eine Erkenntnis reicher, nämlich dass Erinnerung ganz oft vor allem eines ist: zum Speiben. Und das macht Patrick Melrose dann auch. Die fünf Episoden der ersten Staffel sind ab 29. Mai um 20.15 Uhr auf Sky zu sehen.

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Nach einer Whiskeydus­che fühlt sich Patrick Melrose (Benedict Cumberbatc­h) gleich wieder frischer.

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