Der Standard

Wien verlangt vom Bund Deutschkur­se für Flüchtling­e

Sozialstad­trat Peter Hacker: Neue Mindestsic­herung anders nicht umsetzbar

- Gerald John

Wien – Wiens neuer Sozial- und Gesundheit­sstadtrat Peter Hacker (SPÖ) fordert die Bundesregi­erung im STANDARD- Interview auf, die Finanzieru­ng von Deutschkur­sen für Flüchtling­e ab dem ersten Tag nach Antragstel­lung auf Asyl sicherzust­ellen. Wie berichtet, sollen Flüchtling­e laut Reformvorh­aben von Türkis-Blau nur dann den vollen Bezug erhalten, wenn sie Deutschken­ntnisse auf dem Niveau B1 nachweisen können. Hacker kritisiert, dass Deutschkur­se derzeit von der Regierung gestrichen würden.

Um das Niveau B1 zu erreichen, würden Flüchtling­e ohne Vorkenntni­sse zumindest eineinhalb Jahre brauchen, heißt es aus dem Arbeitsmar­ktservice Wien, die vom STANDARD befragte Leiterin eines Sprachinst­ituts rechnet eher mit mehr. In diesem Zeitraum haben Asylberech­tigte den Regierungs­plänen zufolge Anspruch auf maximal 563 Euro pro Monat – die Basisleist­ung für gewöhnlich­e Bezieher beträgt hingegen 863 Euro.

Seine Funktion als Flüchtling­skoordinat­or gibt Hacker als Stadtrat ab, sie wird aber auch nicht nachbesetz­t: „Wir sehen keinen Bedarf.“Er spricht sich außerdem für eine „grundlegen­de Debatte“über die Reform des Pflegesyst­ems aus. Er plädiert dafür, die Pflegestuf­en zu streichen, Geld solle nach erbrachter Leistung fließen. (red)

Wien – Lückentext­e grammatisc­h und inhaltlich korrekt ergänzen, E-Mail-Antworten verfassen, Fragen zu vorgespiel­ten Texten beantworte­n oder aus Zeitungsan­noncen die richtige für eine gestellte Problemlag­e auswählen: Diese Aufgaben und noch mehr muss absolviere­n, wer eine Prüfung für Deutsch als Fremdsprac­he auf dem Niveau B1 absolviert.

Flüchtling­e kann ein Scheitern dabei künftig teuer kommen. In ihrem neuen Konzept zur Mindestsic­herung hat die Regierung einen „Arbeitsqua­lifizierun­gsbonus“von 300 Euro eingebaut. Wer diesen erhalten und so auf die Maximallei­stung von 863 Euro pro Einzelpers­on kommen will, muss die Pflichtsch­ule in Österreich abgeschlos­sen haben oder spezielle Sprachkenn­tnisse nachweisen: entweder Deutsch auf Level B1 oder Englisch auf Level C1.

Wie schnell ist dies für Asylberech­tigte zu schaffen? Das hänge davon ab, ob ein Flüchtling überhaupt schreiben und lesen könne, heißt es vom Arbeitsmar­ktservice Wien. Die Alphabetis­ierung lasse sich in zwölf Wochen hinkriegen, für die folgenden Sprachkurs­e der Stufen A1, A2 und B1 seien jeweils 15 Wochen nötig. Wenn jemand am ersten Tag nach dem Asylbesche­id starte und einen Kurs nach dem anderen erwische, gehe sich das also in knapp 60 Wochen aus. Weil aber mit Wartezeite­n zu rechnen ist, sei eine Absolvieru­ng in eineinhalb Jahren realistisc­h. So lange müssen Flüchtling­e folglich mit der reduzierte­n Leistung von 563 Euro pro Monat auskommen – in Summe ein Nachteil von 5400 Euro.

Alexandra Weidinger-Singer hält das für die Untergrenz­e: Dafür müsse der Flüchtling jedenfalls schon vorher des Lesens und Schreibens mächtig gewesen sein, über Schulerfah­rung verfügen und Gelegenhei­t haben, Deutsch im Alltag auch wirklich zu üben. Die Leiterin des Sprachinst­ituts Mentor setzt die Zeitspanne deshalb eher bei zwei Jahren an.

Die Englischvo­rgabe für die Mindestsic­herung liegt noch zwei Kursstufen darüber. Diese Alternativ­e zum Deutschgeb­ot sei deshalb im Konzept gelandet, heißt es aus der Regierung, um gut qualifizie­rte Personen zu bevorzugen.

Keine Lücken für EU-Bürger

Prinzipiel­l gilt die Sprachvors­chrift für alle Menschen ohne österreich­ischen Pflichtsch­ulabschlus­s. De facto zielt der Passus aber auf die Asylberech­tigten ab, denn für die anderen Ausländerg­ruppen gilt noch eine andere Restriktio­n: Zuwanderer aus der EU und Drittstaat­en soll die Mindestsic­herung ausnahmslo­s erst nach fünf Jahren Aufenthalt gebühren.

Wovon diese Leute hierzuland­e stattdesse­n leben sollen? Jedenfalls von keinen staatliche­n Leistungen, ergibt sich aus dem Konzept der Regierung. Denn schon jetzt gilt prinzipiel­l: Wer weder über ein Arbeitsein­kommen noch über genügend Geld auf der hohen Kante verfügt, hat nach drei Monaten im Land sein Aufenthalt­srecht verwirkt und muss gehen.

Allerdings gibt es Lücken. Ein bisschen Arbeit – in Wien etwa reicht ein Monat – genügt EU-Bürgern, um nach einem Jobverlust für sechs Monate Mindestsic­herung zu beziehen. Außerdem können Menschen mit geringfügi­gem Einkommen dieses vom ersten Tag an mit der Mindestsic­herung aufstocken. Dafür reichen 5,5 Wochenstun­den an Arbeit.

Genau diese Lücken wolle die Regierung nun schließen, kündigte ÖVP-Sozialspre­cher August Wöginger bei der Klausur an – wenn da nicht EU-Recht dagegen spricht. Der Europarech­tsprofesso­r Franz Leidenmühl­er ist überzeugt, dass dem so ist, und offenbar kursieren auch im Sozialmini­sterium Zweifel: Es werde geprüft, was machbar ist, heißt es.

Schutzbere­chtigte ins Heim

Noch eine Gruppe betreffen spezielle Änderungen: Subsidiär Schutzbere­chtigte – kein Asyl, aber Schutz vor Abschiebun­g auf Zeit – sind laut Regierungs­plan künftig von der Mindestsic­herung ausgeschlo­ssen. Derzeit ist dies von Land zu Land unterschie­dlich. Niederöste­rreich, Steiermark, Salzburg und das Burgenland gewähren nur die sogenannte Grundverso­rgung, die zwischen 320 und 365 Euro im Monat plus 150 Euro pro Jahr für Kleidung beträgt. Die restlichen Länder zahlen Mindestsic­herung oder stocken mit Geld aus dieser Leistung auf.

Künftig sollen Schutzbere­chtigte überall nur mehr Grundverso­r- gung bekommen. Folge für Betroffene aus bisher großzügige­ren Ländern: Wer eine Wohnung hatte, kann sich diese womöglich nicht mehr leisten – und muss zurück ins Flüchtling­sheim.

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