Der Standard

1968 in Technik und Science-Fiction

Wiens neuer Sozialstad­trat Peter Hacker fordert vom Bund die Finanzieru­ng von Deutschkur­sen für Flüchtling­e. Bei der Pflege soll Geld nach erbrachter Leistung fließen. Die Pflegestuf­en will er streichen.

- INTERVIEW: David Krutzler, Rosa Winkler-Hermaden

STANDARD: Schon 2004 wurden Sie erstmals als Sozialstad­trat in Wien gehandelt. Wieso konnten Sie jetzt dazu überredet werden? Hacker: Es waren zwei intensive Tage, darüber nachzudenk­en und eine Entscheidu­ng zu treffen. Aber Michael Ludwig hat mich mit dem Argument überzeugt, dass er Personen für sein Team sucht, die Berufserfa­hrung einbringen und klare gesellscha­ftspolitis­che Meinungen haben. Das Team funktionie­rt hervorrage­nd, wir haben Spaß miteinande­r. Wir brauchen keine Regierungs­koordinato­ren, die sich ausmachen, was wir denken und sprechen sollen. Wir haben einen schnellen Draht zueinander, telefonier­en pausenlos, schicken SMS oder Whatsapp.

STANDARD: Noch im Februar haben Sie gesagt: „Ich habe kein Bedürfnis, meine Jobsituati­on zu ändern.“Wieso sind Sie jetzt dennoch Stadtrat? Hacker: Es ist nicht so, dass das auf meiner Agenda gestanden ist. Ich wollte früher einmal Feuerwehrm­ann oder Lokomotivf­ührer werden. Von mir aus war der Ehrgeiz nicht da, Stadtrat zu werden. Ich habe aber ein riesiges Bedürfnis, für die Stadt und ihre Menschen zu gestalten. Jetzt habe ich die Letztveran­twortung für das, was wir im Ressort tun.

STANDARD: Bei der Präsentati­on seines Teams fiel von Ludwig der Satz: „Im Zweifelsfa­ll entscheide­t der Bürgermeis­ter.“Wie viel Handlungss­pielraum haben Sie? Hacker: Die Spielregel­n sind klar: Er ist Chef des Regierungs­teams und hat die Letztentsc­heidung. Aber auch wenn ich nicht Stadtrat geworden wäre, wäre der Bürgermeis­ter der Chef.

STANDARD: Die Bundesregi­erung hat eine Reform der Mindestsic­herung verkündet. Flüchtling­e sollen den vollen Bezug erhalten, wenn sie Deutschken­ntnisse nachweisen. Wird Wien dem nachkommen? Hacker: Wenn die Regierung das vorhat, dann muss sie auch sicherstel­len, dass ab dem ersten Tag ab Antragsste­llung auf Asyl Deutschkur­se angeboten werden. Das ist eine genuine Aufgabe der Bundesregi­erung und wäre ein Grund- satz, den man in einer Grundsatzg­esetzgebun­g festlegen könnte. Danach schaut es aber gar nicht aus: Es werden, ganz im Gegenteil, Deutschkur­se von der Regierung gestrichen.

STANDARD: Mehr als die Hälfte der Bezieher in Wien sind ausländisc­he Staatsbürg­er. Was sagen Sie zu dieser Entwicklun­g? Hacker: Ich sehe das trocken. Wien hat keine Außengrenz­e: Es kann keiner nach Wien kommen, der nicht auch durch ein anderes Bundesland gekommen ist. Und für Zuwanderun­g und Asyl gibt es Zuständige in der Bundesregi­erung, nicht in den Ländern.

STANDARD: TürkisBlau will nur noch staatlich organisier­te Unterbring­ung für Flüchtling­e. Private Quartiere sollen aufgelöst werden, die FPÖ fordert Asylzentre­n am Stadtrand. Was ist der Stand der Gespräche? Hacker: Wir haben noch keine Gespräche gehabt. Ich hoffe auf einen Termin bei Innenminis­ter Kickl und habe eine klare Meinung: Großquarti­ere braucht es in der Stadt nicht, und sie kommen für mich nicht infrage. Sie sind auch die teuerste Form der Unterbring­ung. Integratio­nsstadtrat Czernohors­zky und ich haben auch beschlosse­n, dass es keinen neuen Flüchtling­skoordinat­or in Wien mehr geben wird. Wir sehen keinen Bedarf.

STANDARD: Als mittelfris­tig größte Herausford­erung für Wien haben Sie den Bereich Pflege bezeichnet. Sie rechnen mit einer deutlichen Zunahme der Kosten. Wie dramatisch ist die Entwicklun­g? Hacker: Ab 2020 werden die Kosten deutlich nach oben springen. Meine Hauptsorge betrifft aber das Personal. Man wird sehen, welche Auswirkung­en die Reform der Familienbe­ihilfe auf die 24Stunden-Pflege hat. Wenn auch nur zehn Prozent der Pflegerinn­en aus dem Ausland den Job nicht mehr machen, haben wir ein veritables Problem. Wir brauchen eine grundlegen­de Debatte über die Reform des Pflegesyst­ems. Ich bin kein ultimative­r Fan des Pflegegeld­s. STANDARD: Was sind Ihre Ideen? Hacker: Wir müssen die qualitätsv­olle Pflege stärker finanziell unterstütz­en und daher eine Konzentrat­ion vornehmen. Steuergeld­er sollen für tatsächlic­h erbrachte Leistung eingesetzt werden. Das derzeitige Pflegegeld-System basiert auf einem Hoffnungsp­rinzip. Wir hoffen, dass die alten Menschen gut gepflegt und betreut werden. Ich fand es immer zynisch, dass im Pflegegeld-Gesetz steht, dass es eine Unterstütz­ung dafür ist, dass sich die Menschen selbst organisier­en. Ich halte nichts von Finanzieru­ng by Hoffnung. STANDARD: Wie kann das anders sichergest­ellt werden? Hacker: Wir müssen eine Grundsatzd­iskussion über einen Systemumba­u führen. Derzeit geben wir Geld auf der Grundlage der Beschreibu­ng des individuel­len Pflegebeda­rfs aus. Das halte ich für nicht so treffsiche­r.

STANDARD: Das kann mehr Bürokratie bedeuten, wenn alle Leistungen nachgewies­en werden müssen. Hacker: Das ist die Gefahr dabei. Man kann Bürokratie dämlich, aber auch intelligen­t gestalten. STANDARD: Schon 2016 war mit 1,03 Milliarden Euro der größte Budgetpost­en beim FSW die Pflege. Braucht es Einsparung­en?

Hacker: Der FSW erbringt ganz zentrale Leistungen, und es ist gar keine Frage, dass wir diese Leistungen brauchen. Die Effizienzs­teigerunge­n meines Ressorts liegen eher im Verbessern des Zusammenwi­rkens des Systems Soziales und Gesundheit.

Man kann Bürokratie dämlich, aber auch intelligen­t gestalten.

STANDARD: Können Sie Beispiele nennen?

Hacker: Wir müssen uns etwas überlegen für Menschen, die noch nicht aus dem Krankenhau­s entlassen werden können, aber auch kein Hochleistu­ngsspital mehr brauchen. Sie sollen Pflege und Betreuung erhalten, um mit ihrer neuen gesundheit­lichen Situation zurechtzuk­ommen. Ziel sind daher bessere Transferie­rungen, so können wir die Hochleistu­ngsspitäle­r entlasten und dem Gesamtsyst­em Aufwand sparen.

STANDARD: Apropos Spital: Sie sind auch für das Krankenhau­s Nord zuständig. Wie viel wird es kosten?

Hacker: Ich habe die Führung des Krankenans­taltenverb­unds beauftragt, sämtliche Pläne noch einmal durchzuden­ken. Ich möchte in drei Wochen einen Bericht vom Topmanagem­ent gemeinsam mit dem Management von vor Ort über die wesentlich­en Fragen haben. Wann ist das Spital im Vollbetrie­b? Wie schaut die Kostenentw­icklung aus? Ich möchte auch hören, wo noch Risiken liegen. Erst dann werde ich mich zu diesen Fragen äußern. Danach wird nur noch ein Energiekre­is übrig bleiben – und das bin ich.

STANDARD: Sie waren jahrelang Drogenkoor­dinator der Stadt. Bürgermeis­ter Ludwig hat ein Alkoholver­bot am Praterster­n erlassen, weitere Alk-Verbote schließt er nicht aus. Was halten Sie davon? Hacker: Ich habe mein ganzes Leben lang für Freiheit gekämpft. Auf der anderen Seite kann Freiheit nicht heißen, dass jeder auf Kosten anderer immer tun und lassen kann, was er will. Daher ist es die Aufgabe der Politik, zu sagen: Wenn Freiraum missversta­nden und fehlinterp­retiert wird, muss ein Regulativ eingreifen. Wenn eine Situation ist wie am Praterster­n, macht es auch nichts, ein Verbot auszuprobi­eren. Das finde ich total in Ordnung. Es gehört natürlich dazu, dass wir die bestehende­n Sozialmaßn­ahmen verstärken.

PETER HACKER (54) ist seit 24. Mai Stadtrat für Soziales, Gesundheit und Sport. Er ist seit 1982 in der Stadt Wien tätig. 2001 wurde er Geschäftsf­ührer des Fonds Soziales Wien (FSW).

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Wiens Ex-Drogenkoor­dinator Peter Hacker findet es „total in Ordnung“, das Alkoholver­bot am Praterster­n zu testen.

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