Der Standard

Südafrikas langwierig­er Aufbruch

Hundert Tage nach seinem Amtsantrit­t droht die Euphorie über den neuen Präsidente­n Cyril Ramaphosa nachzulass­en. Der Kampf gegen Korruption geht schleppend voran, doch ein Anfang ist gemacht.

- Johannes Dieterich aus Johannesbu­rg

Seinem Zeugnis hat Cyril Ramaphosa wohl selbst nicht ganz vertraut. Kurz vor seinem hundertste­n Regierungs­tag, der in Südafrika wie in anderen Teilen der Welt zum Anlass für eine erste Notenverga­be genommen wird, gab der Präsident noch schnell die künftige Abgabe der Hälfte seines Gehalts zu wohltätige­n Zwecken bekannt: Eine publikumsw­irksame Geste, die den schwerreic­hen Ex-Geschäftsm­ann nicht wirklich schmerzt, ihn aber noch klarer als bisher von seinem Vorgänger abheben soll. Jacob Zuma hatte, wie sich nun immer krasser herausstel­lt, die Staatskass­e gnadenlos leergeräum­t.

Weil Ramaphosa als Vizepräsid­ent dem Treiben der Zuma-Gang fünf Jahre lang eher untätig zugeschaut hatte, waren sich viele Südafrikan­er nicht sicher, ob der neue ANC-Chef alles anders machen und die Gangster hinter Gittern bringen würde: Man fürchtete, der joviale Kumpeltyp sei für solche Eingriffe zu „soft“. Doch Ramaphosa hob zu einem fulminante­n Start an, indem er Zuma zu seiner vorzeitige­n Abdankung als Staatschef zwang: Danach war am Kap der Guten Hoffnung von „Ramaphorie“die Rede – einer Euphorie, die fast an die Zeiten Nelson Mandelas erinnerte.

Schutz vor dem Kadi

100 Tage nach dem Machtantri­tt Ramaphosas sitzt jedoch noch immer kein einziger der regierende­n Räuber hinter Gittern, einige klammern sich sogar noch hartnäckig an ihre Kabinettss­essel. Ihre Macht ist zumindest noch so weit in Takt, dass sie nicht ohne weiteres isoliert, entblößt und vor den Kadi gezogen werden können – was vor allem daran liegt, dass Ramaphosa die ANC-Wahl im Dezember nur mit einer hauchdünne­n Mehrheit gewann.

Will der Präsident mit seiner Partei die im kommenden Jahr anstehende­n Wahlen gewinnen, ist er auf die Unterstütz­ung der gesamten Organisati­on angewiesen: Zerbricht der ANC oder zerreibt er sich in Fraktionsk­ämpfen, dann wird die kompromitt­ierte Partei die absolute Mehrheit verlieren. Dann hätte dem Präsidente­n auch die beste Regierungs­führung nichts genützt. Ramaphosa muss sich derzeit also wie ein gehandikap­ter Herkules vorkommen: Er soll den Augiasstal­l ausmisten, darf dazu jedoch statt einer Mistgabel nur einen Federwedel verwenden.

Unter den gegebenen Bedingunge­n hat der 65-jährige Staatschef bereits Beachtlich­es erreicht. Außer Zuma zum Rücktritt gezwungen zu haben, hat er zehn Minister geschasst, den umstritten­en Chef der Steuerbehö­rde suspendier­t, die Aufsichtsr­äte der vier größten Staatsbetr­iebe ausgewechs­elt, einen Zuma-nahen Provinzfür­sten aus dem Amt entfernt, den Geheimdien­stchef versetzt sowie einen neuen, erstmals wieder ernst zu nehmenden Polizeiche­f eingesetzt.

Morgendämm­erung

Auch die Wirtschaft schöpft Mut: Moody’s wertete das Kap der Guten Hoffnung wider Erwarten nicht in den Ramsch-Status ab, nach jahrelange­m Schlingerk­urs wird dem Land wieder ein Aufschwung prognostiz­iert. Rama- phosa spricht vom „New Dawn“, der Morgendämm­erung, die auch die Bevölkerun­g genießt. Hatten sich die Südafrikan­er nach dem wunderbare­n Ende der Apartheid und unter Führung Nelson Mandelas noch als etwas Besonderes betrachtet, war das Gefühl des Auserwählt­seins unter Zuma in sein Gegenteil verwandelt worden. Doch jetzt hat das Kap wieder Hoffnung geschöpft.

Wie fundamenta­l der ANC von der Morgendämm­erung ergriffen und verwandelt wird, steht nach 100 Ramaphorie-Tagen allerdings lange noch nicht fest. Zumindest drei der neun Provinzen des Landes werden noch immer von Zuma-Freunden geführt: Dessen Patronages­ystem hat sich wie ein klebriges Spinnennet­z über das gesamte Land ausgebreit­et und die ehemalige Befreiungs­bewegung in eine Selbstbere­icherungsb­ewegung verwandelt. In Kürze nimmt eine Untersuchu­ngskommiss­ion ihre Arbeit auf, die dem „state capture“, der Geiselnahm­e des Staates, nachgehen soll: Nach Einschätzu­ng ihres vorsitzend­en Richters braucht sie dafür mindestens zwei Jahre und 66 Millionen Euro. Ob die raffgierig­en Comrades danach geläutert sind, muss bezweifelt werden.

Es ist keine faule Ausrede, für die verheerend­en Verirrunge­n der Zuma-Jahre auch die Geschichte Südafrikas verantwort­lich zu machen: Wem Hunderte von Jahren lang verwehrt wurde, sein Schicksal selbst mitzugesta­lten, muss ein opportunis­tisches Verhältnis zum Glück entwickeln – man nimmt, was man kriegen kann. Noch heute haben schwarze Südafrikan­er wirtschaft­lich wesentlich weniger als weiße zu sagen – ein Umstand, den Zuma stets zur Rechtferti­gung seiner Plünderung bemühte.

Suche nach Gerechtigk­eit

Will Ramaphosa alles anders machen, muss er auch die anstößigst­en aller südafrikan­ischen Realitäten angehen: Die derzeit heftig umstritten­e Landreform ist eines von zahlreiche­n Exerzierfe­ldern dafür. Statt ihre Arme theatralis­ch in die Luft zu strecken, sollten auch die weißen Südafrikan­er mit auf die Suche nach einem gerechtere­n Land kommen: Schließlic­h erlebten sie in den vergangene­n Zuma-Jahren, was sonst mit dem Land passiert.

Südafrika auf eine tragfähige soziale Grundlage zu stellen ist eine Herausford­erung, die Ramaphosa auch in tausend Regierungs­tagen nicht alleine meistern kann. Doch ein Anfang ist immerhin gemacht. Und ein besserer Proband ist nicht in Sicht.

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