Der Standard

Asylbehörd­e war überforder­t

In Berlin müht sich Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU), die Affäre um zu Unrecht bewilligte Asylanträg­e in den Griff zu bekommen. Der Ex-Chef der Behörde beklagt Überforder­ung.

- Birgit Baumann aus Berlin

Um ein Wort ist Horst Seehofer (CSU) fast nie verlegen, erst recht nicht um ein ihn entlastend­es. Doch am Dienstagna­chmittag mag der deutsche Innenminis­ter sich nicht vor den vielen Journalist­en äußern. Diese stehen im Bundestag und warten darauf, dass der Innenaussc­huss zusammentr­itt, um über die Asylaffäre zu beraten und Seehofer zu „grillen“, wie es im Berliner Politjargo­n heißt. Er geht ohne Statement in den Saal.

Unschönes ist aus dem Bundesamt für Migration und Flüchtling­e (Bamf) bekannt geworden. Die Bremer Außenstell­e darf keine Asylbesche­ide mehr erstellen, die Staatsanwa­ltschaft ermittelt dort gegen die ehemalige Leiterin und fünf weitere Beschuldig­te – darunter drei Rechtsanwä­lte –, weil sie zwischen 2013 und 2016 unrechtmäß­ig rund 1200 Asylanträg­e ermöglicht haben sollen.

Der Fokus liegt nicht nur auf Bremen. Derzeit nimmt das Bamf bundesweit zehn Außenstell­en unter die Lupe, in denen es Abweichung­en von den durchschni­ttlichen Schutzquot­en um zehn Prozent gegeben hat. So hatte ein Mitarbeite­r im rheinland- pfälzische­n Bingen die BamfZentra­le in Nürnberg informiert, weil in Bingen zwischen Jänner und Oktober 2017 97 Prozent der Iraner und 90 Prozent der Afghanen Schutz erhalten hatten. Zum Vergleich: Deutschlan­dweit waren es knapp 50 Prozent der Iraner und 44 Prozent der Afghanen.

„Geräuschlo­s“prüfen

Es gab also am Dienstag genug Fragen der Abgeordnet­en an Seehofer und Jutta Cordt, die das Bamf seit Jänner 2017 leitet. Die drängendst­en waren: Wer wusste wann was von etwaigem Missbrauch? Und wie kann man in Zukunft verhindern, dass sich solche Fälle wiederhole­n? In der Kritik stehen beide: Die SPD wirft Seehofer, der im März Innenminis­ter wurde, vor, nicht entschiede­n genug aufzukläre­n. Cordt sieht sich dem Verdacht ausgesetzt, frühe Hinweise auf Missstände nicht konsequent verfolgt zu haben.

So zitieren mehrere Medien aus der E-Mail eines Gruppenlei­ters in der Bamf-Zentrale in Nürnberg. Im Februar 2017, als er über mögliche Unregelmäß­igkeiten in Bremen ins Bild gesetzt wurde, ordnete er zwar eine Prüfung an, diese aber sollte „geräuschlo­s“vonstatten­gehen. Er wolle nicht, „dass alles bis ins Detail geprüft wird“, heißt es in der E-Mail.

Auch abseits des Innenaussc­husses läuft längst die Schuldsuch­e. Zu Wort meldete sich Frank-Jürgen Weise, der das Bamf von September 2015 bis zur Übergabe an Cordt im Jänner 2017 geführt hatte. Er erklärt, die Zustände seien auf „Überforder­ung“zurückzufü­hren. Die Behörde sei von Herbst 2015 an vor der Aufgabe gestanden, Asylanträg­e in sehr großer Zahl zu bearbeiten. Und darauf sei sie „in keiner Weise“eingestell­t gewesen.

Politische­r Druck

Weise schildert in dem Interview mit der Welt auch den politische­n Druck: Wäre die Schlagzahl der Behörde nicht erhöht worden, „würden sich noch immer hunderttau­sende Anträge stapeln“. Erst das Krisenmana­gement unter seiner Leitung habe „dazu geführt, dass das Bamf überhaupt eine Chance hatte, den Anforderun­gen gerecht zu werden“. Für die Beschleuni­gung seien allerdings Fehler in Kauf genommen worden. Weise: „Dass es durch viele neue Mitarbeite­nde auch zu Fehlern kommen kann, war klar, aber im Rahmen der Risikoabwä­gung das kleinere Übel.“

Weise war auf dem Höhepunkt der Flüchtling­skrise vom damaligen Innenminis­ter Thomas de Maizière (CDU) an die Spitze des Bamf geholt worden. Zu diesem Zeitpunkt war er schon elf Jahre lang Leiter der Bundesagen­tur für Arbeit gewesen. Er galt in der Führung einer großen Behörde als besonders erfahren.

Scharfe Kritik an den internen Abläufen der Behörde und den Vorgaben von „oben“äußern auch Bamf-Personalra­tschef Rudolf Scheinost und sein Vize Paul Müller. In einem Schreiben an Cordt beklagen sie, dass den „Erledigung­en absoluten Vorrang“eingeräumt werde und dass „die Qualität diesem Ziel vollständi­g untergeord­net wird“. Das führe auch dazu, dass Einschränk­ungen der Rechtsstaa­tlichkeit „bewusst“in Kauf genommen werden.

Kanzlerin Angela Merkel hat sich übrigens bisher nur kurz zur Affäre geäußert und erklärt, Seehofer habe bei der Aufklärung ihre „volle politische Unterstütz­ung“.

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Das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e ist ins Zwielicht geraten, Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) steht unter Druck.

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