Täglich neues Ungemach bei der Liste Pilz
Seit der Parteigründer auf sein Mandat pocht, wirkt der Klub seiner Liste heillos zerstritten – dazu wittern seine Gegner offenbar gleich mehrere Gelegenheiten, dem Aufdecker jetzt eins auszuwischen.
Seit die Ermittlungen wegen diverser Belästigungsvorwürfe gegen Peter Pilz eingestellt worden sind, herrscht bei seiner Liste Ausnahmezustand. Weil der Parteigründer am liebsten von jetzt auf gleich sein Mandat annehmen würde, auf das er im Herbst verzichtet hat, stolpert der achtköpfige Klub nun von einem Debakel ins nächste: Anvisierte Pressetermine wurden abgesagt, angekündigte Einigungen verschoben.
Die jüngste Schmach: Martha Bißmann, die für Pilz im Parlament nachgerückt ist, dürfte offenbar in intensive Verhandlungen mit der Liste eingetreten sein, unter welchen Voraussetzungen sie zum Mandatsverzicht für Pilz bereit wäre – klagte aber parallel dazu medienöffentlich über den Druck von innen wie außen, der auf sie ausgeübt werde.
Noch-Klubchef Peter Kolba, der zu Monatsende seine Funktion zurücklegt, leakte daraufhin via Twitter eine „Punktation“, was sich Bißmann im Gegenzug alles ausverhandeln wollte. Demnach wollte Bißmann geschäftsführende Parteiobfrau werden, Listenplatz eins oder zwei bei der EUWahl, einen sicheren Listenplatz bei der nächsten Nationalratswahl, dazu soll sie den Abgang von Budgetsprecher Bruno Rossmann verlangt haben – worauf man sogar eingegangen sein will, ehe die Abgeordnete doch zurückzog.
Twittern statt debattieren
Im STANDARD- Gespräch wies Bißmann diese öffentlichen Vorhalte jedoch zurück: Das Papier, das Kolba vertwittert hat, stamme nicht aus ihrer Feder, versichert sie, denn: „Es ist nicht so, dass ich das alleine geschrieben hätte.“Die „Punktation“sei im Teamwork entstanden, unter Beteiligung von ihr, anderen Abgeordneten, Vertrauten und Pilz selbst. Der Listengründer habe gar die Erstversion des Papiers verfasst – darin sei schon der Posten der Vize-Parteichefin enthalten gewesen. Und deshalb seien auch „unterschiedlichste Interessenlagen darin berücksichtigt im Sinne einer strukturellen Verbesserung der gesamten Liste Pilz“, sagt Bißmann.
Darunter falle etwa die Forderung, in Bezug auf Rossmann – weil er derzeit als Finanzreferent sowohl im Klub als auch in der Partei ein Veto habe. Diese Konstruktion hätte „entflochten“werden sollen, so die Mandatarin. Gegenüber Kolba empfindet sie „einen Vertrauensverlust“.
Kolba selbst will laut eigenen Angaben wiederum nicht an der Gestaltung der „Punktation“beteiligt gewesen sein. Bißmann habe „mit Peter Pilz ein Papier verhandelt“, sagt er. Kolbas Fazit zu der Chose lautet: Er habe das Dokument veröffentlicht, „weil Frau Bißmann sich da in eine Position geworfen hat, als ob sie aus Feminismus handeln würde. Das Papier zeigt aber, dass sie aus Karrierismus gehandelt hat.“
Währenddessen braut sich offenbar beim politischen Gegner neues Ungemach gegen Pilz zusammen: So wurde dem STANDARD etwa ein Konvolut an alten Auslieferungsbegehren der Justiz von Pilz noch als Mandatar zugespielt, die der Immunitätsausschuss des Parlaments einst abgeschmettert hat. Das Pikante daran: Wenn die diversen Privatkläger von damals entsprechende Anträge stellen, könnten nun auch diese Verfah- ren fortgeführt werden – weil Pilz derzeit über kein Mandat verfügt.
Neben den Verfahren wegen des Verdachts der „verbotenen Veröffentlichung“von Akten im Zuge der Ekis-Affäre und in der Causa Kampusch finden sich da weitere Fälle wegen des Verdachts „der üblen Nachrede“– darunter eine Privatanklage aus dem Jahr 2007 der Rumpolds, einst freiheitliche EADS-Lobbyisten, oder eine aus dem Jahr 2005 von Kärntens Ex-Landeshauptmannvize Martin Strutz (FPÖ, dann BZÖ).
Dem Vernehmen nach ebenfalls Überlegungen in den nicht gerade wohlgesonnenen Reihen: dass man Aufdecker Pilz etwa in den Eurofighter-U-Ausschuss als Auskunftsperson laden könnte – was ihm dann wegen schiefer Optik die Mitgliedschaft in dem Untersuchungsgremium zumindest bei einzelnen Kapiteln erschweren könnte.
Das hat sich Horst Seehofer wohl anders vorgestellt. Er selbst ging nach Berlin, um als Bundesinnenminister jene Kompetenz einzubringen, für die sich die CSU gerne rühmen lässt: nämlich für Recht und Ordnung zu sorgen, vor allem in der Asylpolitik. Auf diesem Feld hat er Kanzlerin Angela Merkel bekämpft, ihr am Tiefpunkt der Beziehungen sogar eine „Herrschaft des Unrechts“vorgeworfen, weil sie all die Flüchtlinge ins Land ließ.
Und nun steht Seehofer dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vor, dieser Behörde mit der unschönen Abkürzung Bamf, in der Asylanträge offenbar zu Unrecht positiv beschieden wurden. Es ist eine Affäre, die brandgefährlich ist. Schon 2015 empfanden viele die offenen Türen Deutschlands als staatlichen Kontrollverlust.
Das Thema geriet in den Hintergrund, als später dann deutlich weniger Flüchtlinge kamen. Doch jetzt ist es wieder da, mit genau dem gleichen Beigeschmack: Dem Staat ist erneut die Kontrolle entglitten, es wird in einer Behörde nach Gutdünken entschieden.
Seehofer kann darauf verweisen, dass die Missstände aus der Zeit vor seinem Amtsantritt stammen. Aber er wird nicht umhinkommen, für restlose Aufklärung zu sorgen und die Strukturen so zu gestalten, dass man dem Bamf wieder vertrauen kann. Er wird dabei keine Rücksicht darauf nehmen können, dass das Innenministerium in Deutschland seit 2005, also seit Merkel Kanzlerin ist, von CDU- und CSU-Ministern geführt worden ist.