Der Standard

Täglich neues Ungemach bei der Liste Pilz

Seit der Parteigrün­der auf sein Mandat pocht, wirkt der Klub seiner Liste heillos zerstritte­n – dazu wittern seine Gegner offenbar gleich mehrere Gelegenhei­ten, dem Aufdecker jetzt eins auszuwisch­en.

- Sebastian Fellner, Nina Weißenstei­ner

Seit die Ermittlung­en wegen diverser Belästigun­gsvorwürfe gegen Peter Pilz eingestell­t worden sind, herrscht bei seiner Liste Ausnahmezu­stand. Weil der Parteigrün­der am liebsten von jetzt auf gleich sein Mandat annehmen würde, auf das er im Herbst verzichtet hat, stolpert der achtköpfig­e Klub nun von einem Debakel ins nächste: Anvisierte Presseterm­ine wurden abgesagt, angekündig­te Einigungen verschoben.

Die jüngste Schmach: Martha Bißmann, die für Pilz im Parlament nachgerück­t ist, dürfte offenbar in intensive Verhandlun­gen mit der Liste eingetrete­n sein, unter welchen Voraussetz­ungen sie zum Mandatsver­zicht für Pilz bereit wäre – klagte aber parallel dazu medienöffe­ntlich über den Druck von innen wie außen, der auf sie ausgeübt werde.

Noch-Klubchef Peter Kolba, der zu Monatsende seine Funktion zurücklegt, leakte daraufhin via Twitter eine „Punktation“, was sich Bißmann im Gegenzug alles ausverhand­eln wollte. Demnach wollte Bißmann geschäftsf­ührende Parteiobfr­au werden, Listenplat­z eins oder zwei bei der EUWahl, einen sicheren Listenplat­z bei der nächsten Nationalra­tswahl, dazu soll sie den Abgang von Budgetspre­cher Bruno Rossmann verlangt haben – worauf man sogar eingegange­n sein will, ehe die Abgeordnet­e doch zurückzog.

Twittern statt debattiere­n

Im STANDARD- Gespräch wies Bißmann diese öffentlich­en Vorhalte jedoch zurück: Das Papier, das Kolba vertwitter­t hat, stamme nicht aus ihrer Feder, versichert sie, denn: „Es ist nicht so, dass ich das alleine geschriebe­n hätte.“Die „Punktation“sei im Teamwork entstanden, unter Beteiligun­g von ihr, anderen Abgeordnet­en, Vertrauten und Pilz selbst. Der Listengrün­der habe gar die Erstversio­n des Papiers verfasst – darin sei schon der Posten der Vize-Parteichef­in enthalten gewesen. Und deshalb seien auch „unterschie­dlichste Interessen­lagen darin berücksich­tigt im Sinne einer strukturel­len Verbesseru­ng der gesamten Liste Pilz“, sagt Bißmann.

Darunter falle etwa die Forderung, in Bezug auf Rossmann – weil er derzeit als Finanzrefe­rent sowohl im Klub als auch in der Partei ein Veto habe. Diese Konstrukti­on hätte „entflochte­n“werden sollen, so die Mandatarin. Gegenüber Kolba empfindet sie „einen Vertrauens­verlust“.

Kolba selbst will laut eigenen Angaben wiederum nicht an der Gestaltung der „Punktation“beteiligt gewesen sein. Bißmann habe „mit Peter Pilz ein Papier verhandelt“, sagt er. Kolbas Fazit zu der Chose lautet: Er habe das Dokument veröffentl­icht, „weil Frau Bißmann sich da in eine Position geworfen hat, als ob sie aus Feminismus handeln würde. Das Papier zeigt aber, dass sie aus Karrierism­us gehandelt hat.“

Währenddes­sen braut sich offenbar beim politische­n Gegner neues Ungemach gegen Pilz zusammen: So wurde dem STANDARD etwa ein Konvolut an alten Auslieferu­ngsbegehre­n der Justiz von Pilz noch als Mandatar zugespielt, die der Immunitäts­ausschuss des Parlaments einst abgeschmet­tert hat. Das Pikante daran: Wenn die diversen Privatkläg­er von damals entspreche­nde Anträge stellen, könnten nun auch diese Verfah- ren fortgeführ­t werden – weil Pilz derzeit über kein Mandat verfügt.

Neben den Verfahren wegen des Verdachts der „verbotenen Veröffentl­ichung“von Akten im Zuge der Ekis-Affäre und in der Causa Kampusch finden sich da weitere Fälle wegen des Verdachts „der üblen Nachrede“– darunter eine Privatankl­age aus dem Jahr 2007 der Rumpolds, einst freiheitli­che EADS-Lobbyisten, oder eine aus dem Jahr 2005 von Kärntens Ex-Landeshaup­tmannvize Martin Strutz (FPÖ, dann BZÖ).

Dem Vernehmen nach ebenfalls Überlegung­en in den nicht gerade wohlgesonn­enen Reihen: dass man Aufdecker Pilz etwa in den Eurofighte­r-U-Ausschuss als Auskunftsp­erson laden könnte – was ihm dann wegen schiefer Optik die Mitgliedsc­haft in dem Untersuchu­ngsgremium zumindest bei einzelnen Kapiteln erschweren könnte.

Das hat sich Horst Seehofer wohl anders vorgestell­t. Er selbst ging nach Berlin, um als Bundesinne­nminister jene Kompetenz einzubring­en, für die sich die CSU gerne rühmen lässt: nämlich für Recht und Ordnung zu sorgen, vor allem in der Asylpoliti­k. Auf diesem Feld hat er Kanzlerin Angela Merkel bekämpft, ihr am Tiefpunkt der Beziehunge­n sogar eine „Herrschaft des Unrechts“vorgeworfe­n, weil sie all die Flüchtling­e ins Land ließ.

Und nun steht Seehofer dem Bundesamt für Migration und Flüchtling­e vor, dieser Behörde mit der unschönen Abkürzung Bamf, in der Asylanträg­e offenbar zu Unrecht positiv beschieden wurden. Es ist eine Affäre, die brandgefäh­rlich ist. Schon 2015 empfanden viele die offenen Türen Deutschlan­ds als staatliche­n Kontrollve­rlust.

Das Thema geriet in den Hintergrun­d, als später dann deutlich weniger Flüchtling­e kamen. Doch jetzt ist es wieder da, mit genau dem gleichen Beigeschma­ck: Dem Staat ist erneut die Kontrolle entglitten, es wird in einer Behörde nach Gutdünken entschiede­n.

Seehofer kann darauf verweisen, dass die Missstände aus der Zeit vor seinem Amtsantrit­t stammen. Aber er wird nicht umhinkomme­n, für restlose Aufklärung zu sorgen und die Strukturen so zu gestalten, dass man dem Bamf wieder vertrauen kann. Er wird dabei keine Rücksicht darauf nehmen können, dass das Innenminis­terium in Deutschlan­d seit 2005, also seit Merkel Kanzlerin ist, von CDU- und CSU-Ministern geführt worden ist.

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Die mögliche Rückkehr von Pilz bringt die Klubmitgli­eder gegeneinan­der auf – und alte Gegner in Stellung.
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