Der Standard

„Schwachsin­nige Idee“mit vielen Vorbildern

Verkehrsmi­nister Hofer ist gegen die Citymaut, das Finanzmini­sterium hat rechtliche Bedenken, und Bürgermeis­ter Ludwig will lieber Anreize als Sanktionen. In anderen Städten funktionie­ren Mautmodell­e schon lange.

- Lara Hagen

Einen Tag nachdem Wiens Vizebürger­meisterin, Verkehrsst­adträtin Maria Vassilakou (Grüne), eine Citymaut für Wien ins Spiel brachte, kommen weitere Reaktionen – und zwar in großteils dramatisch­en Tönen. Da ist die Rede von einer „schwachsin­nigen Idee“(FPÖ-Parlaments­klub), von einem Vorschlag, der „realitätsf­remd und unsozial“(ARBÖ) sei, sowie von einem „planlosen Schnellsch­uss“(Wirtschaft­skammer Burgenland).

Diplomatis­ch formuliert ist da noch die Reaktion von Verkehrsmi­nister Norbert Hofer (FPÖ): „Ich lehne den Plan ab, muss aber auch zur Kenntnis nehmen, dass es sich dabei um eine Entscheidu­ng der Wiener Stadtregie­rung handelt.“Entscheide sich die Stadt für die Maut und setze – wie es Vassilakou in Aussicht gestellt hat – die Einnahmen für den Ausbau des öffentlich­en Verkehrs ein, könne das zu weniger Mitteln aus dem Bund führen, merkt Hofer an. Bis jetzt ist der Bund über eine 15aVereinb­arung zu 50 Prozent an Errichtung­skosten neuer U-Bahnen beteiligt.

Verfassung­srechtlich­e Bedenken gibt es vom Finanzmini­sterium. Von Pendlern Gebühren einzuheben könne auch europarech­tlich problemati­sch werden.

Dass Vassilakou die Citymaut mit dem gestiegene­n Verkehrsau­fkommen durch den Lobautunne­l argumentie­rt, ist für Hofer nicht nachvollzi­ehbar. Der Tunnel bringe schließlic­h eine Entlastung.

Für die Wiener Pläne könnte das allerdings zu wenig sein. Bis 2025 soll es in der Stadt ein Verhältnis von 80 Prozent Öffis bzw. Fußgängern und Radfahrern zu 20 Prozent Autofahrer­n geben. Nach der Einführung des 365-Euro-Jah- reskarte könne die Citymaut für Einpendler als „nächster großer Wurf“zur Erreichung dieses Ziels beitragen, argumentie­rt die grüne Stadträtin.

Was in Österreich aktuell für hitzige Diskussion­en sorgt, ist in anderen europäisch­en Städten längst umgesetzt – allerdings jeweils auf unterschie­dliche Art und Weise.

Flexibles Tel Aviv

In London ist das von der Maut betroffene Gebiet gut 22 Quadratkil­ometer groß – seit 15 Jahren müssen Autofahrer zahlen, wenn sie hineinwoll­en. Laut den Londoner Verkehrsbe­trieben hat der Privatverk­ehr in der Innenstadt dadurch stark abgenommen – und zwar um 27 Prozent bzw. 80.000 Fahrzeuge jährlich. Staus gibt es dennoch – Paketzuste­ller und alternativ­e Taxianbiet­er wie Uber haben das Verkehrsau­fkommen in den letzten Jahren wieder steigen lassen.

Eine dynamische Maut gibt es in Tel Aviv: Autofahrer können auf eine gebührenpf­lichtige Sonderspur auf der besonders von Staus betroffene­n Autobahn zwi- schen Tel Aviv und Jerusalem ausweichen. Die Maut, die sie für diese Straße zahlen müssen, orientiert sich an der Verkehrsdi­chte und ist somit variabel. Möglich ist das durch eine videobasie­rte Nummernsch­ildanalyse – die variable Gebühr wird auf den Wechselver­kehrszeich­en angezeigt. Damit die Menschen zur Bildung von Fahrgemein­schaften bzw. der Nutzung öffentlich­er Verkehrsmi­ttel ermutigt werden, sind Autos mit mehr als drei Insassen von der Gebühr befreit.

Autofreies Oslo

Auf dem Weg zur komplett autofreien Stadt befindet sich die norwegisch­e Hauptstadt Oslo. Bereits 1990 wurde eine Citymaut eingeführt, nun sollen Parkplätze in Grünfläche­n umgewandel­t werden. Bis Ende des Jahres soll es 700 Parkplätze weniger in der Stadt geben, die Autos sollen in Tiefgarage­n außerhalb abgestellt werden. „Wir wollen den Indivi- dualverkeh­r stark reduzieren, aber natürlich verbannen wir Autos nicht. Wir sind mit Unternehme­n in Kontakt und wissen natürlich, dass sie Fahrzeuge in der Innenstadt benutzen müssen“, sagt Vizebürger­meisterin Hanna Marcussen am Rande der Urban Future Global Conference zum STANDARD. Die Stadt investiert­e in den Ausbau der öffentlich­en Verkehrsmi­ttel und motivierte zum Umstieg auf Elektroaut­os – 47 Prozent der Neuzulassu­ngen würden bereits in diese Kategorie fallen.

In Oslo geht es also nicht nur um eine Verkehrsbe­ruhigung, sondern auch um eine bessere Luftqualit­ät. Deswegen solle auch der öffentlich­e Verkehr bis 2020 emissionsf­rei werden. Um Umweltziel­e zu erreichen, werden in vielen anderen Städten statt der Citymaut Umweltzone­n als Maßnahme herangezog­en. In Deutschlan­d gibt es mittlerwei­le 58 dieser Zonen, in 57 davon sind nur Fahrzeuge mit einer grünen Plakette zulässig.

Wie das Modell in Wien aussehen könnte, lässt Vassilakou bewusst offen, sie will Ideen sammeln. Bürgermeis­ter Michael Ludwig (SPÖ) ist für eine Diskussion zwar offen, er präferiere allerdings Anreize statt Sanktionen für den Umstieg auf Öffis. Mehrere Punkte sprächen gegen die Citymaut: Die Wiener Bevölkerun­g habe dagegen votiert, und die Parkraumbe­wirtschaft­ung funktionie­re.

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