„Das Geschäft mit dem Tod läuft gut“
Mit fotorealistischen Bildern verletzter Kinder wurde Gottfried Helnwein in den 1970er-Jahren weltberühmt. In Wien gestaltet er die diesjährige Ringturmverhüllung. Diskussionen rund um das Werk sind programmiert. Was sagt der Künstler dazu?
Wien – Mitte Juni soll sie fertig sein. Die jährliche Verhüllung des Wiener Ringturms im Auftrag der Wiener Städtischen. Gestaltet wird sie diesmal von Gottfried Helnwein. Der Künstler sieht sich in Tradition zu Goya und Picasso. Auch sie haben die Kriege ihrer Zeit in ihrer Kunst festgehalten. Das sei eine Notwendigkeit, meint Helnwein. Wir haben ihn per E-Mail in seiner Wahlheimat Los Angeles erreicht.
STANDARD: Sie verhüllen den Ringturm mit dem Bild eines Kindes mit Maschinenpistole. Warum?
Helnwein: Die Welt befindet seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges immer noch im permanenten Kriegszustand. In diesen Kriegen starben etwa 50 Millionen Menschen, ganze Nationen wurden in die Steinzeit zurückgebombt. Keine dieser Militärinterventionen hat jemals ein Problem gelöst oder jemandem geholfen, außer dem Militär und der Rüstungsindustrie und dessen Banken. Und da das Geschäft mit dem Tod gar so gut läuft, werden die Kriege auf immer neue Länder ausgeweitet. Das empört mich.
STANDARD: Glauben Sie, dass Ihre Arbeit die Gesellschaft reflektierter, friedfertiger macht?
Helnwein: Eine Frau hat mir erzählt, dass sie als 14Jährige das erste Mal meine frühen Arbeiten mit den verwundeten Kindern gesehen hat und davon völlig erschüttert war. Die Bilder hatten etwas in ihr aufgewühlt, das sie verdrängt hatte: Sie war als Kind missbraucht worden. Sie sagte, dass ihr die Auseinandersetzung mit meinen Bildern letztlich geholfen hätte, das Trauma zu überwinden.
STANDARD: Die Frau hat sich den Bildern bewusst ausgesetzt. Dem Ringturm entkommt man nicht. Braucht es nicht Regeln für Kunst im öffentlichen Raum?
Helnwein: Kunst braucht keine Regeln, sie braucht absolute Freiheit. Kunst ist auch niemals demokratisch. Ganz im Gegenteil: Jedes relevante Kunstwerk entsteht durch die diktatorische Entscheidung eines Künstlers. Ein guter Rat: Wenn Ihnen ein Kunstwerk nicht gefällt: Schauen sie einfach nicht hin.
STANDARD: Sie fühlen sich der 68er-Bewegung nahe. Die politisierte sich einst durch die Gräuelbilder des Vietnamkriegs, die erstmals im TV gezeigt wurden. Heute scheint durch die mediale Überfrachtung mit Gewaltbildern ein Fluchtreflex einzusetzen. Man will eben nicht mehr hinsehen. Ist das gefährlich?
Helnwein: Der ganze Planet ist fest im Griff eines Systems, das Pasolini schon in den 1960er-Jahren als Konsumterror, als den neuen Faschismus, bezeichnet hat. Die Überflutung mit überflüssigen Konsumprodukten, schwachsinnigem Entertainment, Kitsch und Gewalt in Massenmedien, Filmen und Computerspielen haben die Menschen desensibilisiert und in einen Zustand von Apathie getrieben. Systemkritisches Denken und nennenswerten politischen Widerstand gibt es kaum mehr.
STANDARD: Ihr Werk schockiert auch längst nicht mehr so wie früher. Ebenfalls Ausdruck dieser Apathie?
Helnwein: Es war nie meine Absicht, irgendjemanden zu schockieren, es ist eher so, dass mich die Gesellschaft, in der ich lebe, immer wieder schockiert. Meine Arbeit ist lediglich ein Versuch, mich dagegen zu wehren. Es gibt Menschen, die vor meinen Bildern stehen und weinen. In San Francisco hat mich eine Museumsbesucherin umarmt und gesagt: „Sie wissen gar nicht wie wichtig es ist, dass Sie ihre Bilder gerade hier und jetzt zeigen.“
STANDARD: Sie leben seit vielen Jahren in L.A. 2018 gab es in den USA bereits 22 sogenannte School-Shootings. Wo liegen die Wurzeln dieser Gewaltausbrüche?
Helnwein: Kinder, die Massenmorde an Kindern begehen, das hat es in der gesamten Geschichte der Menschheit noch niemals gegeben. Das ist neu. Wenn Kinder beginnen, andere Kinder zu töten und sich dann selbst richten, ist das ein sicheres Anzeichen für das Sterben einer Zivilisation. Statt sich um die Erziehung ihrer Kinder zu kümmern, stopft man sie in den USA mit Psychopharmaka voll, überlässt sie dem Internet und ist froh, wenn man sie los ist.
GOTTFRIED HELNWEIN (69) ist einer der bekanntesten Künstler Österreichs. Er lebt in Irland und Los Angeles. Langfassung des Gesprächs unter: pwww. derStandard.at/Kultur