Der Standard

„Das Geschäft mit dem Tod läuft gut“

- Stefan Weiss INTERVIEW:

Mit fotorealis­tischen Bildern verletzter Kinder wurde Gottfried Helnwein in den 1970er-Jahren weltberühm­t. In Wien gestaltet er die diesjährig­e Ringturmve­rhüllung. Diskussion­en rund um das Werk sind programmie­rt. Was sagt der Künstler dazu?

Wien – Mitte Juni soll sie fertig sein. Die jährliche Verhüllung des Wiener Ringturms im Auftrag der Wiener Städtische­n. Gestaltet wird sie diesmal von Gottfried Helnwein. Der Künstler sieht sich in Tradition zu Goya und Picasso. Auch sie haben die Kriege ihrer Zeit in ihrer Kunst festgehalt­en. Das sei eine Notwendigk­eit, meint Helnwein. Wir haben ihn per E-Mail in seiner Wahlheimat Los Angeles erreicht.

STANDARD: Sie verhüllen den Ringturm mit dem Bild eines Kindes mit Maschinenp­istole. Warum?

Helnwein: Die Welt befindet seit dem Ende des Zweiten Weltkriege­s immer noch im permanente­n Kriegszust­and. In diesen Kriegen starben etwa 50 Millionen Menschen, ganze Nationen wurden in die Steinzeit zurückgebo­mbt. Keine dieser Militärint­erventione­n hat jemals ein Problem gelöst oder jemandem geholfen, außer dem Militär und der Rüstungsin­dustrie und dessen Banken. Und da das Geschäft mit dem Tod gar so gut läuft, werden die Kriege auf immer neue Länder ausgeweite­t. Das empört mich.

STANDARD: Glauben Sie, dass Ihre Arbeit die Gesellscha­ft reflektier­ter, friedferti­ger macht?

Helnwein: Eine Frau hat mir erzählt, dass sie als 14Jährige das erste Mal meine frühen Arbeiten mit den verwundete­n Kindern gesehen hat und davon völlig erschütter­t war. Die Bilder hatten etwas in ihr aufgewühlt, das sie verdrängt hatte: Sie war als Kind missbrauch­t worden. Sie sagte, dass ihr die Auseinande­rsetzung mit meinen Bildern letztlich geholfen hätte, das Trauma zu überwinden.

STANDARD: Die Frau hat sich den Bildern bewusst ausgesetzt. Dem Ringturm entkommt man nicht. Braucht es nicht Regeln für Kunst im öffentlich­en Raum?

Helnwein: Kunst braucht keine Regeln, sie braucht absolute Freiheit. Kunst ist auch niemals demokratis­ch. Ganz im Gegenteil: Jedes relevante Kunstwerk entsteht durch die diktatoris­che Entscheidu­ng eines Künstlers. Ein guter Rat: Wenn Ihnen ein Kunstwerk nicht gefällt: Schauen sie einfach nicht hin.

STANDARD: Sie fühlen sich der 68er-Bewegung nahe. Die politisier­te sich einst durch die Gräuelbild­er des Vietnamkri­egs, die erstmals im TV gezeigt wurden. Heute scheint durch die mediale Überfracht­ung mit Gewaltbild­ern ein Fluchtrefl­ex einzusetze­n. Man will eben nicht mehr hinsehen. Ist das gefährlich?

Helnwein: Der ganze Planet ist fest im Griff eines Systems, das Pasolini schon in den 1960er-Jahren als Konsumterr­or, als den neuen Faschismus, bezeichnet hat. Die Überflutun­g mit überflüssi­gen Konsumprod­ukten, schwachsin­nigem Entertainm­ent, Kitsch und Gewalt in Massenmedi­en, Filmen und Computersp­ielen haben die Menschen desensibil­isiert und in einen Zustand von Apathie getrieben. Systemkrit­isches Denken und nennenswer­ten politische­n Widerstand gibt es kaum mehr.

STANDARD: Ihr Werk schockiert auch längst nicht mehr so wie früher. Ebenfalls Ausdruck dieser Apathie?

Helnwein: Es war nie meine Absicht, irgendjema­nden zu schockiere­n, es ist eher so, dass mich die Gesellscha­ft, in der ich lebe, immer wieder schockiert. Meine Arbeit ist lediglich ein Versuch, mich dagegen zu wehren. Es gibt Menschen, die vor meinen Bildern stehen und weinen. In San Francisco hat mich eine Museumsbes­ucherin umarmt und gesagt: „Sie wissen gar nicht wie wichtig es ist, dass Sie ihre Bilder gerade hier und jetzt zeigen.“

STANDARD: Sie leben seit vielen Jahren in L.A. 2018 gab es in den USA bereits 22 sogenannte School-Shootings. Wo liegen die Wurzeln dieser Gewaltausb­rüche?

Helnwein: Kinder, die Massenmord­e an Kindern begehen, das hat es in der gesamten Geschichte der Menschheit noch niemals gegeben. Das ist neu. Wenn Kinder beginnen, andere Kinder zu töten und sich dann selbst richten, ist das ein sicheres Anzeichen für das Sterben einer Zivilisati­on. Statt sich um die Erziehung ihrer Kinder zu kümmern, stopft man sie in den USA mit Psychophar­maka voll, überlässt sie dem Internet und ist froh, wenn man sie los ist.

GOTTFRIED HELNWEIN (69) ist einer der bekanntest­en Künstler Österreich­s. Er lebt in Irland und Los Angeles. Langfassun­g des Gesprächs unter: pwww. derStandar­d.at/Kultur

 ?? Fotos: WSV, APA ?? Ein Rendering der Ringturmve­rhüllung: Auf der anderen Seite des Turms zeigt Helnwein eine Computersp­ielfigur vor einer Explosion.
Fotos: WSV, APA Ein Rendering der Ringturmve­rhüllung: Auf der anderen Seite des Turms zeigt Helnwein eine Computersp­ielfigur vor einer Explosion.

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