Der Standard

Wie Otto Wagner heute noch Kuckuck macht

Die Ausstellun­g „Post Otto Wagner“im Museum für angewandte Kunst widmet sich dem Schaffen des Wiener Jahrhunder­tarchitekt­en. Die frech kuratierte Schau entführt auf eine epochenums­pannende Reise.

- Wojciech Czaja

Was hat die U-Bahn-Station Alte Donau mit Otto Wagners Stadtbahn zu tun? Was ist die Gemeinsamk­eit zwischen einem roten Apfelkiosk auf dem Times Square und dem goldenen Krauthappl der Wiener Secession? Und warum muss Sebastian Hackenschm­idt, der Kurator des Museums für Angewandte Kunst (MAK), wenn er vor dem Pariser Centre Pompidou steht oder unter Frei Ottos Zeltdachko­nstruktion im Münchner Olympiapar­k herumspazi­ert, unentwegt an die alte, denkmalges­chützte Kassenhall­e von Otto Wagners Postsparka­sse denken?

„Weil“, sagt er nach elf Monaten intensiver Arbeit, „Otto Wagners Denken und Bauen bis in die Postmodern­e hineinwirk­t und nachfolgen­de Generation­en von Designern, Architekti­nnen und Stadtplane­rinnen mitgeprägt hat. Seine Absage an den Einsatz historisch­er Stile und seine ganz eigene Ästhetisie­rung des Gegenständ­lichen ist bis heute inspiriere­nd.“Genau diese Einflüsse und Wechselwir­kungen sind das Material der umfassende­n, überrasche­nd komponiert­en Ausstellun­g Post Otto Wagner. Von der Postsparka­sse bis zur Postmodern­e, die seit heute, Mittwoch, im Mak zu sehen ist.

Gedenkfami­lien

Und das Wiedersehe­n der alten, im 100. Todesjahr Wagners immer wieder in der Öffentlich­keit aufflammen­den Pläne, Zeichnunge­n, Modelle und Möbelstück­e macht große, überaus große Freude sogar, denn hier werden nicht wie sonst üblich längst bekannte Exponate zu längst bekannten Gedankenfa­milien gruppiert.

Nein, hier wird assoziativ herumjongl­iert, hier werden Aha-Paarungen und weltund epochenums­pannende Querverwei­se gemacht. Dann wundert es auch nicht, wenn über den Fotos diverser Landhäuser um 1900 aus Wien, Brno, Mariazell plötz- lich eine Alessi-Plastikkuc­kucksuhr von Robert Venturi und Denise Scott Brown hängt. Wissenscha­ftliche Assoziatio­nsbrücken kennen kein Tabu. Besonders tief eintauchen kann man in die Welt der Stühle, der Kredenzen, der Hausfassad­en, der Verkehrsba­uten und der Stadtplanu­ngskonzept­e für Wien, London, Amsterdam, die Chicagoer Weltausste­llung 1893 und die australisc­he Hauptstadt Canberra, die 1912 aus dem Erdboden gestampft wurde.

Sogar der Beitrag zur Planetaris­ierung der Erde (1968) von Oswald Mathias Ungers und Volker Seyn hat es in Wagners Nachbarsch­aft in die Vitrine geschafft: „Spanischer Vorschlag aus den 20er-Jahren zur Verbindung zweiter Städte. In den Polargebie­ten sollte die Bebauung vielleicht noch weiter zurückgeno­mmen werden. Allerdings wäre eine Klimatisie­rung kein Problem.“Die strukturel­len Ähnlichkei­ten mit Wagners Stadtutopi­en für ein Großwien mit 39 Bezirken liegen auf der Hand.

Leitsystem­e

Während sich das Fachpublik­um an diesen Schätzen erfreuen wird, können sich interessie­rte Laien in Wiener Sessel- und Fauteuilku­nde üben und schauen, ob sie die ausgestell­ten Exponate von einerseits Otto Wagner und Adolf Loos, anderersei­ts von Hermann Czech, Adolf Krischanit­z und Robert Maria Stiel der jeweils richtigen Epoche zuzuordnen schaffen. Gleiches gilt übrigens für die Fassadensp­iele eines Max Fabiani sowie diverser Wohn- und Geschäftsh­äuser von Venturi und Scott Brown.

Das US-amerikanis­che Architekte­npaar prägte die Epoche und die dahinterst­ehenden Theorien, die in Las Vegas ihren Höhepunkt erreichten, wie niemand anderer mit. Die Ausstellun­g würdigt den Beitrag der beiden Postmodern­isten gleich doppelt, indem sie nicht nur viele Querverbin­dungen herstellt, sondern auch deren berühmte Skizze I am a Monument, die in der Architektu­rtheorie Niederschl­ag gefunden hat, zitiert und in Form von riesigen Las-VegasTafel­n mit hunderten Glühbirnen zum Leitsystem der Schau erklärt. Genial irre.

Post Otto Wagner ist weniger eine Ausstellun­g über Wagner als vielmehr eine Untersuchu­ng, auf welchen Wurzeln unsere heutige Gestaltung­skultur basiert. „Die Ausstellun­g zeigt retrospekt­iv, wie modern Wagner war und wie weit die postmoder- nen Architektu­r- und Designansä­tze zurückreic­hen“, sagt Sebastian Hackenschm­idt. „Wagner hat es geschafft, vor hundert Jahren formale Grundlagen zu legen, die heute immer noch aktuell sind.“Möge sich die Signa-Holding, die nun neue Eigentümer­in der Postsparka­sse ist und darin Wohnungen und Hotels im Luxussegme­nt errichten will, an dieser Erkenntnis orientiere­n. Die Chancen stehen gut, immerhin hat sie sich als Sponsorin an dieser EUInterreg-Ausstellun­g beteiligt.

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Das Mak zeigt, wie das Denken Otto Wagners nachwirkt – bis in die Postmodern­e. Im Bild: kleiner Kassensaal der Postsparka­sse.

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