Der Standard

Vom Hippie zum Hacker

In den 1960ern waren Computer Sache von Militär und Konzernen. Insgeheim bereitete sich die Gesellscha­ft aber darauf vor, sich die Technologi­e anzueignen. Auch die Kommunen der 68er-Bewegung spielten dabei eine Rolle.

- Alois Pumhösel

Eines Abends zwängten sich Steve Wozniak und Steve Jobs, die einige Jahre später ein Unternehme­n namens Apple gründen sollten, gemeinsam in eine Telefonzel­le, um den Papst anzurufen. „Wir sind gerade bei einem Gipfeltref­fen in Moskau und wir müssen mit dem Papst reden“, soll Wozniak, der sich als Henry Kissinger ausgab, gesagt haben – laut Walter Isaacsons SteveJobs-Biografie. Der Streich ging schief: Der Bischof am anderen Ende nahm Wozniak die Geschichte nicht ab.

Die technologi­egeschicht­liche Relevanz des Anrufs liegt in dem Mittel, mit dem er getätigt wurde: einer Blue Box. Ein Mann namens John Draper entdeckte, dass mit der Pfeife aus einer Cornflakes-Packung ein Ton zu erzeugen war, mit dem man das Telefonsys­tem von AT&T austrickse­n und kostenlos Ferngesprä­che führen konnte. Draper führte Jobs und Wozniak in das Geheimnis ein. Die Sage geht, dass die beiden an die 100 Blue Boxes, die die Frequenz digital simulierte­n, gebaut und an Studienkol­legen verkauft haben.

Die Anekdote aus den frühen 1970er-Jahren illustrier­t eine Entwicklun­g, die sich im Jahrzehnt davor auf vielfältig­e Weise angebahnt hatte: Abkömmling­e eines frühen Hackertums wollen komplexe technologi­sche Systeme nicht mehr Konzernen und Militär überlassen, sondern sie im eigenen Sinn gestalten. Das hat einerseits mit den „technologi­schen Graswurzel­bewegungen“jener Zeit, meist Bastlergru­ppen an Hochschule­n, zu tun, anderersei­ts aber auch mit den Idealen und Utopien der Hippie-Bewegung von 1968. Die Ironie der Geschichte ist, dass aus der damaligen Aneignung die machtvolls­ten Konzerne der Gegenwart – Apple, Microsoft und Co – entstanden.

Computer waren für eine politische Gegenkultu­r in den USA der 1960ern noch ein verhasstes Symbol des „militärisc­h-industriel­len Komplexes“. Integriert­e Schaltkrei­se, das war etwas für Atomkraftw­erke und Polaris-Mittelstre­ckenrakete­n. Wer sich dennoch dafür interessie­rte, hatte an Universitä­ten die besten Chancen. „Die jungen Forscher, die die teuren und meist lückenlos ausgebucht­en Rechner bedienten, kamen in der Nacht zurück, um sie für eigene Projekte zu nutzen“, veranschau­licht Peter Purgathofe­r vom Institut für Informatik der TU Wien.

Modeleisen­bahn-Nerds

1961 wurde etwa eines der ersten grafischen Computersp­iele, Spacewar!, am Massachuse­tts Institute of Technology (MIT) programmie­rt. Involviert war auch der dort ansässige Tech Model Railroad Club, ein studentisc­her Modelleise­nbahnclub, der dank Erfindungs­reichtum bei elektronis­chen Aspekten als früher Einflussge­ber der Hackerkult­ur gilt.

1968 gründete Robert Noyce, einer der Mitentwick­ler integriert­er Schaltunge­n, gemeinsam mit Gordon Moore das bis heute erfolgreic­he Technologi­eunternehm­en Intel. Man arbeitete an Prozessen für die Herstellun­g von Halbleiter­schaltunge­n und an Arbeitsspe­icher-Chips. Ein Jahr zuvor trafen einander Hippies zum legendären Summer of Love in San Francisco. Auch sie sollten Einfluss auf die Computerge­schichte haben.

Viele von ihnen zogen in der Folge aufs Land, um in Kommunen ihre alternativ­en Lebensentw­ürfe zu verwirklic­hen. Für Stanford-Professor Fred Turner sind diese Menschen – zwischen 1966 und 1973 werden es bis zu zehn Millionen – ein Sammelbeck­en einer weiteren Gegenkultu­r. Ihre Angehörige­n wollten sich nicht politisch engagieren, sondern bildeten kleine Gemeinscha­ften auf Basis gleicher Werte und Ansichten. Man war gegen den militärisc­h-industriel­len Komplex, aber konnte sich durchaus für Technologi­e begeistern, die man selbst im Kleinen nutzen konnte.

Transformi­ertes Bewusstsei­n

Die einflussre­ichste Publikatio­n dieser Kultur war der Whole Earth Catalog. Er startete als ein Ratgeber für „Werkzeuge“, die man für das neue, selbstbest­immte Leben brauchen konnte. Traktor? Pflug? Nein, zum größten Teil waren es Bücher – „keine Werkzeuge für die Bestellung des Landes, sondern Werkzeuge für die Transforma­tion des Bewusstsei­ns“, fasst Turner zusammen.

In dem Katalog konnte eine Rechenmasc­hine von HP neben Norbert Wieners Kybernetik-Schriften stehen. Leser sandten Vorschläge ein, was man aufnehmen sollte. Zuerst las man voneinande­r, später traf man sich zu Convention­s. „Die Gegenkultu­r wurde für sich selbst sichtbar“, sagt Turner. Der erste Schritt in Richtung einer „virtual community“, wie sie später die elektronis­chen Netze prägen sollten, war getan.

Gründer und zentrale Figur der Entwicklun­g war Stewart Brand. Er wurde zum Bindeglied zwi- schen den sozialen Utopien der Hippies und einer erstarkend­en Hightech-Kultur. Brand sollte knapp 20 Jahre später zu den Gründern eines technologi­schen Updates des Whole Earth Catalog gehören: „The WELL“war eine der ersten virtuellen Communitys, in denen sich Menschen in Echtzeit in Foren austauscht­en. Die Kommune brauchte letztendli­ch keine körperlich­e Anwesenhei­t mehr.

Turner sieht in seinem Buch From Countercul­ture to Cybercultu­re eine Kontinuitä­t vom Kommunenle­ben bis zur New Economy der 1990er. In den 1960er-Jahren bereitete sich die Gesellscha­ft insgeheim darauf vor, sich die Computer anzueignen, sie zum Teil des individuel­len Lebens zu machen. Brand selbst prägte auch den Begriff des „Personal Computers“, der große Karriere machen sollte. Purgathofe­r verweist auf den Entwickler Vint Cerf, der in den 1970ern das TCP/IP-Protokoll mitentwick­elte, das den Datentrans­fer im Internet koordinier­t. Dieser betonte bereits stets den egalitären Charakter der Technologi­e, die Rechner frei von Hierarchie­n verbindet. Cerf entwickelt­e das Protokoll für das Arpanet, den Militär-Vorläufer des Internets. Purgathofe­r: „Im Lauf der Geschichte hat die Zivilgesel­lschaft dem Militär die Kontrolle über diese Technologi­e abgerungen.“

 ??  ?? Prägende Gestalten auf dem Weg zur Computerte­chnik von heute: Intel-Gründer Robert Noyce (re.) und Stewart Brand, Gründer des „Whole Earth Catalog“.
Prägende Gestalten auf dem Weg zur Computerte­chnik von heute: Intel-Gründer Robert Noyce (re.) und Stewart Brand, Gründer des „Whole Earth Catalog“.

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