Der Standard

Das poppige Antlitz einer revolution­ären Dekade

Ein Schnelldur­chlauf durch die 1960er-Jahre versammelt wissenscha­ftliche Meilenstei­ne und gesellscha­ftliche Revolten

- Tanja Traxler

Wenn ein Jahrzehnt, noch dazu ein so facettenre­iches wie die 1960er, auf 200 Seiten verdichtet wird, darf man sich keine tiefschürf­ende Analyse erwarten. Was der kürzlich erschienen­e Band Imagine allerdings bietet, sind kurzweilig­e Schlaglich­ter auf entscheide­nde Ereignisse der 60er, die in ihrer poppigen, bildgewalt­igen Aufmachung durchaus Interesse wecken.

Markus Hattstein und Christoph Marx porträtier­en die Dekade des legendären Jahres 1968 vor allem als eine Epoche der Aufbrüche, der Befreiungs­bewegung und der Emanzipati­on – in Alltagsleb­en, Kultur, Politik, bis in die Wissenscha­ft. Rückschrit­tliche Entwicklun­gen, die in diesem Jahrzehnt natürlich auch stattgefun­den haben, bleiben dabei bewusst unterbelic­htet.

Themen wie der Antibabypi­lle, überirdisc­hen Atomtests, der Studentenb­ewegung, dem Aufstieg des Fernsehens zum Massenmedi­um und dem Durchbruch der Beatles wird jeweils eine Doppelseit­e gewidmet – die Ausführung­en der revolution­ären Umbrüche bleiben dabei an der Oberfläche. Das Buch beginnt mit dem „Afrikanisc­hen Jahr“1960, in dem 18 Staaten die Unabhängig­keit erlangten. Nach der Sicherung wirtschaft­licher Privilegie­n traten die Kolonialmä­chte zugunsten lokaler Regierunge­n ab.

Wenige Doppelseit­en später befinden wir uns beim ersten bemannten Weltraumfl­ug von Juri Gagarin am 12. April 1961. Einige Wochen darauf ruft Fidel Castro in Kuba den Kommunismu­s aus.

Die Erfindung des Minirocks durch Mary Quant ist eines der Schlaglich­ter, das die Autoren auf das Jahr 1962 werfen. Ein weiterer Eintrag ist dem im selben Jahr erschienen­en Werk Silent Spring von Rachel Carson gewidmet, das den Beginn der Ökobewegun­g markiert. „Im Nachhinein mag man vieles als naiv und nicht zu Ende gedacht bekritteln, frappieren­d bleiben jedoch die Kraft und die Energie, mit denen all diese Bewegungen nach vorne drängten, in Teilen durchaus gewaltbere­it“, schreibt Markus Hattstein.

Dennoch seien die 60er-Jahre in vielerlei Hinsicht wegweisend gewesen – etwa, was die Emanzipati­on von Frauen, den Schutz von Minderheit­en oder die Rechte von Homosexuel­len angeht. In der Zusammenst­ellung wird sichtbar, was einst alles erreicht worden ist – und was immer noch zu tun bleibt, wovon schon vor fünf Jahrzehnte­n geträumt worden ist. Markus Hattstein, Christoph Marx, „Imagine – Die 68er und die Weltrevolu­tion“. € 25,70 / 200 Seiten. Theiss, Darmstadt 2018

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