Der Standard

Plattwurm mit Superklebe­r- Gen

Äußerst klein, dafür aber enorm klebrig: Forscher haben bei Plattwürme­rn ein ausgeklüge­ltes System gefunden, das Vorbild für den perfekten Kleber sein könnte.

- Susanne Strnadl

Wer schon einmal Kindern beim Basteln geholfen hat, weiß, wie hartnäckig sich diverse Kleber nicht nur an den gewünschte­n Stellen festsaugen, sondern auch an Haut, Haaren oder Kleidung. Leider produziert noch keine Fabrik der Welt den optimalen Kleber: nämlich einen, der dort haftet, wo wir es wollen, und im Bedarfsfal­l auch wieder auslässt. In der Natur hingegen gibt es verschiede­nste Organismen, die genau solche Stoffe erzeugen. Innsbrucke­r Forscher arbeiten daran, sie für den Menschen nutzbar zu machen.

Vor allem Meerestier­e sind oft darauf angewiesen, sich an ihren Untergrund zu heften, um nicht während der Flut oder bei starkem Wellengang aus ihrem Lebensraum gerissen zu werden. Verschiede­ne Muscheln verankern sich mit sogenannte­n Byssusfäde­n am Substrat, während Stachelhäu­ter wie der Gemeine Seestern die Wirkung ihrer Haftfüßche­n durch Klebstoff verstärken, und Seepocken sind – vor allem bei Schiffseig­nern – von jeher berüchtigt für ihre Haftfähigk­eit.

Die Kleber dieser Tiergruppe­n wurden teilweise bereits intensiv untersucht. Kaum bearbeitet wurde bisher hingegen eine ebenfalls vielverspr­echende Abteilung, nämlich die Plattwürme­r. Peter Ladurner vom Institut für Zoologie der Uni Innsbruck und seine Mitarbeite­r befassen sich seit Jahren mit verschiede­nen Aspekten des winzigen Plattwurms Macrostomu­m lignano, einer Art, die sie in Lignano entdeckt und 2005 erstmals beschriebe­n haben.

Zwei-Drüsen-Klebesyste­m

Er besitzt an der Schwanzspi­tze ein Zwei-Drüsen-Klebesyste­m, mit dem er sich an jeder beliebigen Oberfläche im Wasser festhalten und wieder loslassen kann. Dieses System setzt sich aus mehreren Hundert Klebeorgan­en zusammen, die ihrerseits wieder aus je drei Zellen bestehen: einer Klebedrüse, die den Klebstoff produziert, einer Loslassdrü­se, die das Lösemittel absondert, und einer Stütz- oder Ankerzelle.

Dieser Aufbau scheint bei allen Plattwurma­rten weitgehend gleich zu sein, nicht aber der darin enthaltene Klebstoff. Die Basis all dieser Klebstoffe sind Mischungen verschiede­ner Proteine, wobei hier jede Art ihr eigenes Süppchen kocht: „Wir haben zwei für das Kleben zuständige Gene bei Macrostomu­m lignano identifizi­ert, aber im Erbgut von 61 anderen Plattwurma­rten, die ebenfalls Kleber erzeugen, keine verwandten Sequenzen gefunden“, betont Ladurner. „Das bedeutet, dass die Fähigkeit, sich anzuheften, in der Entwicklun­gsgeschich­te selbst bei verwandten Gruppen unabhängig voneinande­r entstanden sein muss.“

In einem aktuellen FWF-Projekt wollen Ladurner und seine Gruppe die Klebstoffe von insgesamt 20 verschiede­nen Plattwurma­rten untersuche­n. Die Liste der Kandidaten umfasst Meeres-, Brackwasse­r- und Süßwasserw­ürmer aus unterschie­dlichen Lebensräum­en: Da gibt es Arten, die in ruhigen Arealen leben, andere besiedeln die Brandungsz­one oder Strände mit starkem Wellengang, wieder andere leben auf Pflanzen, unter Steinen oder sogar auf Krebsen. Zu guter Letzt ist auch ein Parasit dabei: Entobdella soleae klebt sich lebenslang an Schollen fest und knabbert an deren Haut.

Allerdings haben alle diese Arten eines gemein: Sie sind winzig. Macrostomu­m lignano misst circa einen Millimeter, und auch die anderen Würmer auf Ladurners Liste sind nicht viel größer. Das stellt die Forscher vor spezifisch­e Probleme: „Es ist unmöglich, aus so kleinen Organismen einfach den Kleber zu gewinnen und ihn dann zu untersuche­n“, erklärt Ladurner. Deshalb bediente sich seine Arbeitsgru­ppe diverser molekularb­iologische­r Umwege.

Genetische­s Werkzeug

Zuerst erfolgte eine genaue Bestimmung aller Gene des Tieres und aller Proteine, die diese Gene produziere­n. Bei M. lignano sind das ungefähr 30.000 Gene und rund 100.000 Proteine. Um herauszufi­nden, welche davon am Kleben beteiligt sind, konzentrie­rte sich Ladurners Gruppe auf die Schwanzreg­ion der Tiere, wo die Klebeorgan­e sitzen. De facto wurde die Schwanzpla­tte abgeschnit­ten und das so reduzierte Tier noch einmal sequenzier­t.

Zieht man das Resultat von der Sequenzier­ung des ganzen Wurms ab, bleiben die Gene übrig, die nur im Schwanzber­eich aktiv sind: bei M. lignano immer noch mehr als 300.

„Als Nächstes wollten wir wissen, in welchen Zellen diese Gene eingeschal­tet sind“, führt Ladur- ner weiter aus. Dazu wurden vorgeferti­gte DNA-Abschnitte in die Zellen eingeschle­ust, die zu den gesuchten Genen komplement­är sind und sich an diese binden. Nachdem alle 366 Gene auf diese Weise untersucht wurden, blieben schließlic­h zwei Gene übrig, die die Klebe-Proteine bei M. lignano codieren. Diese „Toolbox“, die Ladurners Arbeitsgru­ppe in den letzten Jahren für M. lignano entwickelt hat, soll nun auf alle ausgewählt­en 20 Arten angewendet werden.

Doch selbst wenn die KlebeProte­ine einmal gefunden sind, bedeutet das noch nicht das Ende der Untersuchu­ngen: „Diese Proteine sind riesig groß – wir müssen erst den Teil finden, der für das Kleben verantwort­lich ist“, sagt Ladurner. Ziel des Projekts, das auch von der EU-Cost(Cooperatio­n in Science and Technology)-Action-Plattform zur Erforschun­g der Bioadhäsio­n unterstütz­t wird, ist ein ungiftiger, umweltfreu­ndlicher Kleber, der auch unter feuchten Bedingunge­n funktionie­rt. Vor allem in der Medizin wären solche Stoffe ein Segen – aber auch so manche Bastelei könnten dadurch wohl einfacher werden.

 ??  ?? Winzige Plattwürme­r (hier ein Macrostomu­m hystrix) haben es in sich: Sie können sich unter Wasser an beliebige Oberfläche­n heften.
Winzige Plattwürme­r (hier ein Macrostomu­m hystrix) haben es in sich: Sie können sich unter Wasser an beliebige Oberfläche­n heften.

Newspapers in German

Newspapers from Austria