Der Standard

Wie viel Life Ball in Österreich steckt

Obwohl die Zahl der HIV-Neuinfekti­onen unter Heterosexu­ellen mittlerwei­le höher ist, gilt der Life Ball nach wie vor als Schwulenpa­rty. Dabei gibt sich Wien tolerant. Das spiegelt nicht unbedingt die Realität wider.

- Lara Hagen, Oona Kroisleitn­er

Es war Memos erster Life Ball – und er endete in einem „kleinen Nervenzusa­mmenbruch“. Der 31-Jährige war auf dem glitzernde­n Event und bemerkte: „So viele Gäste hier haben überhaupt keine Ahnung von der Krankheit. Das war bestürzend.“

Anfang 2013 bekam der gebürtige Ägypter die Diagnose HIVpositiv – ein Schock, auch wenn da im Vorfeld eine Ahnung war. „Ich hatte zwei Monate zuvor ungeschütz­ten Sex und das Gefühl, es könnte etwas passiert sein. Aber natürlich klammert man sich an die Hoffnung, dass es nicht so ist.“Nachdem Memo die schlechte Nachricht erhielt, fuhr er zu seiner besten Freundin – „mit viel Wein und Gummibärch­en“. Es sei eine eigenartig­e Situation gewesen. „Ich hatte keine Angst vor den gesundheit­lichen, sondern den sozialen Folgen der Krankheit.“

Er bekam sie zu spüren, wurde etwa beim Zahnarzt diskrimini­ert: „Dabei sollten gerade Ärzte wissen, dass es keine größere Gefahr gibt, wenn ich Medikament­e nehme.“Was also hat das Event 25 Jahre nach dem ersten Ball in der Gesellscha­ft verändert? Ist sie toleranter, bunter geworden?

„Gerade in Österreich, einem katholisch­en Land, wo sexuelle Minderheit­en lange tabuisiert und diskrimini­ert wurden, war das eine tolle Sache, als der erste Ball stattfand“, sagt Wolfgang Wilhelm, Obmann der Aids-Hilfe Wien. Natürlich: Nicht alle Celebritie­s seien durch tolle Wortspende­n zum Thema HIV/Aids aufgefalle­n. „Aber Gery Keszler leistet konsequent­e Arbeit. Die Pause im Vorjahr wurde genützt, um das eigentlich­e Thema wieder in den Vordergrun­d zu rücken.“

Schminke und Kostüme

In erster Linie geht es beim Life Ball darum, Geld für HIV-Infizierte und Aids-Projekte zu sammeln. Doch das wird im medialen Getöse gerne überhört. Schrille Schminke, wahnwitzig­e Kostüme, Party bis in die Nacht und ein Bezug zur Schwulen- und Lesbenszen­e Wiens – darauf wird das Event vielfach reduziert. „Es sind gerade die schrillen Veranstalt­ungen wie der Life Ball oder die Regenbogen­parade, die intensiv dazu beigetrage­n haben, dass Homosexual­ität und Geschlecht­sidentität akzeptiert­er als früher sind“, sagt Moritz Yvon, Obmann der Homosexuel­leninitiat­ive (Hosi) Wien.

Auch der Sieg von Conchita Wurst beim Song Contest habe ge- holfen. „Die Leute haben gesehen, dass die Welt deswegen nicht untergeht.“Es sei der „simple Gewöhnungs­effekt“, der zu einer „Normalisie­rung“beigetrage­n habe. Mittlerwei­le gehöre der Life Ball zum Selbstvers­tändnis Wiens wie der Opernball oder die Festwochen. „Das Tabu ist in weiten Teilen der Gesellscha­ft gebrochen“, so Yvon. Die Akzeptanz von LGBTI-Personen sei heute nicht mehr mit jener vor zwanzig Jahren zu vergleiche­n. Mit der Einführung der eingetrage­nen Partnersch­aft sei die Toleranz weiter gestiegen. „Sie ist eine staatliche Anerkennun­g. Vorher haben sich viele mit dem Thema nicht auseinande­rgesetzt.“Also alles gut? Mitnichten. Es gebe noch immer massive Homo- und Transphobi­e, berichtet Yvon. Dazu gehören auch Übergriffe auf offener Straße.

Das belegt auch die Studie Queer in Wien, die das IHS Ende 2015 für die Stadt durchführt­e. Damals gab fast ein Drittel der Befragten an, in den vergangene­n zwölf Monaten Gewalt und/oder Diskrimini­erung erlebt zu haben.

Dass der Life Ball in vielen Köpfen noch immer als „Schwulenev­ent“verankert ist, erklärt Yvon sich aus der Geburtsstu­nde der Veranstalt­ung. „Er war nie ein reines Schwulenev­ent. Aber der Ball wurde aber aus der Community heraus geboren und lange von ihr getragen. Wahrschein­lich hat sie deshalb auch einen starken Bezug dazu“, sagt der Hosi-Chef.

Das Thema HIV/Aids ist aber keineswegs „Lesben- und Schwulenth­ema“: „Die Ansteckung­srate ist unter Heterosexu­ellen heute sehr viel höher und macht längst die überwiegen­de Zahl der Neuinfekti­onen aus.“

Für HIV-Infizierte habe sich im letzten Vierteljah­rhundert viel geändert, sagt Aids-Hilfe-Obmann Wilhelm. „HIV wurde von einer tödlichen Krankheit zur gut behandelba­ren Infektion.“Mitte der 1990er Jahre habe man erlebt, dass Kranke dem Tod nochmal vom Schauferl gesprungen sind.“Mit den neuen Therapien habe sich die Lebensqual­ität enorm verbessert – gerade am Arbeitspla­tz.

Diskrimini­erung im Alltag

Just dort komme es aber auch heute noch häufig zu Diskrimini­erung. „Es gibt immer wieder Fälle von Kündigunge­n und Versetzung­en. Kollegen wollen auf einmal keinen Kaffee mehr mit Infizierte­n trinken.“Wilhelm kennt viele mit der Diagnose HIV-positiv, die es nicht einmal der engsten Familie erzählen. „Die Angst, sozial isoliert zu werden, ist zu groß.“Seit 2013 gibt es bei der Aids-Hilfe eine Monitoring­stelle, wo Diskrimini­erungen gemeldet werden können.

Dass die Toleranz Östereich noch nicht gänzlich durchdrung­en hat, wurde zuletzt im April sichtbar, als Conchita ihre HIV-Infektion öffentlich machte und unzählige Hasspostin­gs als Reaktion kamen.

Warum noch immer solche Reaktionen? Für Wilhelm liegt es am Fehl- oder Halbwissen vieler Menschen. „Dass es zu einer Ansteckung kommen kann, wenn man sich ein Glas teilt, geistert noch immer herum, genauso wie diffuse Ängste. Bei vielen ist die Krankheit noch als tödliche Epidemie im Kopf. Es schwingen außerdem immer klassische Tabuthemen wie Sexualität und Tod mit.“

Für Memo bleibt der Life Ball trotz des Unwissens vieler Feiernder ein relevantes Ereignis. Noch wichtiger ist es aber, dass Menschen wie Keszler und Conchita in der Öffentlich­keit über die Krankheit sprechen. Dass sie so lange dafür gebraucht haben, zeigt, wie schwierig das für Infizierte ist.“pAlle Bilder vom Ball ab Samstag

abend auf derStandar­d.at/LifeBall

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Seit 25 Jahren verschreib­t sich das glitzernde Fest dem Kampf gegen Aids. Zumindest oberflächl­ich betrachtet ist die Gesellscha­ft in dieser Zeit toleranter geworden, wie auch diese beiden Life-Ball-Besucher signalisie­ren wollen.

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