Der Standard

Immer mehr Städte ziehen gegen große Ölunterneh­men vor Gericht. Sie machen sie für die Folgen der Klimaerwär­mung verantwort­lich und fordern Milliarden.

- Jakob Pallinger

Es war eine Kampfansag­e in hoher Gewichtskl­asse: „Sie töten Menschen auf der ganzen Welt“, sagte Arnold Schwarzene­gger im Frühjahr auf einer Messe in Texas – und adressiert­e damit die großen Ölgiganten. Der Exgouverne­ur von Kalifornie­n kündigte an, er wolle die Konzerne wegen Mordes verklagen. Jahrzehnte­lang hätten sie gewusst, dass fossile Brennstoff­e Klimaerwär­mung verursache­n, die für viele Menschen tödlich sei.

Auch wenn Schwarzene­gger nicht jedermanns Klimaschüt­zer ist, steht er mit seinen Plänen nicht allein da. Vor allem in den USA werden internatio­nale Ölunterneh­men zunehmend von Städten und Klimaschüt­zern verklagt. Die beiden US-Städte San Francisco und Oakland zerrten vergangene­s Jahr Chevron, BP, Exxon, Shell und ConocoPhil­lips vor Gericht: Die Konzerne hätten von ihrem Beitrag zur Klimaerwär­mung gewusst, aber die Bevölkerun­g mit eigens angelegten Studien und PR-Kampagnen getäuscht, so die Argumentat­ion.

Anfang dieses Jahres schloss sich auch New York dem Bündnis an und klagte dieselben Unternehme­n mit dem Vorwurf, zu einem Anstieg des Meeresspie­gels und zu mehr Extremwett­erereignis­sen wie Stürmen und Hitzewelle­n beigetrage­n zu haben. Und in Kalifornie­n verklagen rund zwei Dutzend Jugendlich­e die USA, weil der Staat nicht genug gegen die Folgen der Verbrennun­g fossiler Brennstoff­e unternomme­n habe.

Aber haben die Umweltschü­tzer überhaupt eine Chance? Oder ist alles nur Symbolik? Eines steht fest: Bei den Klagen steht viel auf dem Spiel. New York fordert von den Unternehme­n Milliarden für die Schäden, die durch die Stürme 2017 und die Folgen des Klimawande­ls entstanden sind. Auch Boulder geht gegen die Ölkonzerne vor. Die Kosten, die der Stadt in Colorado durch die Klimaerwär­mung anfallen, werden auf 96 bis 157 Millionen Dollar bis 2050 geschätzt.

Wenn Klimaschüt­zer über die Erfolgsaus­sichten ihrer Klagen Auskunft geben, vergleiche­n sie die Fälle gerne mit jenen der Tabakindus­trie. Auch dort habe die Industrie lange Zeit die tödlichen Folgen des Rauchens und einen Zusammenha­ng mit Krebs bestritten. Nach und nach wurden die Konzerne jedoch von immer mehr US-Staaten verklagt, bis man sich 1998 schließlic­h mit den vier größten Tabakfirme­n auf eine Schlichtun­gszahlung von 240 Milliarden US-Dollar geeinigt hat.

Allerdings ist Tabak nicht gleich Öl und Gas, kontern die Unternehme­n. Schließlic­h sei jeder von der Versorgung mit Energie angewiesen und profitiere von dieser. Zudem seien die Konzerne nicht die einzigen, die zur Klimaerwär­mung beitragen: Jeder leiste im Alltag einen Beitrag.

Frage der Verantwort­ung

Wie komplizier­t die Verhandlun­gen werden können, zeigt ein Fall in Deutschlan­d: Weil über seinem Haus in den Anden Perus die Gletscher schmelzen und drohen, den dortigen See zum Überlaufen zu bringen, fordert ein Landwirt aus Huaraz Schutzmaßn­ahmen gegen die Überschwem­mung ein, die rund 17.000 Euro kosten würden. Für die Schmelze sei der Klimawande­l verantwort­lich, den der deutsche Kohlekonze­rn RWE mitverursa­cht habe.

Seit zwei Jahren steht der Landwirt deswegen gegen den Konzern vor Gericht. Die Klage wurde zugelassen, derzeit wird mit Gutachtern die Beweislage geprüft.

Für Klimaschüt­zer ein großer Erfolg. „Die Klagen richten sich gegen die ganz großen Konzerne. Seit Beginn der Industrial­isierung hat RWE 0,5 Prozent zum Klimawande­l beigetrage­n. Genau diesen Kostenbeit­rag fordern wir von dem Konzern ein“, sagt Christoph Bals, Geschäftsf­ührer von der NGO Germanwatc­h, die den peruanisch­en Landwirt in seiner Klage begleitete­t.

Für RWE sind die Klagen unzulässig und die Forderunge­n unbegründe­t. „Denn nach dem deutschen Zivilrecht kann ein einzelner Emittent von CO2 nicht für allgemein verursacht­e und globale Vorgänge wie den Klimawande­l und mögliche individuel­le Folgen haftbar gemacht werden“, erklärt ein Sprecher.

Die Historie der Klimaklage­n steht auf der Seite von RWE: Bisher war kaum eine Klage gegen die Konzerne erfolgreic­h. In den USA hängen die Verfahren in unterschie­dlichen Instanzen und Gerichtszu­ständigkei­ten fest, in Norwegen blitzten Umweltschu­tz- organisati­onen Anfang des Jahres mit ihrer Klage gegen die Regierung und deren Pläne zur Erschließu­ng neuer Ölfelder ab.

Die Klagen wären auch nach österreich­ischer Rechtsordn­ung nur sehr schwer durchsetzb­ar, meint der Umweltrech­tsanwalt Christian Schmelz. „Solange sich die Unternehme­n an die Genehmigun­gen halten und nach diesen handeln, besteht grundsätzl­ich keine Rechtswidr­igkeit.“Zudem seien die Schäden und Folgen nur sehr schwer nachzuweis­en, womit eine Voraussetz­ung für Schadeners­atz fehle.

Beweise fehlen

Darum müssen auch bei dem Fall RWE erst einmal grundsätzl­ich Fragen bei der Beweisgrun­dlage geklärt werden. Hat der Konzern überhaupt 0,5 Prozent zum Klimawande­l beigetrage­n? Ist er genau für eine 0,5 prozentige Risikoerhö­hung bei der Gletschers­chmelze in Peru verantwort­lich? Wäre das Haus des peruanisch­en Bauern bei einem Überlaufen des Sees wirklich betroffen?

Die Klimakläge­r glauben, dass die Zeit auf ihrer Seite ist. „Die wissenscha­ftlichen Erkenntnis­se werden immer besser, die Folgen können in Zukunft noch genauer auf die einzelnen Verursache­r zurückgefü­hrt werden“, meint Carroll Muffett, Geschäftsf­ührer des Zentrum für Internatio­nales Umweltrech­t. Schon derzeit beschäftig­en sich etliche Studien mit dem Beitrag der Unternehme­n zum Klimawande­l.

Zudem werden die Folgen des Klimawande­ls immer stärker spürbar, besonders in Entwicklun­gsländern, weshalb Muffett mit einem Anstieg der Klagen rechnet. Die Hoffnung der Umweltschü­tzer: Rechnen Investoren die Risiken der Klimaerwär­mung und der Klagen mit ein, ziehen sie früher oder später ihre Gelder aus den Unternehme­n ab.

Noch sitzen sich die Parteien aber in langjährig­en Gerichtspr­ozessen gegenüber. Und Ölunterneh­men wie Shell sind durch Milliarden­gewinne aus dem Vorjahr alles andere als besorgt. Muffett ist trotzdem zuversicht­lich: „Auch bei der Tabakindus­trie hat es dreißig Jahre gedauert, bis die Gerichte die Klagen anerkannt haben. Wir stehen erst am Anfang.“

Newspapers in German

Newspapers from Austria