Die Fischer sind zur Vernunft gekommen
Wenn im Frühjahr die Sardellen kommen, herrscht bei den Fischern und Konservenfabrikanten in Nordspanien Hochsaison. Vor acht Jahren war der Golf von Biskaya allerdings bereits leergefischt.
Es ist neun Uhr morgens. Im Hafen von Laredo herrscht Aufregung. Gabelstapler manövrieren, Kräne surren, Möwen kreischen, Männer rufen sich etwas zu. Sie laden aufeinandergestapelte Kisten von ihren Kuttern, randvoll gefüllt mit kleinen, silbrigen Sardellen. Ihre festen Leiber glitzern in der Frühlingssonne. Den Fischern sieht man die Zufriedenheit an. Sie haben die ganze Nacht gearbeitet und sind vollbeladen zurückgekehrt.
Das war nicht immer so. Zwischen 2006 und 2010 war es im Hafen der nordspanischen Stadt still. Fünf Jahre Fangverbot. Der Golf von Biskaya war leergefischt. „Jahrelang hatte Madrid die Empfehlungen der Europäischen Kommission ignoriert“, sagt Javier López von der Meeresschutzorganisation Oceana. „Und die Fischer mussten am eigenen Leib erfahren, was Überfischung bedeutet.“Anstatt der von der spanischen Zentralregierung erlaubten 33.000 Tonnen gingen ihnen 2005 nur noch 7000 Tonnen pro Saison ins Netz. Die Fangquote wurde jahrzehntelang beibehalten, ohne den Bestand zu erfassen.“
Schonzeit zeigt Wirkung
Der Schreck scheint den Fischern noch in den Knochen zu stecken, denn anstatt der erlaubten 40.000 Tonnen fangen die 160 Kutter heute vor der nordspanischen Küste etwa 25.000 Tonnen, und das vor allem im April und Mai. Und sie überschreiten die von Europa zugelassene Mindestgröße um ein, zwei Zentimeter. „Das Meer ist wieder voller Sardellen“, sagt Antonio San Martín, einer der erfahrensten Kapitäne im Hafen, „das funktioniert jetzt.“Er hat in dieser Nacht 8000 Kilo Sardellen gefangen und wird wohl tausende Euro verdienen, denn während seine Leute abladen, läuft in der Betonhalle direkt am Kai schon die Versteigerung des Fangs. Vor der Schonzeit fischten San Martín und die anderen das ganze Jahr lang Sardellen, fuhren weit hinaus in den Atlantik und fingen mit ihren RingwadenNetzen „Unmengen an Fisch“, wie sich der 54-Jährige erinnert. Das Fangverbot sei dann wirtschaftlich und psychologisch hart gewesen, erzählt San Martín, „viele haben aufgegeben“.
Während die Fischer Kisten abladen, sitzt Fidel Ortiz in der Halle und steigert mit. Mit jedem Zuschlag gibt der Konservenfabrikant zigtausende Euro aus. Denn wenn er zuschlägt, dann richtig. Er leitet mit seinem Vater eine der 60 Fabriken für Pökelsardellen, auch Anchovis genannt, die es in der Gegend gibt. Ortiz hat 80 Angestellte, 40 davon Frauen, die am Fließband sitzen und Sardellen verarbeiten, die zuvor monatelang in Salzfässern gelagert werden – 300.000 Kilo pro Jahr. Bis die zarten, rötlichbraunen Filets ordentlich geschichtet in Olivenöl in der Dose liegen, sind sie durch fünf Paar Hände gegangen.
Seit 2015 sind alle Dosen aus der Region mit dem blauen MSCLabel für nachhaltige Fischerei zertifiziert. „Das Label ist hier vertrauenswürdig“, sagt Javier López von Oceana, „die Fischer sind vernünftig geworden und Madrid respektiert die Ratschläge der Wissenschafter.“Andrés Uriarte ist einer dieser Experten. Während der fünfjährigen Schonzeit hat der Biologe am baskischen Fischereiinstitut Azti gemeinsam mit französischen Kollegen und Mitgliedern des Internationalen Rats für Meeresforschung (ICES) Befischungsregeln aufgestellt, die für vier Jahre gelten und jährlich überprüft werden. Es dürfen nicht mehr als 30 Prozent des Bestandes entnommen werden. Diese sogenannten Harvest Control Rules basieren auf Messungen der Sardellenbiomasse, die im Golf von Biskaya vorhanden ist. Zweimal im Jahr fahren Uriarte und seine Kollegen aufs Meer hinaus und erfassen die Fischmenge. Sie tun das mit akustischen Methoden – ausgesandte Signale werden von Fischschwärmen als Echo zurückgeworfen – und anhand der im Wasser gefundenen Eier.
Auch bei anderen Fischarten wie Thunfisch oder Sardinen greifen an der Biskaya mittlerweile Befischungsregeln, die sich am Bestand der befischten Art orientieren und nicht an der Größe der Flotte, wie vor der Schonzeit.
Für europäische Liebhaber von Fischkonserven ist das beruhigend, denn Spanien ist Europas größter und weltweit der zweitgrößte Produzent von Thunfisch, Miesmuscheln, Sardellenfilets und Sardinen in der Dose. Die Hälfte der Produktion wird exportiert. Mehr als 500 Unternehmen verarbeiten in Spanien Fisch und Meeresfrüchte zu Dosen, 120 von ihnen mit dem MSC-Nachhaltigkeitslabel, 30 Prozent mehr als 2015. Die spanische Fischdosenindustrie beschäftigt rund 29.000 Arbeiter, mit sinkender Tendenz: Immer mehr Hersteller lassen in Billiglohnländern wie Albanien oder Marokko die Ware eindosen.