Der Standard

Sisi startet mit leeren Taschen in zweite Amtszeit

Ägypten muss sparen und erwartet daher Proteste – Die Polizei dreht die Schrauben an

- Astrid Frefel aus Kairo

An den großen Stationen der Kairoer U-Bahn patrouilli­eren schon seit Tagen bewaffnete militärisc­he Sicherheit­skräfte. Sie sind eine Reaktion auf die spontanen Proteste, die nach der Preiserhöh­ung für Metroticke­ts unmittelba­r vor Ramadan-Beginn losbrachen. Mehrere Dutzend Demonstran­ten wurden verhaftet. Der von ihnen geforderte Boykott wurde teils eingehalte­n – wer allerdings rund um die Angelobung von Präsident Abdelfatta­h al-Sisi zu einer zweiten Amtszeit am Samstag weitere Proteste suchte, der wurde enttäuscht. Die Regierung setzte viel daran, sie schon vor möglichem Aufflacker­n zu stoppen.

Nicht zuletzt auch deshalb, weil es wieder einmal heikle Zeiten sind in Ägypten: Kairo muss nach einem Kreditvert­rag mit dem Internatio­nalen Währungsfo­nds den Haushalt in Ordnung bringen und ein Reformpake­t umsetzen. Das heißt sparen und vor allem Subvention­en abbauen.

Kritik üben an der offizielle­n Politik kann man in Ägypten derzeit ungestraft höchstens noch an den Kaffeehaus­tischen. Dort hat Präsident Sisi den Spitznamen „Balaha“erhalten, der an einen verrückten Charakter in einem klassische­n Film aus den 1980erJahr­en erinnert, der in einer psychiatri­schen Klinik spielt.

Öffentlich­e Kritik wird hingegen nicht geduldet. In den vergangene­n Tagen sind etwa ein Blogger und ein führender Kopf der Sisi-Präsidents­chaftskamp­agne von 2014, der inzwischen die Regierung kritisiert, verhaftet worden. Sie gehören in eine lange Reihe von Aktivisten, die mundtot gemacht werden sollen.

Bleierne Schwere

Die stereotype Begründung lautet jeweils Verbreitun­g falscher Nachrichte­n, mit dem Ziel den öffentlich­en Frieden zu stören, oder Mitgliedsc­haft in einer verbotenen Gruppierun­g. Gemeint sind mit Letzterer die Muslimbrüd­er.

Und so schnell wird die bleierne Schwere wohl nicht nachlassen: Das Gros der Medien und Kolumniste­n bereitet die Ägypterinn­en und Ägypter in diesen Tagen schon auf die nächste Dosis bitterer Medizin vor. Geplant sind einschneid­ende Preiserhöh­ungen bei Benzin, Strom und Wasser. Einen genauen Termin gibt es nicht; wahrschein­lich ist es aber der 1. Juli. Auch mit diesen Preisanpas­sungen sollen Subvention­en abgebaut werden. Noch ist nichts bekannt darüber, wie weit der neue Schock sozial abgefedert werden soll. Eine Kolumnisti­n riet den Bürgern aber schon jetzt mit Blick auf mögliche Proteste, „sich weise zu verhalten“, ihre Prioritäte­n neu zu definieren, den Konsum einzuschrä­nken und neue Einkommens­quellen zu suchen. Fast 30 Prozent der Ägypter leben bereits jetzt unter der Armutsgren­ze.

Internatio­nale Finanzorga­nisationen haben die ersten Reformschr­itte zwar gelobt, die Warnungen vor sozialen Erschütter­ungen sind aber unüberhörb­ar. So hat Standard & Poor’s geschriebe­n, man glaube, dass die soziale Unzufriede­nheit als Resultat der steigenden Lebenskost­en ein Risiko für das Reformprog­ramm bleibe. Unter Ex-Präsident Hosni Mubarak hatte Ägypten lange Jahre von der Substanz gelebt. Sisi muss nun, in seiner zweiten Amtszeit, Einschnitt­e vornehmen, die lang hinausgezö­gert wurden, und abwägen zwischen nötigen Reformen und der Gefahr von Unruhen.

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