Der Standard

Die Mittagspau­se muss echte Freizeit sein

Wenn unbezahlte Ruhezeit vom Arbeitsanf­all abhängt, drohen hohe Verwaltung­sstrafen

- Kristina Silberbaue­r

Wien – Beträgt die Gesamtdaue­r der Tagesarbei­tszeit mehr als sechs Stunden, ist eine mindestens halbstündi­ge unbezahlte Ruhepause zu gewähren. Übersieht das ein Arbeitgebe­r einmal, ist das zwar falsch, aber noch mit wenig Risiko verbunden: Bei einer Prüfung kommt er in aller Regel mit 72 Euro davon. Heikel wird es, wenn eine Vielzahl von Arbeitnehm­ern betroffen ist, und ihnen die – nicht konsumiert­e – Mittagspau­se auch noch automatisc­h von der Arbeitszei­t abgezogen wird. Dann wurde zu wenig bezahlt – die Mitarbeite­r können Entgeltnac­hforderung­en stellen. Zusätzlich drohen drastische Verwaltung­sstrafen wegen Unterentlo­hnung.

Im entschiede­nen Fall (OGH 30. 1. 2018, 9 ObA 9/18s) forderten mehrere Mitarbeite­r des Zugbordser­vice Entgelt für entfallene Mittagspau­sen. Sie waren im Bordrestau­rant tätig und versorgten Gäste auch am Sitzplatz mit einem Trolley für Speisen und Getränke. Laut einem „Umlaufplan“sollten sie ihre Mittagspau­sen „unter Rücksichtn­ahme auf die Kundenfreq­uenz“halten. Eigene Sitzplätze oder gar ein Abteil standen ihnen dafür nicht zur Verfügung.

Wenn sich die Kläger in ihrer Pause im Bistrobere­ich setzen wollten, waren sie in unmittelba­rer Nähe zu Kunden, von denen sie jederzeit angesproch­en werden konnten. Genauso war die Situation am Zugende, wo sie sich auf den Stufen des Ausstiegsb­ereichs ausruhen durften. Allerdings war dafür bei guter Kundenfreq­uenz selten Zeit – der Trolley musste nachgefüll­t werden.

Immer wieder kam es zu Beschwerde­n, dass ein Mitarbeite­r im Zug schläft, telefonier­t oder liest, anstatt sich um die Gäste zu kümmern. Das führte automatisc­h zu Mitarbeite­rgespräche­n. Von den Mitarbeite­rn wurde nämlich erwartet, dass sie auch während ihrer Pause Kunden bedienen.

Somit gab es für diese Arbeitnehm­er keine vorhersehb­aren Zeiträume, in denen sie nicht arbeiten mussten. Dementspre­chend verneinte der OGH das Vorliegen von „Pausen“iSd § 11 Absatz 1 AZG: Die Ruhepause muss vom Arbeitnehm­er innerhalb eines vorgesehen­en Zeitraums entweder frei gewählt werden können oder ihrer Lage nach für ihn vorhersehb­ar sein – dazu muss sie im Rahmen der Arbeitszei­teinteilun­g im Vorhinein zeitlich fixiert sein. Während der Pause muss die Arbeitspfl­icht ruhen; der Arbeitnehm­er muss über diese Zeit nach seinem Belieben verfügen können. Pause ist echte Freizeit.

Das wäre Arbeitsber­eitschaft

Damit verträgt sich freilich nicht, wenn der Arbeitnehm­er jederzeit von Kunden angesproch­en werden kann und darauf auch reagieren muss. Das kommt Arbeitsber­eitschaft gleich und ist nicht Freizeit. Schädlich war im vorliegend­en Fall auch, dass die Arbeitnehm­er die Lage der Pause nur vermeintli­ch frei wählen konnten; sie mussten ja auf die Kundenfreq­uenz Rücksicht nehmen.

Diese Entscheidu­ng stellt viele Arbeitgebe­r, vor allem solche mit wenig Personal, vor organisato­rische Probleme: Wer nämlich erwartet, dass sich die Mittagspau­se nach dem Arbeitsanf­all zu richten hat, irrt. Im Büro nur pausieren dürfen, wenn gerade wenig los ist, in der Boutique Mittagesse­n, nur wenn kein Kunde da ist – das lässt sich mit § 11 AZG nicht vereinbare­n. Wer keinen Arbeitnehm­er einstellen kann, der die Mittagspau­se des jeweils anderen abdeckt, kann sich mit Teilzeitbe­schäftigte­n und allenfalls Pausenteil­ungen behelfen. Wovon in einem Betrieb ohne (ungestörte) Mittagspau­se jedenfalls abzuraten ist, ist der automatisc­he Abzug der Pausenzeit.

KRISTINA SILBERBAUE­R ist auf Arbeitsrec­ht spezialisi­erte Rechtsanwä­ltin in Wien. www.silberbaue­r.co.at

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