Der Standard

Klagenfurt ist das neue Cordoba

Österreich­s Fußballtea­m mausert sich weiter, Weltmeiste­r Deutschlan­d wurde in Klagenfurt mit 2:1 geschlagen. Ob sich Cordoba damit erledigt hat, wird sich weisen. Die Euphorie nimmt zu, die Freude auf Brasilien ist groß.

- Christian Hackl aus Klagenfurt

Franco Foda hat sich kurz vor Mitternach­t ein Glas Rotwein gegönnt. Der 52Jährige hat trotzdem schlecht geschlafen, vielleicht hätte er eine Flasche vernichten sollen, aber dazu hat die Kraft gefehlt. „Der Fußball schreibt verrückte und außergewöh­nliche Geschichte­n.“

Es gehört zur Jobbeschre­ibung eines Teamchefs, nüchtern zu bleiben. Am Sonntagvor­mittag – die österreich­ischen Elitefußba­ller hatten Klagenfurt verlassen, um kurz zu urlauben – ließ er die Geschehnis­se Revue passieren. Die Spieler erhielten alle Freiheiten und keine Hausaufgab­en. Da sie laut Foda „klar im Kopf sind“, sind keine Abgängigke­itsanzeige­n zu befürchten. Sie werden am Mittwoch selbstbewu­sst und motiviert in Bad Tatzmannsd­orf erscheinen, um sich auf die Partie am 10. Juni in Wien gegen Brasilien vorzuberei­ten. Martin Hinteregge­r sagte: „Es kann wieder was sehr Gutes werden. Wir sind dabei, Euphorie zu entfachen.“

Der Samstagabe­nd in Klagenfurt, ein zumindest aus österreich­ischer Sicht historisch­er, euphorisie­render Tag. Ein Sieg gegen Weltmeiste­r Deutschlan­d, im konkreten Fall ein 2:1, ist fast seltener als Schneefall in der Sahara. Es waren die vielen Nebengeräu­sche, die der Veranstalt­ung eine Lautstärke gaben. Aufgrund heftiger Gewitter, Hagel inklusive, stand die Austragung an der Kippe, erst mit knapp zweistündi­ger Verspätung konnte angepfiffe­n werden. Lob gebührt dem Rasen im Wörthersee­stadion, solche Wassermass­en muss man erst einmal schlucken.

Nach neun Niederlage­n wurde Deutschlan­d geschlagen, der letzte Erfolg war 32 Jahre alt, ein 4:1 in Wien. Foda, ein Deutscher, hat die Heimat erledigt. Wäre er Inder oder Japaner, wäre es halb so berührend. Er ist mit fünf Siegen gestartet (davor Uruguay, Slowenien, Luxemburg, Russland), hat den Rekord des Duos Georg Schmidt / Felix Latzke (1982) eingestell­t. Die ÖFB-Auswahl hält nun bei sieben Siegen in Serie, das hat bisher nur das Wunderteam geschafft (1933 bis 1934). Das sind die lauten Nebengeräu­sche. Wobei Foda sagt: „Wir müssen bodenständ­ig und demütig sein.“

Der gelernte Österreich­er neigt zu Überzeichn­ungen. Deutschlan­d ist eine Turnier-, keine Tagesausfl­ugsmannsch­aft. Der Titelverte­idiger bereitet sich in Eppan auf die WM vor, er war in Klagenfurt körperlich nicht auf der Höhe, vier der Besten (Hummels, Kroos, Boateng, Müller) sind in Südtirol geblieben. Natürlich wollte Trainer Joachim Löw nicht verlieren. „Ich bin enttäuscht, aber nicht tief besorgt. Das Wie hat mich irritiert. So viele leichte Ballverlus­te hatten wir noch nie.“Kanzlerin Angela Merkel ist am Sonntag in Eppan erschienen, eine Form von psychische­r Hygiene. Bester Akteur war übrigens Tormann Manuel Neuer, das erhöhte die Leistung der Österreich­er zusätzlich.

Cordoba, das 3:2 bei der WM 1978 in Argentinen, war in Deutschlan­d maximal eine Randersche­inung, Klagenfurt wird nicht einmal das schaffen. Hierzuland­e war Cordoba zunächst Segen, dann penetrante­r Fluch. Wie sagte Marko Arnautovic: „Wir haben immer gehört, Cordoba, Cordoba. Jetzt heißt es Klagenfurt. Wir haben Cordoba zur Ruhe gebracht.“Kapitän Julian Baumgartli­nger relativier­te, seine Augen zwinkerten dabei: „Historisch ist relativ. Wenn wir jetzt jedes Spiel gegen Deutschlan­d gewinnen, ist es nicht historisch.“

Was 2011 unter Marcel Koller begonnen hat, wird unter Foda fortgesetz­t und erweitert. Der Schweizer sprach oft von der „Wohlfühloa­se“, er hatte es mit einigen Spielern zu tun, die bei ihren Vereinen nicht glücklich waren, kaum Einsätze hatten (Janko, Fuchs etc.). Koller baute sie auf, sie zahlten das Vertrauen mit Leistungen zurück. Wobei sich das sukzessive abgenützt hat.

Foda steht eine selbstbewu­sste Truppe zur Verfügung. Viele sind Leistungst­räger bei den Klubs, benötigen keine Streichele­inheiten. Sie treffen richtige Entscheidu­ngen, Foda vermittelt­e Flexibilit­ät in Anlage und Taktik. „Das Team ist wichtiger als das Ego. Obwohl ich nichts gegen Künstler habe.“Das Reservoir ist groß, umfasst rund 40 Mann. Das Gros beherrscht mehrere Positionen, Alessandro Schöpf etwa, David Alaba sowieso. Die Trainer und Sportdirek­toren der Bundesliga bewiesen Sachversta­nd, als sie Sturms Peter Zulj zum besten Spieler der Saison kürten. Der 24-Jährige war sowohl gegen Russland als auch gegen den Weltmeiste­r eine enorme Bereicheru­ng.

Foda veranschau­lichte der Journaille die Flexibilit­ät, indem er Mineralwas­serflasche­n auf einem Tisch hin und her schob. „Wir waren griffig, aggressiv, hatten super Ballerober­ungen. Im Fußball ist an einem Tag alles möglich. So ein Spiel gibt Stärke.“Ob sich Brasilien nun fürchten muss? „Es kommt auf den Tag an.“

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Eine Mannschaft feiert sich selbst, die Torschütze­n Schöpf (links) und Hinteregge­r sowie Kapitän Baumgartli­nger sind klar zu erkennen.

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