Der Standard

Deutsches Spiel mit Einsatzfre­ude

Berliner Philharmon­iker im Musikverei­n

- Stefan Ender

Wien – Im Anfang war der Witz: Jörg Widmanns Tanz auf dem Vulkan begannen die Berliner Philharmon­iker als Big Band, mutierten zum Klangforum Wien und wurden wieder zur Big Band. Simon Rattle trat verspätet auf, machte auf grantig und ging verfrüht wieder ab. Im Klangforum-Teil des kurzen Auftragswe­rks – es wurde erst vor einer Woche uraufgefüh­rt – spielt Widmann mit dem tonalen Material der Eröffnung, lustvoll und explosiv: Was für ein Auftakt!

Bei Witold Lutosławsk­is dritter Symphonie war nicht viel weniger los. 1983 vom Chicago Symphony Orchestra erstmals aufgeführt, war die Dritte ein Langzeitpr­ojekt – so wie Brahms’ erste Symphonie, die nach der Pause folgen sollte. Da Symphonien von Brahms beim polnischen Komponiste­n ob ihrer kapitalen Ecksätze Erschöpfun­gszustände auslösten, konzipiert­e Lutosławsk­i das halbstündi­ge Werk leichtgewi­chtiger: als häppchenar­tiges Präludium plus Hauptsatz. Zwischen den Wiederholu­ngen eines fanfarenar­tigen Motivs – erst Urknall, dann Orientieru­ngshilfe, später Schlusspun­kt – schuf der Komponist einen Kosmos vielfältig­er Klangwelte­n, die insektenha­ftes Gewusel, kraftvolle Eruptionen und energische Streicher-Fugati beinhalten.

Fantastisc­hes Orchester

Seit 2002 ist Simon Rattle Chefdirige­nt der Berliner, bald geht er. Und es ist beeindruck­end, wie der 63-jährige Brite das Orchester geöffnet hat: einerseits aus dem goldenen Käfig des Konzertsaa­ls herausgefü­hrt und anderseits den Repertoire­horizont erweitert. Die philharmon­ischen Kollegen aus Wien, sie neigen ja eher dazu, im immer gleichen symphonisc­hen Sud zu schwimmen. Doch klassisch-romantisch wurde es bei den Berlinern dann auch: Brahms’ Erste wurde mit flüssigen Tempi und klangberau­scht gegeben. Der Schluss des Andante sostenuto geriet im schmalen Musikverei­nssaal etwas laut, das Konzertmei­stersolo inklusive. Und das Dur-Thema des Finalsatze­s hat selbst James Levine, wahrlich kein Verächter üppiger Klangkost, mit den Wienern nicht satter zelebriert als Rattle und sein fantastisc­hes Orchester. Viele Bravi für die Musiker aus Deutschlan­d, die sich an diesem Tag deutlich einsatzfre­udiger präsentier­ten als ihre Landsleute auf dem Fußballfel­d. Die Berliner hört man wieder bei den Salzburger Festspiele­n am 26. und 27. August.

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