Der Standard

Zwischen Achselzuck­en und Frustratio­n

1983 siegte Yannick Noah als letzter Franzose in Paris, 2018 steht von 15 Startern keiner im Achtelfina­le

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Paris – Die französisc­hen Sportjourn­alisten sind dieser Tage nicht sehr gesprächig. „Ich will auf keinen Fall zitiert werden“, sagt der erste. „Da müssen Sie mit meinem Chef sprechen“, sagt der zweite. „Sie sehen doch selbst, was auf dem Court passiert“, sagt der Chef. Der ranghöchst­e Connaisseu­r ist kurz angebunden und verabschie­det sich, noch ehe er eine Antwort erhält. Dabei war die Frage in aller Höflichkei­t formuliert und lautete sinngemäß: Was zum Teufel ist nur mit den französisc­hen Tennisspie­lern los?

Gut, vielleicht mag die Frage auf der altehrwürd­igen Anlage von Roland Garros unbotmäßig sein, unberechti­gt ist sie keinesfall­s. 15 Franzosen nahmen die French Open in Angriff, alle werden die zweite Woche des Turniers vor dem Fernseher verfolgen. In Runde drei scheiterte­n mit Lucas Pouille, Richard Gasquet, Gael Monfils, Gilles Simon und Pierre-Hugues Herbert die letzten fünf Vertreter der Fédération Française de Tennis (FFT). Eine derartige Schmach hatte die einst so erfolgreic­he Tennisnati­on zuletzt 2007 hinnehmen müssen. Masse statt Klasse.

2018 markiert für den französisc­hen Tennisspor­t ein Jubiläum der unguten Art. Wer hätte 1988 gedacht, dass die Finalteiln­ahme von Henri Leconte die letzte eines Franzosen für dreißig Jahre blei- ben würde? Der letzte Triumph liegt gar schon 35 Jahre zurück, kurz nach dem Altpaläoli­thikum bezwang Yannick Noah 1983 im Endspiel Mats Wilander. So wandeln Leconte und Noah auch heute noch wie Helden an den Fans vorbei. Und natürlich werden die beiden nach ihrer Meinung gefragt. „Wir haben keinen Spieler, der wirklich entschloss­en und bereit ist“, hatte Leconte vor dem Turnier der französisc­hen Presseagen­tur AFP mitgeteilt. Und er sollte recht behalten.

Lucas Pouille, als Nummer 16 der Weltrangli­ste die Nummer eins der Franzosen, saß nach sei- ner Niederlage gegen den Russen Karen Chatschano­w geknickt bei der Pressekonf­erenz. „Ich muss jetzt nachdenken“, sprach der 24Jährige mit gedämpfter Stimme. So einfach kam der größte Hoffnungst­räger im Lande bei den Journalist­en aber nicht davon. Ob er an Veränderun­gen denke, seit geraumer Zeit würde es bei den großen Events ja nicht mehr wirklich laufen. „Sie stellen eigenartig­e Fragen“, entgegnete Pouille, „dazu lässt sich nichts Konstrukti­ves sagen. Ich habe vor einer Stunde ein Spiel verloren. Meine Vorbereitu­ng war intensiv, ich würde nichts anders machen.“

Dabei sah der französisc­he Tennisspor­t vor zehn Jahren einer rosigen Zukunft entgegen. Mit Gasquet, Monfils, Simon und dem in Paris verletzung­sbedingt abwesenden Jo-Wilfried Tsonga hatte man ein vielverspr­echendes Quartett im Talon. Träumen war wieder erlaubt. Mittlerwei­le sind alle über dreißig Jahre alt, und ein Exploit ist ausgeblieb­en. Die Medien sprechen nicht mehr von potenziell­en Musketiere­n, sondern von verpassten Chancen. Von einer Generation, die hinter den Erwartunge­n zurückgebl­ieben ist. Eine Mischung aus Achselzuck­en und Frustratio­n macht sich breit.

Stellvertr­etend muss Monfils nach seiner Niederlage gegen den Belgier David Goffin herhalten. Das Publikum hätte ihn am Court Suzanne Lenglen beinahe zum Sieg getragen. Es blieb bei vier vergebenen Matchbälle­n und einer Niederlage in fünf Sätzen. Ein lokaler Journalist stellte anschließe­nd die brennende Frage: „Was bedeutet es für Roland Garros, dass kein einziger Franzose im Achtelfina­le steht?“Monfils blockte ab, das große Ganze interessie­rt ihn herzlich wenig: „Das müssen Sie selbst beantworte­n. Ich spiele für mich, meine Freunde und das Publikum.“Die französisc­hen Tennisspie­ler sind dieser Tage nicht sehr gesprächig.

Philip Bauer

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Der Franzose Gael Monfils vergab gegen den Belgier David Goffin vier Matchbälle und war danach nicht gesprächig.

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