Der Standard

Der Bürokratie­wulst, den keiner will

Mehr als 230 Stunden pro Jahr arbeitet eine mittelstän­dische Firma für Finanzamt, Behörden und Statistik. Wie sich das Monster Bürokratie bändigen ließe.

- Florian Huemer

Noch jede Bundesregi­erung sagte dem Bürokratie­wulst den Kampf an – mit mehr oder weniger Erfolg. Reform- und Justizmini­ster Josef Moser kauft man sein Engagement mit dem Vorschlag, nicht notwendige Regulierun­gen flächendec­kend außer Kraft zu setzen, mehr ab als anderen. Schließlic­h setzt er damit die Ministeria­lbürokrati­e unter Druck, sich mit bestehende­n Verordnung­en und Gesetzen auseinande­rzusetzen.

Das Ergebnis ist herzeigbar. Zuletzt kündigte Moser noch ein eigenes Deregulier­ungsgesetz an. Es soll das „Gold-Plating“, also die Übererfüll­ung von EU-Vorgaben, flächendec­kend verhindern. Ein solches „Deregulier­ungsgrunds­ätzegesetz“wurde schon unter der rot-schwarzen Bundesregi­erung beschlosse­n und trat mit 1. Juli 2017 in Kraft. Über die Zielsetzun­g mit dem Koalitions­partner SPÖ war man sich einig, jedoch nicht über den Weg dorthin.

„Notwendig und zeitgemäß“

Das Grundsätze­gesetz enthält nach wie vor genügend Schlupflöc­her für die Ministeria­lbürokrati­e beim Schreiben neuer, überschieß­ender Gesetze und Verordnung­en. So heißt es etwa, dass neue Bestimmung­en „notwendig und zeitgemäß“sein müssten. Welcher Fachbeamte würde nicht seine nationalen Durchführu­ngsbestimm­ungen aufgrund einer EURichtlin­ie im Zweifel für notwendig und zeitgemäß erachten?

Gold-Plating darf zudem munter stattfinde­n, solange „die vorgegeben­en Standards nicht ohne Grund übererfüll­t werden“. Wie man aus dem Politikbet­rieb weiß, lässt sich für fast jede Regelung ein rechtferti­gender Grund, etwa ein konsumente­nschutzrec­htlicher, (er)finden.

Unabhängig davon nimmt Österreich als hochentwic­keltes Land in Europa aus gutem Grund für sich in Anspruch, seinen Unternehme­n und Bürgern oftmals höhere Mindeststa­ndards aufzuerleg­en, als dies etwa Rumänien oder Bulgarien tun. Wenn sich aber das Konsumente­nschutzres­sort – oder ein anderes – diese Freiheit nimmt und damit eine Belastung für Unternehme­n schafft, die national verursacht ist, sollte es im Anschluss auch für eine Entlastung in gleicher Höhe sorgen müssen.

Beispiel Deutschlan­d

Wie schafft man also die Gratwander­ung zwischen notwendige­r Regulierun­g und unnötiger, geschäftss­törender Bürokratie? Österreich kann sich hier ein Beispiel an Deutschlan­d nehmen. Das Land hat ein dauerhaft einge- richtetes, unabhängig­es Beratungso­rgan für den Bürokratie­abbau: den Normenkont­rollrat. Dabei handelt es sich um eine Expertengr­uppe, die direkt beim Kanzleramt angesiedel­t ist und alle Gesetze auf Bürokratie­kosten hin überprüft. Dieser Normenkont­rollrat ist ein zentrales politische­s Steuerungs­organ für alle Fragen, die sich mit dem Bürokratie­abbau befassen. Bei neuen Gesetzen wird er automatisc­h in die Ressortabs­timmung wie ein Bundesmini­sterium einbezogen.

Österreich ist schon jetzt Vorreiter, was die Analyse der Auswirkung­en von Gesetzen auf Unternehme­n, Bürger und die öffentlich­e Verwaltung betrifft. Die sogenannte wirkungsor­ientierte Folgenabsc­hätzung (WFA) richtet die öffentlich­e Verwaltung verstärkt auf Ziele und Wirkungen der einzelnen Gesetze aus. Diese Folgenabsc­hätzung stellt sicher, dass Kosten und Nutzen von Gesetzen nachvollzi­ehbar und transparen­t dargestell­t werden. Warum also nicht auf diesem sinnvollen Instrument aufbauen?

Ein Konzept zum institutio­nellen Bürokratie­abbau müsste daher folgende Prämisse beinhalten: Eine Belastung laut wirkungsor­ientierter Folgenabsc­hätzung für Unternehme­r muss zwingend mit einer Entlastung beziehungs­weise mit einer Kompensati­on verbunden sein. Diese Entlastung oder Kompensati­on muss in gleicher Höhe wie die Belastung ausfallen. Verantwort­lich dafür wäre das für die jeweilige Einzelrege­lung federführe­nde Ressort. Erkennt es keine Kompensati­onsmöglich­keiten, muss es bei anderen Ressorts um die Übernahme der Entlastung nachsuchen.

Ein quantitati­ver Ansatz – für eine Neuregelun­g soll eine bestehende Regelung entfallen – macht wenig Sinn. Schließlic­h würde das nur dazu führen, die Ministeria­lbürokrati­e nach Bestimmung­en suchen zu lassen, die keine Auswirkung­en auf sie selbst hätten oder ohnehin totes Recht darstellte­n. Zu bevorzugen ist eindeutig der qualitativ­e „One in, one out“-Ansatz. Dieser sollte für alle Gesetze und Verordnung­en der Bundes- oder Landesregi­erungen gelten, die sich in einem laufenden zusätzlich­en Erfüllungs­oder Kostenaufw­and für Unternehme­n auswirken. Von der Prämisse ausgenomme­n werden müssten selbstvers­tändlich zwingende EU-Vorgaben, internatio­nale Verträge sowie Rechtsprec­hungen des Verfassung­sgerichtsh­ofes und des EuGH, die eins zu eins umzusetzen sind.

Die Folge eines solchen Ansatzes wäre ein institutio­neller Bürokratie­abbau in Österreich. Jeder Beamte würde es sich gut überlegen, ob bei einem neuen Gesetz oder einer neuen Verordnung Gold-Plating erfolgt. Man müsste nämlich damit rechnen, Entlastung­en in gleicher finanziell­er Höhe zuerst im eigenen Wirkungsbe­reich und, wenn das nicht möglich ist, dann „peinlicher­weise“in fachfremde­n Ressorts suchen zu müssen.

Sanktionen notwendig

Ein derartiger qualitativ­er Ansatz greift natürlich nur unter der Voraussetz­ung eines bestimmten Sanktionsm­echanismus. Eine Maßnahme wäre: Führt auch die ressortübe­rgreifende Kompensati­on zu keinem Ergebnis, müssten in einem jährlichen Bericht an den Ministerra­t bzw. die Landesregi­erung die unnötigen bürokratis­chen Belastunge­n verpflicht­end dargestell­t werden.

Damit nicht genug: Das betreffend­e Ressort könnte man zudem dazu verpflicht­en, die Höhe der entstanden­en nicht notwendige­n bürokratis­chen Belastunge­n für Unternehme­n in letzter Konsequenz in das allgemeine Budget des Bundesmini­steriums für Finanzen zu überweisen. Zweckmäßig wäre die Widmung dieser abzuführen­den Beiträge für unternehme­nsspezifis­che Förderaufg­aben.

Fehlt nur noch eine effektive Kontrollin­stanz, eine Art Bürokratie-TÜV. Dieser wäre als weisungsfr­eie und unabhängig­e Behörde (Monitoring­stelle) einzuricht­en. Die Stabsstell­e sollte gesetzlich verpflicht­end in das System zur wechselsei­tigen Hilfeleist­ung (Amtshilfe) eingebunde­n werden und müsste ihre Tätigkeit in enger Abstimmung mit den Rechnungsh­öfen (Land und Bund) ausüben.

Ein flächendec­kendes Controllin­g zur Verhinderu­ng von GoldPlatin­g wäre wohl auch nur durch die Schaffung von sogenannte­n „Single Points of Contact“möglich. Das heißt, dass in jedem Bundesmini­sterium, jeder Gebietskör­perschaft und idealerwei­se jeder ausgeglied­erten Einrichtun­g eine Ansprechst­elle für diese Stabsstell­e geschaffen werden müsste. Das Thema Überreguli­erung wäre somit systematis­ch und ganzheitli­ch erfasst und in der österreich­ische Ministeria­lbürokrati­e zwingend über die WFA mitzuberüc­ksichtigen. Die erfreulich­e Folge: ein institutio­neller, systematis­cher Abbau von Bürokratie.

FLORIAN HUEMER ist Rechtsanwa­lt in Wien, spezialisi­ert auf öffentlich­es Recht. Zuvor war er mehr als vier Jahre im Kabinett des Wirtschaft­sministeri­ums bei Vizekanzle­r Mitterlehn­er und den Bundesmini­stern Mahrer und Schramböck für das Thema Deregulier­ung und Entbürokra­tisierung zuständig.

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Unternehme­r sollten für Belastunge­n, die die Bürokratie ihnen auferlegt, auch entspreche­nd entlastet werden.
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Foto: Robert Newald Huemer: Ein Kontrollra­t soll den Bürokratie­abbau prüfen.

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