Der Standard

„Das größte Problem sind die Verweigere­r“

Lehrer Karl Pleyl ruft nach der Ganztagssc­hule – und kritisiert „lachhafte“Knauserei

- Gerald John

Wien – Die zwei jungen Frauen wirken, als wären sie einer Werbekampa­gne für gelungene Integratio­n entsprunge­n. Katarina und Sabina heißen die Ex-Schülerinn­en, die Lehrer Karl Pleyl auf dem Gang zufällig über den Weg laufen. Beide stammen aus dem ehemaligen Jugoslawie­n, sprechen geschliffe­nes Deutsch, studieren an der Uni – und unterstütz­en nun als Motivatori­nnen und Rolemodels in sogenannte­n Lernstunde­n die Lehrer: „Bei uns haben die Schüler weniger Hemmungen, zu fragen.“

An sich ist die Schule an der Margareten­straße kein Hort der klassische­n Bildungsel­ite. 80 bis 90 Prozent der Schüler haben hier, in der HAK und HAS des Berufsförd­erungsinst­ituts (BFI), Migrations­hintergrun­d. Nicht wenige kommen nur deshalb, um widerwilli­g das neunte und letzte verpflicht­ende Schuljahr abzusitzen. Die Drop-out-Rate beträgt in manchen ersten Klassen ein Drittel.

Keine unbeschwer­te Jugend

Gewachsen sei nicht nur der Anteil der Zuwanderer, berichtet Pleyl, der mit 62 Jahren – wie er sagt – schon „zum Mobiliar“gehört. Die bedrohlich hohe Arbeitslos­igkeit, Konflikte mit dem traditione­llen Elternhaus, das Gefühl, als „Ausländer“abgelehnt zu wer- den: Die Jugendlich­en schleppten heute einen „Rucksack“an Sorgen mit, der ihnen die Unbeschwer­theit raube. „Die Gesellscha­ft“, sagt der Pädagoge, „ist einfach rauer geworden“.

Nicht, dass seine Schützling­e deshalb wild um sich schlügen, mit Berichten über grassieren­de Gewalt, wie sie aus manchen Pflichtsch­ulen dringen, könne er nicht dienen. Einen islamistis­chen Hype registrier­t er ebenso wenig, und wenn in einer 26-köp- figen Klasse drei Schülerinn­en Kopftuch tragen, dann sei das bereits viel.

„Unser größtes Problem sind die Verweigere­r, die alle Angebote ausschlage­n“, sagt Pleyl, überdies seien manche Fähigkeite­n ins Hintertref­fen geraten. Schüler zeigten heute zwar enormes praktische­s Wissen, um den Alltag zu bewältigen, doch Lesen habe einen geringeren Stellenwer­t als früher, und auch das Zahlenver- ständnis nehme ab. „Die Behörde hat vor allem mit Druck von oben reagiert“, ärgert sich der Lehrer. „Heute kann ich bei einer HAKMatura Englisch ausweichen, nicht aber Mathematik – als würden die Schüler dadurch besser rechnen lernen.“

Streiten mit dem Stadtschul­rat

Pleyl glaubt, ein tauglicher­es Rezept zu kennen: Eine flächendec­kende Ganztagssc­hule würde vor allem jene Kinder stützen, die zu Hause von den Eltern wenig Hilfe erwarten können. Dank Förderunge­n der Arbeiterka­mmer probt die BFI-Schule das Modell in einem Drittel der ersten Klassen, mehr sei trotz aller Trickserei­en nicht möglich: An Nachfrage mangle es nicht, an den notwendige­n Räumlichke­iten sehr wohl. Zwar zahle die öffentlich­e Hand mittlerwei­le zum Projekt dazu, letztlich scheitere aber so viel Gutes am Geld: „Mit dem Stadtschul­rat streitet man um ein paar Unterricht­sstunden. Es ist lachhaft.“

Dabei spreche bereits der mit geringen Mitteln, aber großem Teamgeist erzielte Erfolg Bände, sagt Pleyl – und kann abermals mit einer Szene aufwarten, die Klischees Lügen straft. Bei der Plauderei in einer Klasse fällt ein Bursche als besonders eloquent und ambitionie­rt auf. Er ist Tschetsche­ne.

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