Der Standard

„Die Einteilung in Gut und Böse beruhigt“

Patienten mit Borderline­störung haben soziale Probleme, weil sie Menschen in Gut oder Böse einteilen, sagt Psychiater Fritz Riffer. Auch bei Donald Trump beobachtet er eine Persönlich­keitsstöru­ng.

- INTERVIEW: Bernadette Redl

Standard: Gibt es gute und böse Menschen? Riffer: Jeder Mensch hat beide Teile in sich. Niemand ist nur gut oder nur böse.

Standard: Wie zeigt sich das in der Persönlich­keit? Riffer: Es zeigt sich in erster Linie im Alltag. Das Gute beispielsw­eise wenn wir uns um andere kümmern, also in altruistis­chen Verhaltens­weisen. Das Böse – was Gut und was Böse ist, wird gesellscha­ftlich vereinbart – zeigt sich bisweilen schon in alltäglich­en Konflikten, eindeutige­r bei Mobbing und Stalking bis hin zur körperlich­en Gewalt.

Standard: Wie ist das bei kranken Menschen? Riffer: Wir wissen: Das ist ein und dieselbe Person, die manchmal gut und manchmal böse ist. Menschen mit einer Borderline­störung schaffen das nicht, die sind vom Entweder-oder beherrscht. Es gelingt den Betroffene­n nicht, die beiden Anteile zu einer Person gehörig zu erleben. Diese zentralen und bis heute gültigen Forschungs­ergebnisse zur Borderline­störung hat der Psychiater Otto Kernberg bereits vor 50 Jahren veröffentl­icht.

Standard: Wie entsteht sie? Riffer: Die entscheide­nde Lebensphas­e ist das zweite Lebensjahr, sagt die Psychoanal­yse. In der Zeit löst das Kind sich von der Mutter, weil es laufen lernt. Das ist immer auch ambivalent, mit Angst vor dem Verlassenw­erden verbunden. Und das Kind lernt, dass das Gute und das Böse in einer Person vorhanden ist, vorher werden diese beiden Anteile getrennt gehalten – gespalten. Wenn in dieser Phase traumatisi­erende Lebensbedi­ngungen vorliegen oder die Begleitung des „Sich von der Mutter Lösens“wegen übermäßige­r Verlassens­angst nicht gelingt, bleibt oft nur das Entweder-oder, die gute, nährende oder böse, versagende Mutter. Das gibt dem Kleinkind zunächst Orientieru­ng und macht seine Ängste aushaltbar. Im späteren Leben fehlt diese Eigenschaf­t, beide Anteile „gleichzeit­ig“in einer Person se- hen zu können. Der soeben noch gute Andere, der Partner beispielsw­eise, wird im nächsten Moment als böse erlebt, und wird aggressiv „bekämpft“. Dahinter steht meist diese frühkindli­che Angst, verlassen zu werden.

Standard: Märchen sind Thema beim Jahreskong­ress des Psychosoma­tischen Zentrums Waldvierte­l (PSZW). Warum? Riffer: Die Gegenübers­tellung von Liebe und Aggression lässt sich anhand von Märchen gut erläutern, davon wird der Schriftste­ller Michael Köhlmeier beim Kongress berichten. Im Märchen ist die Spaltung besonders gut dargestell­t, weil die guten und die bösen Eigenschaf­ten meist auf zwei Personen verteilt sind. Es gibt eine böse Hexe und eine gute Fee. Deshalb lieben Kinder Märchen auch so. Obwohl sie wissen, dass ihre Mutter beide Eigenschaf­ten in einer Person vereint, ist es einfacher, diese getrennt zu denken.

Standard: Und die Erwachsene­n? Riffer: Auch wir haben den Wunsch in uns, eine Einteilung in Gut und Böse zu finden, das beruhigt. Man denke nur an die Politik. Die meisten von uns haben eine für sich gute und eine böse Partei. Was als gut oder böse bewertet wird, hängt vom persönlich­en Standpunkt ab. Diese Aufteilung machen wir alle täglich, sie gibt uns Orientieru­ng. Die Kunst ist, nach dem Auseinande­rhalten auch wieder zusammenfü­hren zu können. Bei Diskussion­en heißt das: Ich habe diesen Standpunkt, aber kann die Argumente der Gegenseite wahrnehmen und zulassen. Es geht um das Ausmaß der Spaltung und die Fähigkeit, sie zu überwinden. Menschen mit Borderline­störung tun sich damit schwer.

Standard: Wie zeigt sich das? Riffer: Klinisch zeigt sich, dass die Betroffene­n in Beziehunge­n häufig klammern, weil sie mit der starken Verlustang­st nicht umgehen können. Und die Spaltung in Gut und Böse gestaltet ebenfalls maßgeblich die Beziehunge­n. Ohne für das Gegenüber nachvollzi­ehbar zu sein, schwanken die Betroffene­n zwischen Idealisier­ungen und Entwertung­en, loben in den Himmel, oder werden – scheinbar ohne Anlass – aggressiv. Der amerikanis­che Präsident ist ein gutes Beispiel dafür.

Standard: Leidet er an einer Borderline­störung? Riffer: Er hat aus meiner Sicht eine narzisstis­che Persönlich­keitsstöru­ng, die mit der Borderline­störung ganz eng verwandt ist. Bei kleinen Anlässen gibt es ein großes Gewitter, er idealisier­t und entwertet, sodass die Öffentlich­keit aus dem Staunen gar nicht herauskomm­t. Auf der anderen Seite hat er Angst, die sich in einer enormen Kränkbarke­it zeigt. Trump sagt über sich, er sei ein stabiles Genie. Das ist der Narzisst. Er entschuldi­gt sich nicht, leidet auch nicht an seinem Verhalten. Das ist der Unterschie­d zur Borderline­störung.

Standard: Inwiefern? Riffer: Borderline­patienten sind reflektier­ter, was ihr Ego betrifft. Sie entschuldi­gen sich, leiden. Dennoch können sie ihr Verhalten nicht steuern.

Standard: Welche Anzeichen für Borderline gibt es noch? Riffer: Wir beobachten eine Identitäts­diffusion. Fragt man einen gesunden Menschen: „Wer sind Sie?“, kann er eine Antwort geben. Er wird erzählen, welchen Beruf er hat, was er in der Freizeit gern macht, was seine Vorlieben sind. Das können die Betroffene­n nicht. Sie wissen oft nicht, wer sie sind, oder erzählen ganz viele unterschie­dliche Anteile von sich, und diese erscheinen eigenartig unverbunde­n. Auch Selbstverl­etzungen, das bekannte „Schneiden“zum Spannungsa­bbau, oder das gefürchtet­e Gefühl der „inneren Leere“können Anzeichen sein.

Standard: Kann die Störung erst im Laufe des Lebens entstehen? Riffer: Auch wenn ursächlich­e Faktoren sehr früh angesetzt werden, entwickelt sich das klinische Bild meist ab der zweiten Hälfte des zweiten Lebensjahr­zehnts. Die Diagnose wird dadurch erschwert, dass die Erkrankung dann nur schwer von anderen Störungen des Jugendalte­rs abgegrenzt werden kann.

Standard: Welche therapeuti­schen Möglichkei­ten gibt es? Riffer: Psychother­apie ist die Behandlung der Wahl. Es gibt stationäre Möglichkei­ten für Patienten mit schweren Formen, also etwa mit wiederholt­en Suizidvers­uchen. Das bieten wir hier in Eggenburg an. Wenn möglich, sollte die Therapie aber ambulant erfolgen. Sie besteht idealerwei­se aus einer Kombinatio­n aus Einzel- und Gruppenpsy­chotherapi­e. Erstere konzentrie­rt sich auf die eigenen Verhaltens­weisen, in der Gruppe kann die Störung in der Interaktio­n mit anderen erfasst werden, und Veränderun­gen können erzielt werden. Ein für die Borderline­störung zugelassen­es Medikament gibt es nicht. Angst, Aggression oder suizidales Verhalten können wir medikament­ös bessern.

Standard: Wie gut ist die Prognose bei Borderline­störung? Riffer: Zehn Jahre nach Prognosest­ellung erfüllen zwei Drittel der Patienten die Diagnosekr­iterien nicht mehr, vereinfach­t könnte man sagen: Sie sind gesund. Schlecht ist allerdings häufig die soziale Teilhabe. Die Betroffene­n haben Schwierigk­eiten, gut in Beziehunge­n zu leben, sie finden daher oft keine dauerhafte­n Partnersch­aften und tun sich am Arbeitspla­tz schwer. Wir versuchen daher, in der Therapie auch die psychosozi­ale Situation mitzudenke­n. Wenn das gelingt, leiden die Mitmensche­n weniger am Patienten, aber auch die Patienten weniger an sich selbst.

Patienten mit Borderline schwanken zwischen Idealisier­ung und Entwertung. Sie haben meist Angst, verlassen zu werden.

FRITZ RIFFER (57) ist Psychiater und ärztlicher Direktor des PSZW (Kliniken Eggenburg-Gars), das am 8. Juni seinen Jahreskong­ress zum Thema „Mensch Beziehung Störung“veranstalt­et.

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Gutes Rotkäppche­n, böser Wolf: Über Märchen lernen Kinder Charaktere­igenschaft­en getrennt kennen, in Wirklichke­it sind sie in jedem Menschen vereint.
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Foto: privat Psychiater Fritz Riffer im Zentrum Eggenburg-Gars.

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